LA PASSION DE SIMONE
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Jugendstiltheater
26.11.2006

Uraufführung

Musikalische Leitung: Susanna Mälkki

Inszenierung: Peter Sellars
Kostüme: Martin Pakledinaz
IRCAM Computer Music Designer: Gilbert Nouno

Arnold Schönberg Chor
Klangforum Wien

Solistin - Pia Freund


Heiligenbild“

Die zweite Musiktheater-Uraufführung des New Crowned Hope Festivals befasste sich mit dem Leidensweg der französischen Philosophin Simone Weil. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho schuf ein Kreuzwegs-Monodram: Solistin mit Chor.

Simone Weil ist in den letzten Jahren recht populär geworden, linke Philosophin, katholische „Heilige“, Jüdin – in ihr kreuzen sich die Schicksalswege des 20. Jahrhunderts. Der forcierte Tod der Tuberkulosekranken im Jahre 1943 durch verweigerte Nahrungsaufnahme hat viel zur Mythenbildung beigetragen: ein beispielgebendes Symbol der Solidarität mit dem Leiden ihrer französischen Schwestern und Brüder am Festland? Kaija Saariaho und der Librettist Amin Maalouf scheinen dieser Auffassung zu sein – und teilen damit die spürbare Begeisterung des New Crowned Hope-Festivals, Menschen als Ikonen zu sehen (allen voran Mozart), um sie losgelöst von ihrem historischen Kontext auf ein bruchstellenloses Podest künstlerischer Anbetung zu stellen.

Das Geschehen wird in 15 biographischen „Kreuzwegstationen“ präsentiert, die aber die Thematik nur anreißen, verknüpft mit gesprochenen eingespielten Originalzitaten aus dem schriftlichen Werk von Simone Weil. Eine Sängerin (Pia Freund), ein Chor, ein Tänzer (Michael Schumacher) werden von einer schlicht ausgestatteten Bühne gerahmt (ein Tisch, eine Sessel, eine Tür: ein sehr karges Ambiente, dass die Stilisierung der Hauptperson vorantreibt). Vieles erinnert in der einfachen, den „Gegenstand“ heiligenden Grundhaltung an Olivier Messiaens „Franziskus Oper“, wobei es Messiaen mit der Verbindung von franziskanischer Naivität und tiefsinniger Frömmigkeit einfacher hatte, als die Komponistin Kaija Saariaho mit einem Sujet aus dem kaum zu Ende gebrachten 20. Jahrhundert. Auch musikalisch wandelt die Finnin, die seit 1982 in Paris lebt und arbeitet, auf den Spuren französischer Vorbilder, denen trotz eines gepflegten Intellektualismus und der Einbeziehung elektronischer Klangerzeugung (IRCAM) das Gefühl für eine aus dem Impressionismus herausgewachsenen emotionalen Klangsensorik nie verloren gegangen ist.

Dabei verschmäht die Komponistin keineswegs rigide Klangballungen, die das kleine Jugendstiltheater an die Grenze seines akustischen Fassungsvermögens bringen, aber dem stehen zartfühlende Passagen gegenüber – spätromantisch schimmern dann die Streicher durch die instrumentale Nebelkammer, vom Klangforum Wien mit viel Einfühlungsvermögen zu zartem teilchenhaften Leuchten erweckt. Die Sehnsucht nach Harmonie lässt sich nicht unterkriegen, sie gibt der Partitur einen eklektizistischen Touch, der vielleicht zu sehr auf die wohlmeinenden Emotionen abstellt, als dass er Zuhörern dabei helfen würde, die Handlungsweise der Bühnenfigur besser zu begreifen. Als Sehnsucht nach Erlösung rankt sie sich im solistischen Gebrauch einzelner Instrumente empor wie Blumen aus dornigem Weggestrüpp – Violingesänge wie aus der Ferne nachhallende jiddische Lieder, die verfremdet und ihres Ursprungs verlustig gegangen durch das Dasein irren: eine Erinnerung an Weils jüdische Herkunft, ein letztes Zeichen der Hoffnung auf mystische Gottesnähe, die sich Normalsterblichen (wenn überhaupt) nur in einem fragmentarischen Aufblitzen eröffnet?

Über die Konflikte, die an diesem Menschen zerren, erfährt man wenig. Das Libretto ist karg, setzt wohl eine eingehende Lektüre von Weils Schriften und eine tiefere Kenntnis ihrer Biographie voraus. Die Zuhörer müssen ihre „Gläubigkeit“ schon mitbringen, um sie durch Saariahos Musik kontemplativ ergänzt zu finden. Die einfache szenische Umsetzung belässt vieles vom historischen Kontext im Dunkeln, was den Zugang möglicherweise zusätzlich erschwert.

Der Applaus war zustimmend, bis auf eine deutlich hörbare Missfallensäußerung. Dauer der Aufführung: eineinviertel Stunden ohne Pause.