LADY MACBETH VON MZENSK

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Staatsoper
28. Mai 2023

Dirigent: Alexander Soddy


Boris - Günther Groissböck
Sinowi - Andrei Popov
Katerina - Elena Mikhailenko
Sergej - Dmitry Golovnin
Axinja - Evgeniya Sotnikova
Schäbiger - Thomas Ebenstein
Verwalter / Polizist- Hans Peter Kammerer
Hausknecht - Marcus Pelz
1. Vorarbeiter - Juraj Kuchar
2. Vorarbeiter - Oleg Zalytskiy
3. Vorarbeiter - Veli-Pekka Varpula
Mühlenarbeiter - Michael Wilder
Kutscher - Juraj Kuchar
Pope - Evgeny Solodovnikov
Polizeichef - Attila Mokus
Lehrer - Carlos Osuna
Betrunkener Gast - Franz Gruber
Sergeant - Ferdinand Pfeffer
Sonjetka - Maria Barakova
Alter Zwangsarbeiter - Dan Paul Dumitrescu
Zwangsarbeiterin - Jenni Hietala


Bis an die Schmerzgrenze

(Dominik Troger)

Männlichen Wiener Opernbesuchern sei derzeit zur Vorsicht geraten: Im Museumsquartier lauert Lulu, an der Staatsoper die russische „Verwandte“ der Lady Macbeth. Den beiden Damen kann man(n) auf unterschiedliche Weise zum Opfer fallen, im schlimmsten Fall sorgt eine Portion Pilze mit untergemischtem Rattengift für den Exitus.

Von Mzensk nach Wien ist es weit. Seit dem letzten Besuch der Lady Katerina an der Wiener Staatsoper sind sechs Jahre vergangen. Dafür hat sie sich jetzt wieder mit Haut und Haar dem Wiener Publikum verschrieben, hinterlässt ihre düstere, von Unersättlichkeit getrieben Erotik wieder eine Spur der Vernichtung und Verzweiflung auf der Bühne und im Zuschauerraum. Was ist diese „Lady von Mzensk“ nur für ein gewaltiges, an jeder Nervenfaser des Publikums und der Ausführenden zerrendes Werk – noch dazu wenn Alexander Soddy das Staatsopernorchester derart aufmunitioniert und über die akustische Schmerzgrenze treibt wie an diesem Abend.

Aber es ist schwer, ihm zu widersprechen: Dmitri Schostakowitsch zeigt sich gegenüber seinen Bühnengeschöpfen selbst von unerbittlicher Konsequenz. Wird nicht auch die Lady sterben, aber nicht so wie ihr Vorbild, wahnverschleiert, sondern ausgeglüht, seelisch vernichtet, von ihrem Sergej verraten und für ein Paar Strümpfe verkauft? Die unbändige, zügellose Energie dieses Werkes verblüfft jedesmal aufs Neue, seine Destruktivität, der einige Mitleidsinseln wie der Gesang des Alten Zwangsarbeiters im vierten Akt nur eine vage Linderung innerhalb einer brutalen Gegenwart entgegenstellen können. Denn dieser Gesang von der Endlosigkeit des Marsches ist wohl als Symbol für das menschliche Leben selbst aufzufassen, die Straße, an der man an den Leibern Verstorbener vorbeiwandert, und auf der man die zurückgelegten Werst wie die Lebensjahre zählt, die verstrichen sind.

Aber nicht alles ist so negativ zu sehen. Zeigt Schostakowitsch in seiner Lady dem Publikum doch eine selbstbewusste Frau, die sich von ihrer ehelichen „Leibeigenschaft“ emanzipiert – dabei allerdings an der „falschen“ Ecke abbiegt, weil sich ihr in dem gegebenen sozialen Kontext eigentlich nur diese eine Abbiegung anbietet. Sie ist nicht frei von Schuldgefühlen, obwohl man ihr den Mord an ihrem Schwiegervater nicht vorwerfen kann. Ihr Sergej ist dagegen ein richtiges „Früchtchen“ – Katerina leider eine Frau, die solchen Männern bis zur Hörigkeit auf den Leim geht. Die klagendzärtlichen Oboentöne, die der Komponist seiner Lady widmet, tragen außerdem so eine Tristansche Welt- und Liebesverzweiflung in sich. Es gibt sie also, die ruhigeren Momente, wie das einsame„Nachdenken“ der Solovioline, diese Traurigkeit voller Liebe und Tod. Und es spricht letztlich doch für das Dirigat, dass auch diese genug Raum erhielten, um sich elegisch auszubreiten, vom Staatsopernorchester mit viel Hingabe gespielt.

Die Wiederaufnahme dieser Staatsopernproduktion aus dem Jahr 2009 war laut Programmzettel zugleich die 17. Aufführung in dieser Inszenierung von Matthias Hartmann. Hartmann hat zumindest nichts „falsch“ gemacht, die Geschichte wird erzählt (der langsame Gifttod von Boris Ismailow ist auch so schwer genug darzustellen). Hartmann bleibt „Realist“, manchmal stark abstrahierend – aber das einsame Ehebett in der Bühnenmitte zeigt zumindest deutlich an, worum sich die Sache dreht. Sehr einprägsam ist der vierte Akt in Szene gesetzt, die Trostlosigkeit dieses Gefangenenlagers, der Spalt, der den Bühnenboden in eine männliche und weibliche Lagerhälfte trennt, die verkommene Brutalität der Wärter.

Als Katerina gab Elena Mikhailenko ihr Hausdebüt: eine schon leicht herbtönende Sopranstimme, sehr gut zum „Ambiente“ des Werkes passend, genährt von einer glühenden, expressiven Leidenschaft. Diese Lady konnte mitreißen und musste vor der Attacke des Schostakowitschen Orchesterapparates ebenso wenig klein beigeben, wie sie noch genug Stimmkontrolle für die Sinnlichkeit ihrer erotischen Sehnsüchte aufbringen konnte. Sie behauptete sich gegenüber Sergej, dem kraftstrotzenden Tenor von Dmitry Golovnin – ein Menschenpaar gerade recht, um grellmenschliche Abgründe aufzureißen. Golovnin gab einen fiesen Kerl, der Katarinas Liebe eigentlich bald überdrüssig wird, sich aber gerne als Gutsherr sehen möchte. Seine Stimme besitzt jenes zur Attacke fähige, slawische Tenormetall, das solchen Orchestermassen gegenüber ideal platziert ist. Dass er sich auch auf die Darstellung ganz konträrer Bühnencharaktere versteht, hat er erst vor Kurzem im Museumsquartier in Mieczyslaw Weinbergs „Idioten“ bewiesen.

Günther Groissböck fiel die undankbare Aufgabe zu, das Opfer von Katerinas Rattengift zu werden. Boris Ismailow ist der Böse vom Dienst, Groissböck ließ sich nicht nur zu einer grellen Brutalität verlocken, die vor allem bei der Auspeitschung Sergejs voll durchbrach. Er suchte nach „Schattierungen“ des Bösen und fand Möglichkeiten, der Figur ihre Schablonenhaftigkeit ein wenig auszutreiben. Sein Bühnensohn wurde von Andrei Popov einprägsam mit leicht metallischem lyrischem Tenor realisiert. Mit grotesker Selbstironie gestaltete Evgeny Solodinikov den Popen, auch so ein kleines, feines Detail dieser Aufführung. Thomas Ebenstein war mit seinem Charaktertenor beim Schäbigen gut aufgehoben, und die traurige Melancholie mit der Dan Paul Dumitrescu den Alten Zwangsarbeiter erfüllte, wird man für spätere Aufführungen als Maßstab nehmen können. Maria Barakova gab im Schlussbild eine verführerische Sonjetka.

Acht Minuten Schlussapplaus bezeugen die gelungen Wiederaufnahme dieser Oper im Haus am Ring: ein Werk, bei dem einem im wahrsten Sinne des Wortes „Hören und Sehen“ vergehen kann.