LUCI MIE TRADITRICI
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Theater an der Wien
14.12.2008
Konzertante Aufführung

Text vom Komponisten nach „Il tradimento per l’onore“ von Giacinto Cicognini (1664)

Musikalische Leitung: Beat Furrer

Klangforum Wien

Il Malaspina - Timothy Sharp
La Malaspina - Anna Radziejewska
L’Ospite - Andrew Watts
Il Servo - Simon Jaunin

 


Gesualdos Tränen

(Dominik Troger)

Musiktheater auf der Höhe der Zeit stand am dritten Adventsonntag auf dem Programm des Theaters an der Wien – allerdings nur konzertant. Salvatore Sciarrino überzog den Zuschauerraum mit einem raunenden Gespinst aus Tönen. Dahinter lauerte das mörderische Eifersuchts- und Ehrendrama des Carlo Gesualdo als gespenstischer, hypnotisierender Schatten.

Der Renaissance-Komponist Carlo Gesualdo, auf den sich diese Oper bezieht, war nicht nur für seine Madrigale berühmt: Nachdem ihn seine Gemahlin zwei Jahre lang betrogen hatte, machte er im Jahre 1590 mit ihr und ihrem Liebhaber kurzen Prozess. Er täuschte einen Jagdausflug vor, kam zurück, und ermordete das „in flagrante delicto“ erwischte Liebespaar. Ähnlich dem „Orpheus“-Mythos übt diese Verbindung von Musik, Eros und Tod nach wie vor eine Faszination auf nachgeborene Komponistenkollegen aus – wie etwa auch an der „Gesualdo“-Oper von Alfred Schnittke deutlich wurde. „Luci mie traditrici“, basierend auf einem Gesualdo-Stück aus dem Jahre 1664 von Giacinto Cicognini, wurde 1998 in Schwetzingen uraufgeführt, damals unter dem deutschen Titel „Die tödliche Blume“. Die im Theater an der Wien gespielte Produktion wurde 2008 bei den Salzburger Festspielen gezeigt, dort allerdings szenisch.

Salvatore Sciarrino meidet die „theatralische“ Komponente dieses historischen „Events“ und verlagert die Geschichte in eine Traumwelt, eingesponnen in naturnah wispernde Laute, anlockend und wegversperrend wie die Rosenhecken um ein verwunschenes Schloss: Vier Sänger, die gleichsam in den hohen Fenstern dieses Schlosses stehen, leben im Parlando ihre Seelenqual, während wie ein unablässiges Echo Laute vom Garten herauftönen oder – im weiteren Verlauf der Handlung – direkt aus unbewusster Seelennacht zu sprechen scheinen.

Zuerst ergehen sich Graf und Gräfin noch in der Natur, sie sticht sich an einer Rose, er fällt in Ohnmacht. Sobald er erwacht, erklärt man sich ewige Liebe. Doch fatale Verstrickung, die Gräfin verliebt sich in einen Gast, der Diener belauscht die geheime Verabredung und verrät sie dem Grafen. Am Abend wird die Rache vollzogen. In der Dunkelheit des Schlafgemachs mutiert das erosschwangere Liebesflüstern der Gräfin zur ahnungserfüllten, furchtbelegten Stimme des Opfers – im Bett wartet bereits der gemordete Geliebte. Der Graf ersticht sie.

Sciarrino entwickelt seine Musik als hochkonzentriertes Tongeraune und Gewisper, irisierende Flageoletttöne auf den Violinen, an seltsam ausgedünnte Vogelrufe gemahnendes Geflöte, das typische geblasene „Hauchen“ moderner Gegenwartsmusik als Seufzer und vorüberhuschenden Wind. Das Metallophone als inneres Grollen, als von Ferne drohender Donner. Die Pauke erklingt nur dezent mit gedämpften Schlägen, wie erinnerte Bruchstücke eines ewigen Gesetzes, das hass- und ehrenheischig den Grafen zum Mörder werden lässt. Das Orchester besteht aus acht Streichern, Blasinstrumenten (darunter Trompete, Posaune, Saxophon) sowie Schlagwerk. Doch richtig laut wird es in den 70 pausenlosen Minuten kaum. Zudem wirkt die Musik wie ein Teppich geknüpft mit kompliziertem Muster, die Konzentration der Ausführenden war greifbar: ein Drahtseilakt von höchster Präzision gefordert.

Das Stück besteht aus zwei Akten und drei Zwischenmusiken. Der Fortgang der Handlung ist im Wechsel der Tageszeiten eingebettet: vom Liebesmorgen bis zur Todesnacht. Die Symbolik des stechenden Dorns vom Beginn und des mordenden Dolchs im Finale rundet das Geschehen wie einen Sonett. Drei Zwischenspiele gliedern außerdem die Handlung, das dritte, sich selbstvergessend im langsamen Wiederholen der sich halbierenden Paukenschläge - vier, zwei, eins – wie eine vorweggenommene Trauermusik.

Die Sänger scheinen sich entfernt noch an einen alten Gesangstil zu erinnern, die Gräfin in der Liebe sogar ein wenig verziert. Doch die Sprache wird wie die Musik auf das wesentliche verkürzt, Silben bewusst fortgelassen, ein Stammeln im Glück und im Unglück, das in unsere Gegenwart wie aus fernen Zeiten heraufmurmelt – wie ein von Spinnweben überzogenes Renaissancegemälde, die Fäden mit Tautröpfchen besetzt, die zugleich Tränen sein könnten oder funkelnde Steine: aus Gesualdos Schmerz geronnene Töne.

Trotz vieler leerer Plätze war der Schlussapplaus stark – und das anwesende Publikum hatte dem Abend hingebungsvoll und fast ohne störende Geräuschentwicklung (wie Husten etc.) gelauscht. Allen Ausführenden kann man für diese Sternstunde zeitgenössischen Musiktheaters nur aus ganzem Herzen danken.