DIE ZARENBRAUT
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Theater an der Wien
28. April 2014
Konzertante Aufführung

Dirigent: Gennady Rozhdestvensky

Chor und Orchester des Bolschoi-Theaters

Marfa - Olga Kulchinskaya
Ljubascha - Agunda Kulaeva
Grigorij Grjasnoj - Alexander Kasyanov
Iwan Lykow - Bogdan Volkov
Sobakin - Alexander Naumenko
Maljuta Skuratow - Oleg Tsybulko
Bomelius - Marat Gali
Domna Saburowa - Irina Udalowa
Dunjascha - Elena Novak
Petrowna - Anna Matsey



„Wahnsinn und Leidenschaft“

(Dominik Troger)

„Die Zarenbraut“ von Nikolai Rimski-Korsakow wurde in Wien zuletzt im Jahre 2001 in einer konzertanten Aufführung im Konzerthaus gespielt. Ein Gastspiel von Solisten, Chor und Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters im Theater an der Wien bot jetzt die Chance, dem Werk wieder zu begegnen – abermals in einer konzertanten Aufführung.

„Die Zarenbraut“ wurde 1899 uraufgeführt. Das Libretto behandelt einen Stoff aus der Regierungszeit von Iwan dem Schrecklichen aus dem 16. Jahrhundert. Die junge Kaufmannstochter Marfa steht zwischen drei Männern: ihrem Verlobten Iwan Lykow, dem Bojaren Grigori Grjaznoj, der sie durch einen Liebestrank gefügig machen möchte, und schließlich dem Zaren, der sie überraschend ehelicht. Letztlich wird sie aber das Opfer der Eifersucht von Ljubacha, Grjaznojs Geliebter, die einen Anschlag mit einem Gifttrank initiiert, den der Arzt Bomelius zusammenbraut. Marfa, zu diesem Zeitpunkt schon Zarin, erkrankt daran – und verfällt in Wahnsinn, als sie erfährt, dass ihr Verlobter Lykow beschuldigt wurde, sie vergiftet zu haben und hingerichtet worden ist. Im Finale gestehen Grjaznoj und Ljubacha ihre Schuld an dem Komplott gegen Marfa. Ljubascha bittet Grjaznoj, sie zu töten. Ein Wunsch, dem er unverzüglich nachkommt. Dann liefert er sich dem Zaren aus. Marfa bleibt zurück und träumt von ihrer Liebe zu Lykow.

Musikalisch bietet die „Zarenbraut“ eine Mischung, die sich aus der russischen Folklore und klassischen Tradition von Glinka her (stark in den Ensembles zu spüren) ebenso speist wie aus Tschaikowskys Opernschaffen. Und in Marfas „Wahnsinnsarie“ hat der Komponist seine Schöpfung mit einer guten Brise Bellini abgeschmeckt: Marfas Verwirrtheit hebt sich dadurch deutlich vom blutrünstigen Geschehen ab und verleiht ihr durch Belcantoanklänge eine unwirkliche Aura von naiver, rührender Unschuld. Die Zuspitzung der Handlung wird immer wieder durch längere „Arien“ unterbrochen, in denen sich der Romantiker Rimski-Korsakow auslebt, der sich in der „Zarenbraut“ zudem einmal mehr als raffinierter Arrangeur von Klangfarben erweist.

Die konzertante Aufführung im Theater an der Wien basierte auf einer szenischen Neuproduktion der Oper, die im Februar im Moskau Premiere hatte. Ursprünglich hätte der Musikdirektor des Bolschoi-Theaters, Vassily Sinaisky, die Premiere dirigieren sollen. Dieser trat aber im Dezember 2013 von seinem Amt zurück. Für ihn sprang Gennady Rozhdestvensky ein – in Wien kein Unbekannter, war er doch Anfang der 1980er-Jahre Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Rozhdestvensky, der 1951 (!) am Bolschoi-Theater debütiert hat, dirigierte mit sehr sparsamer Gestik, aber manchmal so impulsiv, dass der Taktstock lautstark auf die Partitur schnalzte (in die er überraschender Weise ziemlich oft hineinblickte).

Das Orchester spielte mit typisch „russischem“ Klang, nicht übertrieben gefühlsbetont, aber durchaus romantisch-breit, sehr effektvoll und gut ausbalanciert im Fortissimo. Das Klangbild erschien mir aber insgesamt nicht so delikat und durchgestylt wie beim Orchester des Mariinski Theaters unter Valery Gergiev, das diesen Jänner mit Berlioz im Konzerthaus gastiert hat. Es wurde etwas zu laut gespielt und gesungen – aber das passiert den meisten Orchestern und Sängern, die mit der klaren, besonders gut tragenden Akustik des Theaters an der Wien keine Erfahrung haben. Trotzdem kamen die spezifischen Klangfarben sehr gut heraus, ebenso die solistischen Momente im Orchestergraben. Szenenapplaus ließ Rozhdestvensky kaum zu oder unterdrückte ihn durch rasches weiterdirigieren.

Als „Zarenbraut“ bot das Bolschoi-Theater ein Mitglied des 2009 gegründeten Young Artist Opera Program auf, mit dem das Haus den Sängernachwuchs fördert. Die junge Sopranistin Olga Kulchinskaya bot als Marfa eine reizvolle Bühnenerscheinung, sie fand für Marfas Wahnsinn auch die richtige Mischung aus poetischer Entrücktheit und zärtlich-naivem Liebessehnen. Bei forcierter gesungenen Spitzentönen klang ihr lyrischer Sopran zu unelastisch, da war sozusagen noch ein dünnes Metallband herumgewickelt. Als Iwan Lykow stand ein weiteres Mitglied des Young Artist Opera Program auf der Bühne: der Tenor Bogdan Volkov. Er wirkte auf mich in der Bühnenausstrahlung und im Ausdruck noch leicht verhalten, ließ aber einen schönen, lyrischen Tenor hören, schlank, sicher geführt, mit metallisch gefärbtem „slawischen Kern“, der in der Höhe dominanter war, in der Mittellage machte sich aber schon ein erster Anflug von dunklerer Färbung bemerkbar.

Den Bojaren Grjaznoj sang Alexander Kasyanov, ein ziemlich rau timbrierter, „schwarzer“ Bariton, mit einem Zug ins heldische, aber auch zu lyrischer Verhaltenheit fähig. Kasyanow zeigte eine starke Bühnenpräsenz und war als zwielichtiger Bojare ein passender Gegenspieler zu Ljubascha, die Agunda Kulaeva dank ihrer in der Mittellage eindrucksvollen, dunkel gereiften und kräftigen Mezzostimme mit viel Erotik und Leidenschaft ausstattete. Lediglich in der Höhe schlich sich eine leichte Schärfe ein. Ljubaschas A-capella-Lied im ersten Akt sowie ihr Duett mit Grjaznoj zählten zu den Höhepunkten des Abends.

Die weitere Besetzung war etwas uneinheitlich, Alexander Naumenko mit väterlich-abgemildertem Bass als Sobakin stand mit Irina Udalova eine etwas „enervierend“ klingende Kaufmannsfrau gegenüber. Irina Udalowa hat die Domna Saburowa schon 2001 in der eingangs erwähnten Aufführung im Konzerthaus gesungen – damals mit größerem Erfolg als an diesem Abend. Der Arzt Bomelius wurde von Marat Gali beigesteuert, ein etwas trocken timbrierter, hier durchaus seinen Platz findender Charaktertenor, die Rolle des Mijuta Skuratow vom jungen, aufstrebenden Bass Oleg Tsybulko, erst seit letztem Jahr Ensemblemitglied des Bolschoi. Wie zu erwarten stand auch bei den übrigen Mitwirkenden inklusive dem Chor eine etwas härterer Stimmfärbung im Vordergrund. Die Chorszene am Beginn des zweiten Aktes wurde nicht gespielt.

Der Schlussapplaus war stark, dauerte rund sieben bis acht Minuten lang. Mitten in den Beifall huschte plötzlich von rechts ein Mann auf die Bühne und platzierte ein großes Blumenbukett an der Rampe, an das zwei lange schmale Bänder in den Farben der russischen Nationalflagge „Weiß-Blau-Rot“ geheftet waren: offensichtlich eine patriotische Würdigung des Ensembles und des Komponisten.