„Drei Morde zu viel“
(Dominik Troger)
Das
Saisonende naht. Im Theater an der Wien hat man alle Kräfte noch einmal
für eine szenische Uraufführung gebündelt: „Voice Killer“, eine Oper
von Miroslav Srnka auf ein Libretto von Tom Holloway. Der Ersteindruck:
lange, pausenlose eindreiviertel Stunden.
Im
Mai 1942 hat ein in Melbourne stationierter US-Soldat innerhalb von
drei Wochen drei Frauenmorde begangen. Dann wurde er festgenommen,
abgeurteilt und im November desselben Jahres hingerichtet. In
Australien haben diese Morde zwar viel Aufsehen erregt, aber warum
sollte man diesen Kriminalfall zum Inhalt einer Oper machen? In einem
Einvernahmeprotokoll, das im Programmheft abgelichtet ist, hat der
Mörder als Tatmotiv für einen der Morde angegeben: „She had a lovely voice. I wanted that voice.“ Womöglich ist diese Aussage die Keimzelle für die Oper „Voice Killer“.
Die Handlung dreht sich im Wesentlichen um die drei Morde. Sie werden
linear erzählt. Dem ersten und dem zweiten wird viel Platz eingeräumt,
der dritte Mord geht gleich in die Hinrichtung über – und flugs hängt
der Täter am Strick und baumelt mitten auf der Bühne vom Schnürboden.
Aber das ist nur eine Handlungsebene. Nach dem ersten und dem zweiten
Mord wird je eine Rückblende in die desolate Kindheit des Täters
eingeschoben, die von einer starken Beziehung zu seiner alkoholkranken
Mutter geprägt war. Das Libretto legt nahe, dass er bei seinen Opfern
den Stimmklang seiner Mutter gesucht hat, als Vergegenwärtigung
mütterlicher Geborgenheit.
Doch das Anliegen der Oper ist es eigentlich, die drei Mordopfer aus
ihrer Anonymität zu befreien. Deshalb bleibt der Name des Täters im
Libretto ausgespart, er wird nur „Private“ genannt. Hingegen
sollen die Opfer in ihrer Individualität greifbarer werden. Die
Inszenierung lässt drei Frauen deshalb schon am Beginn in einem
Melbourner Museum auftreten, zeigt wie sie zu diesem Fall
recherchieren, und wie sie die Morde im Rückblick erleben – wobei ihre
Identitäten mit denen der Opfer zu verschmelzen scheinen.
Nach einem etwas seltsamen Beginn, in dem der Täter von 40 rückwärts
zählt und dabei wie irr vor sich hinkichert, werden die drei Mordopfer
der Reihe nach beim Telefonieren gezeigt, um für das Publikum
über die Telefongespräche ein wenig ihr Lebensumfeld abzustecken. Dann
folgen die Morde – und im Finale darf des Mörders Mutter (eine
Sprechrolle) in einem Monolog noch einmal den drei Opfern Gehör
verschaffen, und sie prophezeit, dass die getöteten Frauen im Gegensatz
zu ihrem Mörder in Vergessenheit geraten werden.
Die sich überlagernden Zeitebene machten es nicht immer einfach, der
Handlung zu folgen, auch wenn die Regie viel mit Projektionen
gearbeitet hat, die Informationen zum Inhalt wie dokumentarische
Hinweise geben – bis hin zu Ausschnitten aus alten Tageszeitungen. Das
Bühnenbild wurde sehr flexibel gehandhabt, an der Seite vorne Teile des
Museums, die die ganze Aufführung dieselben bleiben. Die übrige Bühne
wurde rasch an die Szenen angepasst, mit einfachen Elementen – eine
rote Telefonzelle etwa, ein Feldbett, eine Haltestelle, wo der erste
Mord passiert, das Portal eines Hauseingangs für den zweiten Mord usf.
Diese Szenenwechsel waren sehr praktikabel eingerichtet.
Weniger praktikabel war die musikalische Seite, eine etwas spröde
„Klang-Tapete“ von metallischem Flirren bis zum „Plopp“ von gebogenen
Plastikfolien, als eine Ansammlung von Klängen und Geräuschen, die mehr
für ein atmosphärisches, kollektives Hintergrundrauschen sorgten, und
die nur selten das Bühnengeschehen „befeuerten“ wie etwa beim mit Chor
unterfütterten Soldatenbesäufnis, das dem zweiten Mord vorangeht. Das
Orchester baut auf einen Streicherkern und ergänzt eine Bläsergruppe
(ohne Oboe und Fagott) noch mit Klavier, Vibraphon, zwei Marimbas und
zwei Akkordeons sowie weiteren Mitteln zur Klangerzeugung. Aber kaum, dass sich
ein Instrument einmal in den Vordergrund drängt, es entsteht
eher der Eindruck einer glatten oder raueren musikalischen Textur, die sich subtilen Veränderungen unterwirft, die mehr intellektueller, als emotionaler Natur sind.
Außerdem
waren sich die Opfer von der Stimmlage zu ähnlich, um für das Publikum
deutlich ihre individuellen Charaktere zu zeigen: drei Soprane,
wovon sowohl Caroline Wettergreen (Ivy) als auch Holly Flack
(Pauline) bereits erfolgreich an der Staatsoper in zeitgenössischen
Opern zu teils koloraturgespickten gesanglichen Höhenflügen angetreten
sind. Vor allem Pauline hatte sich exponiertest gesanglich
abzuarbeiten. Nadja Stefanoff war als Gladys weniger „extrem“ konturiert, sogar mit einen Hauch von „Sinnlichkeit“ ausgestattet.
Der Private wurde von Seth Carico
dargestellt und gesungen – sehr expressiv, gleich am Beginn mit diesem
Kichern an der Grenze zum Wahnsinn: eine beeindruckende künstlerische
Leistung. Trotzdem schwebte schon nach dem ersten Mord die Frage groß
im Raum, warum diesem noch zwei weitere folgen sollen? Das Ensemble war
insgesamt ganz auf die Produktion eingeschworen und agierte überzeugend
und einsatzfreudig. Das Klangforum Wien unter der Leitung von Finnegan Downie Dear war für diese Art von Musiktheater natürlich der ultimative Klangkörper, ebenso flexibel der Arnold Schönberg Chor.
Nur wenige Besucher verließen die Vorstellung vorzeitig. Das Theater an
der Wien war für eine Premiere aber schlecht besucht, auf den oberen
Rängen sind viele Plätze leer geblieben. Der positive Schlussapplaus
war stark und dauerte sieben oder acht Minuten lang. Am Beginn der
Vorstellung hat Intendant Stefan Herheim wegen der Ereignisse in Graz
zu einer Gedenkminute gebeten, die Premierenfeier wurde abgesagt.
Weitere Aufführungen dieses Auftragswerks des MusikTheaters an der Wien
folgen am 16., 18., 20. und 23. Juni jeweils um 19 Uhr. Für die
Folgevorstellungen gibt es noch jede Menge an Karten. Das englische
Libretto (inkl. deutscher Übersetzung) ist dankenswerter Weise Teil des
Programmheftes.