AN INDEX OF METALS
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Theater an der Wien
30.1.2014

Dirigent: Baldur Brönnimann

Klangregie: Peter Böhm & Florian Bogner
Videoassistenz: Massimiliano Simbula
Musical informatics: Stefano Bonetti

Klangforum Wien

Sopran - Barbara Hannigan


„Tödliche Kunsterfahrung“
(Dominik Troger)

Was ist eine Oper? Diese Frage wirft die 2003 von Fausto Romitelli komponierte „Video-Oper“ „An Index of Metals“ auf. Das rund 50 Minuten lange Stück wurde im Theater an der Wien aufgeführt.

Die Antwort des 2004 verstorbenen Romitelli (Jahrgang 1963) könnte davon ausgehen, dass die Oper seit Richard Wagner einen Totalitätsanspruch vertreten kann, der sich im Begriff des „Gesamtkunstwerks“ ausdrückt – und was ist ein „Gesamtkunstwerk“ anderes als eine „totale Kunsterfahrung“? Wenn es Romitelli vorgeschwebt sein mag, ein Stück zu schreiben, das „die profane Form der Oper in die Erfahrung einer umfassenden Wahrnehmung“ überführt, dann können auch moderne Mittel wie Videoprojektionen, wie elektronische Musik und zeitgenössische Lyrik („Hellucination“ von Kenka Lèkovich) ihren Beitrag leisten.

Und ein Publikum, das sich von drei Videospuren faszinieren lässt, die nebeneinander auf eine Leinwand projiziert werden, wird in eine ähnliche Betrachtungshaltung gelockt, wie beim Ansehen einer herkömmlichen Oper, wo das Bühnengeschehen mitreißt und die optische Wahrnehmung des Orchesters gleichsam verschwindet. Auf diese Weise sucht „An Index of Metals“ das Zusammenwachsen von visueller Farbe und auditivem Klang, spannt den Bogen von optischen Reizen über „herkömmliche“ Musik bis zur „physikalisch-elektronisch“ erzeugten, geräuschbasierten und gesampelten Klangerzeugung, sucht Hypnose, Besessenheit, Trance.

Romitelli hat dieses Werk für Sopran, ein verstärktes Ensemble mit elf Musikern, Elektronik und Video konzipiert. Die Videos zeigen zum Beispiel aus der Nähe gefilmte Ausschnitte von Metallflächen, von modernen Hausfassaden, von Plastikmüll, der zu einem brachial verzerrten Gitarrensound in der Zentrifuge eines Müllrecyclers rotiert. Im Finale treffen sich „Heavy Metal“ und „Klassik“ und hier gelingt Romitelli ein intensives Weiterspinnen von jenen saftigen E-Gitarren- und E-Bass-Klängen der frühen 1970er-Jahre, die wie zusammengekoppelte Erinnerungsfetzen als brustig dröhnende Soundkulisse die bestimmende Klangfarbe dieses Jahrzehnts heraufbeschwören. (Bereits für die Einleitung hat Romitelli – wie ein Beitrag im Programmheft ausführt – ein verknapptes Zitat von Pink Floyd verwendet, das mehrmals angespielt wird.)

Überhaupt erweist sich Romitelli mit seiner Fähigkeit beeindruckende, sozusagen „körperlich wahrnehmbare“ Klangräume zu „mischen“ als Schüler eines Gérard Grisey (der er auch gewesen ist) oder als mythischer-archetypischer „Klangbedroher“ wie ein Giacinto Scelsi. So schmilzt Romitelli traditionelle Instrumente mit elektronischen Klängen zusammen, erzeugt kompakte Strukturen, die den Videos wieder einen eigenen Rhythmus vorgeben – und so kam es, dass vor den Augen des Publikums sogar weißsilbrige Quecksilbertröpfen zu tanzen begannen: ein kühles klangoptisches Ballett. Phasenweise durften die Anwesenden derart in einem Klangrausch baden und sich visuellen Reizen hingeben, Synästhesien, die sich kaleidoskopartig auffächerten, so wie die farbigen Glasstücke in jenem Kinderspielzeug, das als multimediales „Äpfelmännchen“ unserer Vorfahren bezeichnet werden könnte.

Die depressiv-gewalttätige „Hellucination“-Lyrik wurde von Barbara Hannigan mit elastischem, lyrischem Sopran beigesteuert, einmal durch ein Megaphon gesungen und dann verfremdet und mit Atemgeräuschen garniert, das letzte Aufseufzen einer gequälten Seele. Aber Romitelli trieb es mit der Singstimme nicht zu arg, sie wirkte überhaupt ein wenig neben dem orchestralen Part platziert, mehr wie eine zusätzliche Klangfarbe, ohne stücktragende Funktion. Ein Schlüssel zum tieferen Verstädnis des Werkes könnte aber in der Verszeile „Murder by guitar“ liegen: Rockmusik und Tod, Lebenssehnsucht und klassische Romantizismen, Romitelli wurde selbst von einer tödlichen Krebserkrankung heimgesucht.

Inwieweit dieses „An Index of Metals" in einem herkömmlichen Theaterraum überhaupt funktionieren kann, sollte für zukünftige Aufführungen überlegt werden. Deshalb würde ich diesen Abend als „konzertante Aufführung“ bezeichnen, weil die klassische Platzierung von Bühne = Projektionsfläche, davor Orchester, davor Publikum, nicht aufgebrochen wurde. Auch die Klangregie wird hier an Grenzen gestoßen sein, die Effekte entsprechend räumlich „aufzudröseln“.

Barbara Hannigan und das Klangforum Wien unter Baldur Brönnimann wurden für die konzentrierte und intensive Wiedergabe vom Publikum ausgiebig bejubelt. Das Theater an der Wien war relativ gut besucht.