FLAMMEN |
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Theater
an der Wien Dirigent: Bertrand de Billy Inszenierung: Keith Warner Neuproduktion des Theaters an der Wien im Rahmen des KlangBogen Wien 2006 |
Don Juan
- Raymond Very |
„Don
Juan-Rarität“ Muss Don Juan ewig lieben? Er ist verflucht! Das „Fegefeuer“ aller Frauenseelen brennt selbst in ewiger Flamme. Die Auslöschung seines Ichs ist ihm versagt – ein Sisyphos der Lust. Erwin Schulhoffs Oper „Flammen“ (1932 in Brünn uraufgeführt) brachte es im Theater an der Wien zu einem Achtungserfolg. Allerdings, ich sollte nicht so tun, als wäre der Inhalt dieser „Tragikomödie“ in drei Sätze zu packen. Das Libretto (es wurde nach einem Text von Karel Benes durch den unermüdlichen Max Brod eingerichtet) ist ein wenig kraus. Ein surrealer Traum, gereimt (!), und verfasst in jenem, heute schwer verdaulichen expressionistischen Pathos, dass sich wie ein roter Faden durch die Opernlibretti der Zwischenkriegszeit zieht. Schulhoff hat eine Szenenfolge vertont, Ausschnitte aus Don Juans „ewigem Leben“: ein Bilderbogen, der nach 11 Stationen wieder mit dem Beginn verschmilzt. Don Juan erinnert sich an alte Leidenschaften, die Todesgöttin „La Morte“ stellt ihm nach mit grausamer Eifersucht. Don Juan darf nicht sterben, der Komthur hat ihn verflucht. Aber ist er nicht ein Opfer triebhafter Leidenschaft und nur vordergründig eines seiner schlechten Moral?! Besser man hält sich an die Musik. Denn die wurde vom RSO Wien unter Bertrand de Billy facettenreich und mit anhaltender Spannung zur Geltung gebracht. Die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten des vielseitigen Orchesters und seines Chefdirigenten trafen bei Schulhoffs Partitur genau das richtige Maß zwischen hypertrophem Endzeitromantizismus und zukunftsweisender diffiziler Klangfarbenmalerei. Schulhoff erweist sich in diesem Punkt geradezu als Visionär, wohl von Srkjabin angestachelt (allerdings ohne dessen mystisch-theosophische Grundlage – Schulhoffs Interesse galt der Psychoanalyse und dem Kommunismus). Schon am Beginn kann man impressionistischen Flötenklängen lauschen, die klingen wie das Lied einer von Debussy inspirierten Faunin, die lasziv-melancholischen Gefühlen nachhängt. Das Verhauchen des Orchesters am Schluss des ersten Aktes ist ein traurig-schöner Seelenraum, der Don Juan gefangen hält. Schulhoff ist das Eigenleben der Instrumente wichtig, er setzt nur phasenweise auf überbrodelnde Orchesterwogen. An mehreren Stellen wendet er sich musikalisch-geschickt und mit quälender Selbstironie gegen seinen Titelhelden und dann gewinnt das Werk eine revuehafte Note, von der ich gerne mehr genossen hätte. Wenn sich ein Orgel-Gloria und ein Foxtrott duellieren, tanzen die „Flammen“ einen zynischen Reigen – und man versteht, dass Schulhoffs Musik einst schreckhaften Konzert- und Opernbesuchern als ruchlose Avantgarde erscheinen musste. Die Tenorpartie des Don Juan braucht viel Kraft und Höhensicherheit – sie wandelt auf Korngolds, Schrekers und Kreneks Spuren. Der amerikanische Tenor Raymond Very geizte nicht mit diesen Eigenschaften und einem zum „Genre“ passenden, hellen Stimmtypus. Iris Vermillion avancierte mit herausforderndem Mezzo als Tödin zur „Gegenspielerin“ Don Juans, zum Verlangen schürenden Archetypus des weiblichen Geschlechts. Die Frauen, der Tod und der unsterbliche Don Juan: in den Szenen nach der Pause (ausgehend von der Donna Anna-Story) lüpfte sich ein wenig der Zipfel dieser tiefenpsychologischen Geschlechteranalyse, die meist unter der Allerweltsmetaphorik des Librettos verborgen bleibt wie unter einer mit grellen Blümchen bemusterten Decke. Da hatten die beiden Hauptdarsteller Gelegenheit, Persönlichkeit zu zeigen. Und Stephanie Friede schürte mit der Darstellung wichtiger Frauengestalten aus Don Juans Leben (u.a. Donna Anna) Liebe und Leidenschaft. Das Inszenierungsteam (Keith Warner & Es Devlin) war ob der fast oratorienhaften Anlage des Stücks nicht zu beneiden. Die Idee, bei Bühnenbild und Kostümen alte Zeitungen aus dem Zweiten Weltkrieg als dekoratives Grundelement zu verwenden, verankerte das Werk historisch – was einen den Schwulst des Textes und die verstaubte Blasphemie mancher Szenen (Nonne verführt Don Juan etc.) einsichtsvoller ertragen ließ. Ansonsten folgte Warner der Handlung mit einem ausbalancierten Bühnengeschehen und nutzte, was sich an dramatischer Substanz aus den „Flammen“ herauspressen ließ. Die Publikumsreaktionen waren positiv (vereinzelte Buhrufe gegen die Regie gingen nahezu unter). de Billy und das bestens disponierte RSO Wien erhielten den meisten Applaus. Aber sehr lange hielt der Beifall nicht an. Einiges an Plätzen war leer geblieben – und ich vermute, unterm Jahr hätte man mit dieser Rarität mehr Wind gemacht als Anfang August. Drei Aufführungen gibt es noch bis 17.8. Beginn 20.00, Ende gegen 22.45 Uhr. Schulhoff,
Jahrgang 1894, starb 48-jährig im bayerischen Wülzburg, inhaftiert
als Jude und Kommunist. 1941 war er, einen sowjetischen Pass in der Tasche,
vom deutschen Einmarsch in die Sowjetunion überrascht und in Prag
interniert worden. „Flammen“ sind seine einzige Oper geblieben... |