SAMSON ET DALILA
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Staatsoper
12. Mai 2018
Premiere

Dirigent: Marco Armiliato

Regie:
Alexandra Liedtke
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Su Bühler
Choreographie: Lukas Gaudernak
Licht: Gerrit Jurda
Chorleitung: Thomas Lang

Dalila - Elina Garanca
Samson - Roberto Alagna
Oberpriester des Dagon - Carlos Álvarez
Abimélech - Sorin Coliban
Ein alter Hebräer - Dan Paul Dumitrescu
Kriegsbote - Leonardo Navarro
Erster Philister - Jörg Schneider
Zweiter Philister - Marcus Pelz

 


„Samson, der Bürgerschreck
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper probiert es nach einem Vierteljahrhundert wieder mit „Samson et Dalila" von Camille Saint-Saëns. Die Oper lässt in der Inszenierung von Alexandra Liedtke das orientalisch-biblische Sujet weit hinter sich und setzt klassenkämpferische Akzente. Das spießbürgerliche Philistertum quält Samson lustvoll, sobald er sein Haupthaar verloren hat.

Hauptattraktion der Neuproduktion ist allerdings eine Badewanne. Sie steht auf dem säuberlich gefegten Parkettboden in Dalilas Wohnung: ein in die Bühnenmitte geschobenes Zimmer als Kubus, der sich drehen kann. Die Badewanne ist außerdem mit Wasser gefüllt. Wenn Samson und Dalila sich mit Wannenwasser bespritzen, wird im Publikum da und dort gelacht. Und im Finale des zweiten Aktes lässt es der HERR sogar in das Zimmer regnen, um die Gemüter zu kühlen. Samson verfällt Dalila trotzdem – und sie beschneidet sein Haar.

Camille Saint-Saëns wusste schon, warum er die Haarschneideszene nur verkomponiert hat. Liedtke zeigt hingegen, was eigentlich hinter der Bühne geschehen sollte. Denn – und dieser Hinweis ist sehr wichtig – der zweite Akt spielt laut Libretto vor dem Haus Dalilas und nicht im Haus. Dalila bringt Samson im Finale des Aktes dazu, in ihr Haus einzutreten. Mit dem Eintritt in das Haus sind die Grenzüberschreitung und der Sündenfall Samsons psychologisch und szenisch sehr gut charakterisiert und seine emotionale Entwicklung während der langen Szene mit Dalila wird auch räumlich nachvollzogen. Aber was dann im Haus geschieht, wird nicht gezeigt. Den zweiten Akt im Haus spielen zu lassen, schwächt den dramaturgischen Aufbau stark. Seltsam, dass sich Alexandra Liedtke nicht an die Vorgaben gehalten hat, und statt dessen Dalila mit einem untauglichen Messer und einem untauglichen szenischen Ergebnis an Samsons Haarpracht herumfummeln lässt.

Zugegeben, einfach zu inszenieren ist diese Oper nicht. Der Komponist hat bekanntlich zuerst an ein Oratorium gedacht – was dem ersten Akt mit den langen Hebräerchören stark anzumerken ist. Das versklavte Volk erinnerte in den Kostümen an die Mode der Zwischenkriegszeit, die Philisterwachen trugen etwas albern geschneiderte, militärische Uniformen, und gaben sich im Gehabe eher dümmlich – genauso wie der Oberpriester, der – Zigaretten rauchend und im zweiten Akt fingerschleckend – als eine Art von „plutokratischem Überbösewicht“ blasiert durch die Gegend stapfte. Wenig ersprießlich war der Einfall, den Glaubensabfall des gottgeliebten Volkes durch Bibeln oder Gebetsbücher darzustellen, die von selbigem zu Papierschnitzeln verarbeitet werden – und vor allem dauerte das „Verschnitzeln“ viel zu lange. Während Samson im Vordergrund an seinem Volk „verzweifelt“, holte im Hintergrund noch immer ein Chorist zum jetzt wirklich allerletzten mit biblischen Versen geschmückten Konfettiregen aus ...

Eine – wenn man es denn so nennen möchte – von fruchtbarer Spannung getragene Interpretation lieferte Liedtke erst im dritten Akt mit dem Bacchanal. Die Plutokratie oder das vermögende Bürgertum oder was auch immer quälen zu den lustvollen Exotismus-Klängen Saint-Saëns genussvoll einen Doppelgänger Samsons: ein breiter Laufsteg in der Bühnenmitte, die gehobene, sich amüsierende Gesellschaft diesen von rechts und links beäugend. Der Oberpriester und Dalila fungieren als Zeremonienmeister des für die Philister vergnüglichen Gräuelaktes. Die düstere Stimmung wird potenziert, der mit biederen Orientalismen unterlegte musikalische Erotiktrip Saint-Saëns mit einer kontroversiellen Aussage „provoziert“. Das Finale wartete dann mit Feuerspielchen auf offener Szene auf; einstürzende „Alt-“ oder „Neubauten“ gab es keine.

Beim ersten Soloapplaus (auf offener Bühne) erhielt Roberto Alagna den stärksten Beifall, ein spontanes und den Verlauf der Vorstellung sehr treffendes „Urteil“. Alagna war viel weniger „ein Opfer der Inszenierung“ als Elina Garanca. sondern Alagna kam offenbar authentischer über die Rampe: ein im Herzen jung gebliebener „Idealist“, der nicht so sehr auf verführerische Stimmschönheit setzt, sondern sich mit voller Energie und metallischen Spitzentönen in die Rolle schmeißt – und dem man auch verzeiht, dass ihm der Schlusston als ultimativem, säulensprengendem Kraftakt beinahe „abgerissen“ wäre.

Elina Garanca hingegen wirkte gegenüber dem komplexen Charakter Dalilas auf mich wie von der Regie allein gelassen. Schon ihre fast fragende Gestik im ersten Akt schürten Zweifel: Soll mir Samson, so wie er mir seine muskulösen Oberarme präsentiert, gefallen? Muss ich mich in ihn verlieben, um ihn zu versklaven? Begehre ich ihn überhaupt? Bin ich nur eine kalte Rächerin meines Volkes? Garanca schien im ersten Akt stimmlich noch in der „Aufwärmphase“ befindlich, vor allem aber fand ihr Mezzo den ganzen Abend über nur zu einer blassen Tiefe, was ihre Ausstrahlung nicht verstärkt hat. Insgesamt blieb der Gesamteindruck kühl, stimmlich ab dem zweiten Akt und mit der eben gemachten Einschränkung zwar brillant, aber die schwülstige Erotik des „Mon coeur s’ouvre à ta voix ...“ schillerte mehr in der Farbe von Garancas hellblauem Bürgerfrauenkleid, als dass sie sich in ein heimlich tiefgründiges, dessous-verhülltes „Lustrot“ verwandelt hätte.

Der Rest der Besetzung ist schnell erwähnt: Carlos Álvarez hat prächtig gesungen, war aber in keinem Moment ein gefährlich wirkender, gewissermaßen mephistophelischer Oberpriester. Dan Paul Dumitrescu hat dem (hier als blindem Mann gezeichneten) Hebräer seine schöne Bassstimme geliehen. Sorin Coliban hatte als Abimélech keinen so guten Auftritt, vor allem irritierte die starke Schwingungsneigung seines Organs. Der Chor bevorzugte weder die Hebräer noch die Philister und hinterließ einen sehr guten Eindruck.

Das Orchester unter Marco Armiliato hätte ich mir subtiler gewünscht und im Tempo etwas straffer. Die Oratorienchöre im ersten Akt traten auf der Stelle und auch im zweiten Akt ging zu lange, zu wenig weiter. Dass man die flirrenden Holzbläser im zweiten Akt plastischer hätte herauslösen können, dass überhaupt diese Musik nur aus ihrer erotische Raffinesse ihre Daseinsberechtigung bezieht, kam für meinen Geschmack zu wenig heraus. Das Klangbild war mehr deckend, wenn auch in der Lautstärke meist verträglich.

Fazit: Es gab 14 Minuten langen Schlussapplaus und viele Buhrufe für das Regieteam. Die letzte Produktion des Werkes an der Wiener Staatsoper aus dem Jahr 1990 hat sich nur vier Jahre lang im Repertoire erhalten. Die Latte für diese szenisch wenig erquickliche Neuinszenierung liegt also nicht sehr hoch.