DIE NASE

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Kammeroper
22.9.2015
Premiere

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Matthias Oldag
Ausstattung: Frank Fellmann
Lichtdesign: Norbert Chmel

Wiener Kammerchor
Chorleitung: Michael Grohotolsky

amadeus ensemble

Koproduktion der Neuen Oper Wien mit dem CAFe Budapest Festival und Müpa Budapest sowie OPER.A 20.21 - Stiftung Haydn von Bozen und Trient

Platon Kusmitsch Kowaljoff - Marco Di Sapia
Iwan Jakowlewitsch /
Iwan Iwanowitsch - Igor Bakan
Die Nase / Jaryschkin - Alexander Kaimbacher
Wachtmeister - Pablo Cameselle
Iwan, Diener Kowaljoffs - Lorin Wey

Alexandra Grigorjewna Podtotschina, u.a. - Tamara Gallo
Tochter der Podtotschina - Ethel Merhaut
Frau des Barbiers u.a. - Megan Kahts
sowie Georg Klimbacher und Karl Huml


Eine politische Nase

(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien ist in der Kammeroper zu Gast und spielt „Die Nase“ von Dimitri Schostakowitsch. Die Premiere ging am 22. September über die Bühne, weitere Vorstellungen sind am 26., 28., 30. September und am 1. Oktober angesetzt.

Bei der „Nase“ hat Schostakowitsch auf die gleichnamige Novelle von Nikolai Gogol zurückgegriffen. Die Oper wurde 1930 szenisch uraufgeführt, weitere Aufführungen in der Sowjetunion erfolgten aber erst ab 1974. Im Westen wurde „Die Nase“ ab den 1960er-Jahren häufiger gespielt. Die letzte szenische Produktion der „Nase“ in Wien ging meines Wissens 1992 ebenfalls in der Kammeroper über die Bühne.

Die Geschichte von der Nase des Platon Kusmitsch Kowaljow, die einfach „abhaut“, ist zuerst einmal eine ins Absurde abdriftende Satire, die zugleich ein weites Feld der politischen und psychoanalytischen Ausdeutung eröffnet. Die skurrile Handlung wird durch eine Menge an Bühnenpersonal zusätzlich „verfremdet“, eine fast schon filmische Schnitttechnik verklammert die einzelnen Szenen, die sich immer wieder das rasante Tempo städtischer Massenhysterie aneignen – wenn sich etwa ganz Petersburg auf die Suche nach einer angeblich herumstreunenden „Nase“ macht.

Die expressionistische Energie von Schostakowitschs Musik verschärft die „Gangart“ zusätzlich. Grotesk, schneidend, fast boshaft zur Verzweiflung treibend jagt der Komponist die Figur des Kowaljow seiner widerspenstigen Nase nach – bis er sie schlussendlich aus den Händen eines Wachtmeisters zurück erhält. Vielleicht hat er, Kowaljow, das alles nur geträumt? Schostakowitschs Musik transponiert die gehetzte Urbanität des 20. Jahrhunderts in die Gogol’sche Vergangenheit. Die (absurde) Kritik am Unsinn „liebenswürdiger“ Bürokratie und korsettstarrer hierarchischer Strukturen erhält eine Dimension, hinter der die technisierten Mechanismen eines modernen totalitären Staates lauern, der nicht einmal mehr den Trost vaterländischen Adels und volkstümlicher Religion zu spenden weiß.

Die Inszenierung von Matthias Oldag hat stark auf diesen Totalitarismus fokussiert und den „gesellschaftskritischen Vorschlaghammer“ angeworfen. Zusätzlich scheint es dem Regisseur ein Anliegen gewesen zu sein, in Kowaljow Parallelen zu Gogols (Wahnsinns-)Biographie zu verarbeiten. Der Zuschauerraum wurde diesbezüglich immer wieder genützt. Iwan, der Barbier, rennt sich dortselbst bei seinem Versuch, die aufgefundene Nase los zu werden, die Seele aus dem Leib. Von der Balkonbrüstung wird er mit lauten Schmährufen bedacht. Polizei tritt auf und nimmt nicht nur ihn, sondern gleich das Publikum in Geiselhaft. Wenig später wird sich Iwan vor der Staatsmacht ohnmächtig zeigen, sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und Mund und Augen mit Klebeband verschnüren. Ein Obdachloser lagerte bei den Eingangstüren und „belebte“ die Aufführung durch das Rascheln seines Plastik-Regenschutzes. Nach der Pause wurde dem Publikum u.a. mit Taschenlampen „heimgeleuchtet“. Fazit: Insgesamt wurde von den Darstellern ein Aktionismus ausgelebt, der viel besser auf eine Sprechtheaterbühne gepasst hätte und der die Dimensionen der Kammeroper sprengte.

Während die politische Ebene so in einer mehr antiquiert wirkenden, aber nachvollziehbaren Bildersprache abgehandelt wurde, entwickelte sich die Person des Kowaljow nach der Pause in eine seltsame Richtung. Wenn er im Tütü über die Bühne hopst, als ihm der Wachtmeister seine Nase zurückbringt, wenn er im Wahnsinn (?) selbigen offenbar umbringt und dann vom Arzt gefoltert in einer Zwangsjacke endet, dann entfernt sich die Szene schon sehr weit vom Libretto – so weit, dass der sinnvolle Zusammenhang verloren geht. Wahrscheinlich wollte der Regisseur Kowaljow aus der Schablone des Absurden herauslösen, um ihn zum Objekt großer mitmenschlicher Anteilnahme zu machen. Aber die gewählten Mittel haben beim Publikum eher die Ratlosigkeit befördert.

Die Bühne zeigte immer wieder die große Zeichnung eines Kopfes, an der Stelle der Nase ein paar rote Balken. In einigen Szenen stand ein großer Setzkasten ohne Rückwand auf der Bühne, der auch gesenkt werden konnte – etwa um Kowaljow vermeintlich zu erdrücken. Das machte einen guten Effekt. Mehrmals wurde vor einem Hintergrund gespielt, auf dem unverständlicher Weise ein Artikel zur aktuellen Ukrainekrise lesbar war. Gut gelang die Umsetzung der Zeitungsredaktion, aber nach der Pause ging der rote Faden verloren. Zudem wurde die Rastlosigkeit und Schärfe der Inszenierung im Orchestergraben nach meinem Eindruck nicht wirklich nachvollzogen. Gesungen wurde in russischer Sprache. Ob diesbezüglich alle Mitwirkenden „sattelfest“ waren, kann ich nicht beurteilen.

Marco di Sapia war ein eindringlicher Nasensucher, ein Kowaljow, der mit stimmlicher Flexibilität je nach Szene Arroganz und Verzweiflung zu vermitteln wusste. Alexander Kaimbacher trug als selbige eine helmartige, große goldene Nase, in der er steckte wie in einem Kostüm. (Die Nase hatte sogar den im Libretto angesprochenen Pickel. In diesem Punkt war die Inszenierung ganz genau.) Später mutierte Kaimbacher zum Freund Kowaljows – und in beiden Rollen ließ er seinen eindringlichen, wandlungsfähigen Tenor erschallen. Witzig und zugleich arg von seiner Frau und der Staatsmacht gebeutelt: Igor Bakan als Barbier. Für die Kammeroper gerade richtig „temperiert“ war der Tenor von Pablo Cameselle als Wachtmeister, den Schostakowitsch auch schon mal in unangenehme Höhen jagt. Megan Kahts meisterte den halsbrecherischen Einstieg als Frau des Barbiers. Tamara Gallo wachte als Mutter Podtotschina mit angenehmem Mezzo über ihre Tochter (Ethel Merhaut). Immer wieder so richtig „angriffig“: der Wiener Kammerchor. Die Premiere wurde vom Publikum mit viel Applaus bedacht.

PS: Das Programmheft enthält einen nicht unwesentlichen Fehler. Die Aufführung dauert inklusive Pause an die zweieinhalb Stunden – und keine 105 Minuten wie angegeben.