LADY MACBETH VON MZENSK

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Staatsoper
23.10.2009
Premiere

Dirigent: Ingo Metzmacher

Inszenierung: Matthias Hartmann
Bühnenbild: Volker Hintermeier
Kostüme: Su Bühler
Choreographie: Teresa Rotemberg

Boris - Kurt Rydl
Sinowi - Marian Talaba
Katerina - Angela Denoke
Sergej - Misha Didyk
Axinja - Donna Ellen
Schäbiger - Michael Roider
Verwalter - Hans Peter Kammerer
Hausknecht - Marcus Pelz
1. Vorarbeiter - Gerhard Reiterer
2. Vorarbeiter - Oleg Zalytskiy
3. Vorarbeiter - Martin Müller
Mühlenarbeiter - Johannes Gisser
Kutscher - Thomas Köber
Pope - Janusz Monarcha
Polizeichef - Eijiro Kai
Polizist - Hans Peter Kammerer
Lehrer - Wolfram Igor Derntl
Betrunkener Gast - Franz Gruber
Sergeant - Jens Musger
Wächter -Marcus Pelz
Sonjetka - Nadia Krasteva
Alter Zwangsarbeiter - Dan Paul Dumitrescu
Zwangsarbeiterin - Sophie Marilley

Greller Existentialismus
(Dominik Troger)

Die Premiere der Schostakowitsch-Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ wurde an der Staatsoper zu einem großen Erfolg: eine überwältigende Orchesterleistung, eine packende Angela Denoke in der Titelpartie und ein passendes inszenatorisches Umfeld sorgten für eine begeisternde Umsetzung dieser grellen Geschichte aus dem vorrevolutionären Russland.

„Lady Macbeth von Mzensk“ ist eines jener raren Werke, die im wahrsten Sinne des Wortes die Grenzen sprengen: ihm ist keine menschliche Regung fremd, vom komponierten Geschlechtsakt bis zum existentiellen Fortissimo-Aufschrei der menschlichen Kreatur spannt sich der Bogen, von einer fast schon obszön zu nennenden Parodie auf eine Gesellschaft „alter Werte“ bis zum mitleidheischenden seelisch aufwühlenden Streicherschwelgen im Geiste Gustav Mahlers. Dmitri Schostakowitsch ging bei der Veroperung einer Erzählung des russischen Schriftstellers Nikolay Leskow aufs Ganze, jugendlich ungestüm und mit revolutionärer Geste: war er doch bei der Uraufführung 1934 noch keine 30 Jahre alt.

Zwar atmet das Werk einen Hauch von der Filmpathetik eines Sergei Eisenstein – aber ohne damit ein volksgemeines vaterländisches Pathos zu bemühen: statt Panzerkreuzer und mittelalterlichem Vaterlandserretter stellt es ein Frauenschicksal in den Mittelpunkt, stellt es anhand von Katerina Ismailowa eine emanzipatorische-revolutionäre Frage, kleidet es diese Frage in die Töne der Avantgarde, die blechgeschwängerte Marschmusik bis zum grotesken Liebesspiel verzerrt. Dass es derart die Grenzen einer männlich-spießigen Revolutionsdoktrin unterminierte, zeigte sich ein Jahr nach der Uraufführung, als ein Artikel in der Prawda unter dem Titel „Chaos und Musik“ Schostakowitsch die „Ungnade“ Stalins annoncierte. Die „Lady Macbeth von Mzensk“ verschwand aus der Wahrnehmung, später sollte sie in der adaptierten Gestalt der „Katerina Ismailowa“ wieder die Opernbühnen erklimmen.

Derart ist diese „Lady“ – auch wenn man ihr die Entstehungszeit anhört – nach wie vor von drängender Aktualität – und wenn man vor allem auch die Parodie als das zeitgebundene Element begreift, wird der ungebärdige existentielle Entwurf nur umso deutlicher sichtbar, der sein Opfer Katerina Ismailowa verhöhnt und zugleich zum Prototypen des leidenden Menschen schlechthin erhöht. An Katerina Ismailowa, könnte man meinen, rächen sich die alten Götter mit aller Perfidie, ehe sie deren Spiel mit ihrem eigenen Selbstmord zurückweist. Was heute, wie mir scheint, vor allem an diesem Stück fasziniert, ist die radikale Zuspitzung auf diesen einzigen Ausweg, der sich wiederholende Machtmuster durchbricht. „Lady Macbeth von Mzensk“ ist ein „weiblicher“ „Wozzek“, abgrundtief und alles verschlingend, in eine radikale musikalische Sprache gesetzt. Aber, Berg ging da noch einen Schritt weiter – und bei Schostakowitsch bleibt es schlussendlich auch ein Befund über das russische 19. Jahrhundert, gesichtet aus der Perspektive einer vermeintlich gelungenen Revolution.

Die Staatsopern-Inszenierung von Matthias Hartmann ließ sich nur punktuell auf diesen Zeitbezug ein – etwa in der Figur des Popen, der als solcher auch kostümiert, auf (!) der langen Hochzeitstafel hin und her lief. Das „russische Element“ wurde in ein paar optische Marker sublimiert: etwa dem weißen grob fischgrätgemusterten Parkettboden, der mit seinen schwarzen, farbeabgeblätterten Sprenkeln an die Weiße von jungen Birken erinnerte – gleich Katarinas jungmädchenhaften Wünschen und Träumen. Viel mehr war das nicht, eine quadratische Spielfläche mit diesem Boden, Wände von diesem Boden rechts und links schräg gestellt, wechselndes Licht und dann dieses Doppelbett in der Mitte, Ort der Sehnsüchte und Liebesstunden. Später machte das Bett der langen Hochzeitstafel Platz und im letzten Akt dieser einöden, leicht verschneiten Steppe: immer noch das Fischgrätmuster, aber diesmal der Boden zerissen und mit dem Abgrund des Flusses, Katarinas und Sonjetkas Totenbett. Die einzelnen Szenen waren gut arrangiert, pointiert zugespitzt, durchaus grell und zupackend gestaltet – ganz im Sinne der Musik.

Musikalisch glänzte das Staatsopernorchester mit philharmonischem Klang und Spiel – und Ingo Metzmacher, der anstelle von Kiril Petrenko die musikalische Leitung übernommen hatte, feierte bei seinem Staatsoperndebüt einen grandiosen Einstand. Ihm liegen nicht nur moderne, komplexe Partituren und deren besondere strukturelle Aufgabenstellungen, er besitzt auch viel Feingefühl für Klangwelten, ihr behutsames und umso wirkungsvolleres Entwickeln, bei dem der Einsatz der Mittel wohlkalkuliert die klanglichen Eigenschaften der Instrumente abzuwägen weiß. Daraus resultierte an diesem Abend ein sehr transparentes, aber zugleich voll zupackendes Spiel, das die spätromantische Tradition und den besonderen kernweichen Wiener Steicherklang nicht verleugnete. Metzmacher brachte das Orchester auf 1.000 PS und vergaß dabei nicht auf eine geschmeidige Politur, die dem harschen avantgardistischen Kleid ein extravagantes Schillern verlieh, das seine stoffliche Rauheit mit einem angenehm zu fühlenden Seidenstoff unterfütterte: dieser Abend war wohl auch für ihn persönlich ein ganz großer Triumph.

Genauso war der Abend ein Triumph für Angela Denoke, die Katerina mit ihrem schauspielerischen und gesanglichen Exhibitionismus zu vielfältigem Leben erweckte. Ihr sinnliches Timbre, das auch einen gewissen leidenden Zug annehmen kann, ist für diese Rolle wie geschaffen. Dabei hält die Stimme der Beanspruchung stand und besitzt genügend Kraft, um den Orchestermassen Frau zu werden. Denoke ist eine Sängerin, die erst auf der Bühne ihr magisches Fluidum entwickelt, das in einer bedingungslosen Adaption des Bühnencharakters besteht und ihr Singen wirkt auf die Zuhörer nie kalkuliert. Sie macht im besten Sinne „modernes Musiktheater“ und es ist kein Zufall, das ihr besonders Rollen liegen, die ein wenig die Grenzen des klassischen Repertoires sprengen.

Gleich in einem Atemzug muss man für diesen Abend Kurt Rydl nennen, dem die Partie des Boris Ismailow hörbar stimmlich entgegen kam. Er stellte den bösen Schwiegervater voll Gemeinheit und Selbstverliebtheit auf die Bühne. Dankenswerter Weise musste ich noch niemandem zusehen, der an Rattengift krepiert – aber Rydl hat das sehr eindrucksvoll realisiert und er tappte in keine Lächerlichkeitsfalle. Marian Talaba als schwächelnder Sohn von Boris blieb auch stimmlich dem Charakter entsprechend etwas blass; Misha Didyk, Staatsoperndebüt, konnte mit Katarina nicht ganz das Wasser reichen, hielt sich aber gut.

Aus der langen Besetzungsliste stachen noch Michael Roider als Schäbiger heraus, Dan Paul Dumitrescu, der als alter Zwangsarbeiter für eine starke menschliche Perspektive im gnadenlosen letzten Akt sorgte, sowie Nadia Krasteva als Sonjetka. Der Chor war durchschlagskräftig und sehr gut präpariert.

Der Schlussapplaus dauerte 17 Minuten. Metzmacher wäre beim Vorhang fast in den Spalt des Parkettbodens gestiegen und ein schwarzer Zwischenvorhang ging zu früh herunter und hätte sich beinahe auf die Verbeugenden gesenkt. Matthias Hartmann sprang rasch von der Seite auf die Bühne, um die Sängerinnen und Sänger zu warnen. Den meisten Applaus erhielten Denoke und Metzmacher, auch Kurt Rydl wurde sehr stark akklamiert. Das Regieteam stieß auf keine Ablehnung: also ein voller Erfolg.

Fazit: Nicht versäumen!