DALIBOR
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Theater an der Wien
10. August 2004

Musikalische Leitung: Kirill Petrenko

RSO Wien
Festival-Chor Klangbogen Wien

Inszenierung: Torsten Fischer
Bühne: Herbert Schäfer
Licht: Hartmut Litzinger

Dalibor - Jan Vacik
Milada - Eva Urbanová
Jitka - Mary Mills
Vladislav - Scott Hendricks
Beneš - Peter Mikulas
Budivoj - Markus Butter
Vitek - Valentin Prolat
Richter - Georg Golser, Simon Park, Dimtrij Solowjow
Zdenek - Max Böhme


Fragwürdiger Held
(Dominik Troger)

Ein kräftiges Lebenszeichen des slawischen Repertoires bietet zur Zeit Smetanas „Dalibor" im Theater an der Wien – eine Koproduktion des Wiener Klangbogens mit dem Saarländischen Staatstheater. Der nachfolgende Bericht gilt der zweiten Aufführung.

Dalibor legt es sich mit Gesetz und König an, ist naiv und heißblütig zugleich. Er hat den Tod des Geigers Zdenek in Selbstjustiz gerächt und den hinterhältigen Burggrafen von Ploschkowitz getötet. Dalibor wird zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Milada, zuerst Anklägerin im Prozess, wird von Liebe überwältigt, schleicht sich als Bursche verkleidet zu Dalibor in den Kerker, um ihn zu retten. Doch letztlich misslingt der Befreiungsplan, am Schluss sind beide tot.

Anders als im „Fidelio" – Parallelen sind unübersehbar – gehen die Gegensätze quer durch die handelnden Personen. Am deutlichsten wird das in der Figur der Milada, die zuerst Dalibor wegen des Todes ihres Bruders anklagt, sich dann in ihn verliebt und auf die Seite der Aufständischen tritt. Aber auch Dalibor ist nicht frei von Schuld. Wer unreflektiert einem abstrakten Freiheits-Ethos huldigt, vergisst rasch das Leid, dass er damit auch über andere Menschen bringen kann. Am greifbarsten wird diese Problematik im dritten Aufzug, wo die Staatsräson siegt, mit der auch der König seine Gewissensbisse beruhigt. So wird der Aufstand niedergeschlagen, Dalibor folgt Milada in den Tod. Ganz anders im Fidelio, der viel deutlicher das Schwarz und Weiß von Gut und Böse malt. Der Glaube an die „Freiheit“ – bei Beethoven umjubelte Idee – wird bei Smetana auf den Boden der politischen Realität zurückgeholt. Interessant, wie sich diese beiden Werke hier sehr sinnvoll ergänzen.

Am schwächsten scheint mir Dalibor dort, wo er dem Fidelio am nächsten steht – in der Kerkerszene des zweiten Aktes. Milada hat sich beim Gefängniswärter eingeschmeichelt und nützt dessen Wohlwollen, um sich Dalibor zu nähern. (Die Ähnlichkeit zu Beethovens Operneinzling geht bis in musikalische Details – so darf auch Milada eine große, jubelnde Arie singen, der Gefängniswärter hat viel Rocco-haftes etc.) Ganz anders dann der dritte Aufzug, die Handlung nimmt einen anderen Verlauf als erwartet, das Fluchtkomplott wird aufgedeckt, die Folgen für alle Beteiligten sind fatal. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Angriffe, denen sich Smetana nach der Uraufführung des „Dalibor“ (1868) ausgesetzt fand, sogar verstehen. „Dalibor“ ist keine Nationaloper im Sinne einer politischen Manifestation. Vor dem Hintergrund des 1867 beschlossenen Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn, musste die pessimistische Kernaussage national gesinnten tschechischen Kreisen sogar als ziemlich restaurativ erscheinen. Dalibor ist als Heros zu fragwürdig, der Aufruf zum Aufstand endet im Desaster. In gewisser Weise ist hier Smetana auch von der Tagespolitik überholt worden, denn die Arbeiten zu dieser Oper hatten schon 1865 begonnen, vor den für die Tschechen so wenig befriedigenden politischen Neuordnungen.

Aber wie nimmt sich Dalibor heute auf der Bühne aus? Die Oper bietet im Grunde, was das Zuhörerherz begehrt, und es wundert, dass man ihr hierzulande so selten begegnet. Freilich, Smetanas Sentiment scheint manchmal ein wenig problematisch und die Komposition ist nicht ohne Bruchstellen. Oft schwanken die Stimmungen ziemlich rasch. Die gefühltriefende Naivität, mit der der Revolutionär Dalibor seiner Geige und seinem toten Freund huldigt, mag man im Widerspruch zu der interessanten Behandlung des Freiheitsthemas sehen. Es braucht hier einen musikalischen Leiter, der sich mit beidem arrangieren kann, mit den aufwühlenden Chorszenen und jenen schwelgerischen Streichermelodien, die einen wirklich zu Tränen rühren könnten. Kirill Petrenko hatte hier keine Vorbehalte, verknüpfte slawische Schwermut mit glutvollem Aufbegehren und verschmolz die Dé-jà-vu Momente (denn manches von Wagner und Beethoven hat sich schon in die Komposition eingeschlichen) zu einer individuellen, gut durchgekneteten, auch im rhythmischen kraftvollen Partitur. Dazu hat er aus dem präzise aufspielenden RSO Wien einen etwas dunklen, handfesten Klang hervorgeholt, der sehr glaubhaft den Charakter des Werkes (und auch der Inszenierung) traf. Auch die Chöre waren gut getrimmt, sangen mit effektvollem Feuer. Das passte und machte sofort Lust auf mehr.

Die Sänger boten Unterschiedliches. Der Dalibor von Jan Vacik (ursprünglich war Miro Dvorsky vorgesehen gewesen) konnte mit etwas grell angeschnittenen Höhen einigen Effekt machen, hatte aber in den gefühlvolleren Passagen viel Mühe. Da trug die schmelzlose Stimme wenig, wurde fahl und im Piano ganz und gar eigentümlich, wohl auch auf Grund technischer Insuffizienz. Die Möglichkeiten eines Liebhabers und eines Helden wurden gesanglich und darstellerisch nur marginal genutzt. Dass seine Stimme erst unter einigem Druck anspringt, dieses Merkmal teilte sie mit der Milada von Eva Urbanova. Bei Urbanova konnte man das noch einer forcierten sängerischen Expressivität zu Gute halten (deren häufiger Einsatz mir in Anbetracht des erzeugten Tremolos und einer im Hintergrund lauernden Schärfe schon verdächtig erschien). Besondere Feinfühligkeit dürfte auch ihre Sache nicht sein. Ebenfalls mit einer Tendenz, sich im Ausdruck zu überfordern, agierte die Jitka von Mary Mills. Solche Einsatzkraft reißt das Publikum natürlich mit, geht aber leicht auf Kosten einer präzisen Stimmführung. Richtig solide und bemerkenswert ging es hingegen bei den weiteren männlichen Ensemblemitgliedern zu, sei es bei dem in seinem Schicksal ergreifenden Kerkermeister, den Peter Mikulas gestaltete, dem Budivoj des Markus Butter, dem im Gewissenskonflikt gespaltenen König Vladislav von Scott Hendricks, dem nur kurz auf der Bühne präsenten Vitek von Valentin Prolat – denen teilweise auch mehr Applaus spendiert wurde, als den beiden Hauptdarstellern. Am meisten Applaus und Bravos gab es sowieso für Petrenko.

Die Inszenierung von Torsten Fischer zeigte mehr die dunklen Seiten des Werkes, den Zylinderhüten und Uniformen nach in einem stark militarisierten Staat des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Als Bühnenbild kontrastierte ein verschneiter Gefängnishof ein düsteres, von einer Wendeltreppe beherrschtes Verließ: ein eisiges, trostloses "Schwarz"-"Weiß", durch das manchmal poetisch Schneeflocken trieben. Im Vordergrund mahnte die ganze Zeit über ein kleines, schlichtes Grab das Endziel aller menschlichen Bestrebungen ein. Der nachdenklich stimmende Inszenierungsrahmen hielt das Ganze gut zusammen, ohne sich in negativer oder positiver Weise besonders zu empfehlen. Eine gewisse Statik rechne ich diesmal gar nicht zu den Nachteilen. Sie wurde von Petrenko am Pult mehr als ausgefüllt.

Der Abend dauerte bis kurz nach 23 Uhr: eine Uhrzeit, die das Publikum rasch aus dem Haus scheuchte. Zuvor hat es aber noch sehr kräftig applaudiert.