DIE ZARENBRAUT
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Zurück

Konzerthaus
7.12.2001
Konzertante Aufführung

Dirigent: Vladimir Fedosejev

Wiener Symphoniker
Slowakischer Philharmonischer Chor

Marfa - Iride Martinez
Ljubascha - Marjana Liposek
Grigorij Grjasnoj - Andrzej Dobber
Iwan Lykow - Zoran Todorovich
Sobakin - Alfred Burgstaller
Maljuta Skuratow - Sergej Alexaschkin
Bomelius - Eberhard Francesco Lorenz
Domna Saburowa - Irina Udalowa
Dunjascha - Larissa Kostiuk
Petrowna - Alexandra Durseneva


"Russische Seele "
(Dominik Troger)

Nach der erfolgreichen szenischen Aufführung von Rimski-Korsakow's Oper "Der goldene Hahn" im Sommer 2000 bei den Bregenzer Festspielen scheint jetzt so eine kleine Rimski-Korsakow Opern-Rennaissance einzusetzen - was auch wirklich eine gute Idee sein könnte, wie die konzertante Aufführung seiner "Zarenbraut" im Wiener Konzerthaus zeigte. Allerdings wurde diese "Zarenbraut" auch sehr professionell und "schnörkellos" umgesetzt, wofür man wahrscheinlich zu allererst Vladimir Fedosejev zu danken hat. Er nahm die "Zarenbraut" gewissermaßen so an sich, wie es der unglückliche Bojare Grigorij Grjasnoj gleich in seiner Auftrittsarie besingt: "Früher sind wir, wenn ein Mädchen uns gefiel, nachts überraschend aufgetaucht, rissen die Tür aus den Angeln, ab mit der Schönen in der Troika und auf und davon." (Nachdem der Schreiber dieser Zeilen des Russischen nicht mächtig ist, wird hier die Übersetzung von Manuela Jobs aus dem Programmheft zitiert.)

Den Bojaren Grjasnoj hat da schon eine Art von Liebes- und Lebensüberdruss angeflogen, der ihn letztlich in eine fatale Dreiecksstory verwickeln wird. Denn seine - und die war noch geraubt - Gespielin Ljubascha hätte er gerne durch die Tochter eines Kaufmanns, Marfa, ersetzt. Marfa ist aber Iwan Lykow versprochen und liebt ihn auch. Grjasnoj möchte sich von einem als "Hexenmeister" verrufenen deutschen (!) Arzt einen Liebestrank brauen lassen, um ihn Marja einzuflößen, aber seine frühere Geliebte, Ljubascha, bekommt das mit und organisiert sich von eben demselben Arzt ein Mittel, dass Zug um Zug die Schönheit eines Menschen zerstören kann. Sie vertauscht eifersüchtig das Liebespulver mit dem Destruktionspulver; und - wie es des Schicksal so will - Marfa trinkt das Zeug auch wirklich. Inzwischen war der Zar aber schon auf Brautschau, und hat sich Marfa erwählt, zum ewigen Gram von Lykow. Kaum verheiratet wird Marfa krank und verfällt in eine Art Wahnsinn, als sie erfährt, dass Grjasnoj Lykow beschuldigt hat, sie verhext zu haben - und sicherheitshalber hat er ihn dann auch gleich umgebracht. Da deckt aber Ljubascha auf, dass sie an Marfas Krankheit schuld ist. Grjasnoj ersticht sie und begibt sich als Gefangener zum Zaren, um sich selbst anzuklagen.

Das Libretto regte jedenfalls das anwesende Publikum immer wieder zum Schmunzeln an, die emotionale Tiefe der russischen Seele lässt sich in deutscher Sprache wohl nicht so ganz glaubwürdig ausdrücken. Eine gewisse Erheiterung bis Irritation hat auch der Satz ausgelöst, den Ljubascha ausruft, ehe sie Bomelius, dem Arzt, in sein Haus folgt, um dort den Kaufpreis (eine Liebesnacht) für das böse Pulver abzuzahlen: "Schlepp mich in deine Hundehütte, Deutscher!"

Von kaum zu übertreffender Direktheit ist auch der Tod Ljubascha's im vierten Akt:
Ljubascha: "Nun töte mich auch ganz! Stich zu, Mörder!" - Grasnoj: "Da hast du's!" Er sticht zu. Ljubascha: "Danke!" Sie sinkt zu Boden. "Direkt ins Herz!"

Möglicherweise haben auch da und dort Striche dazu beigetragen, die Aussage etwas zu (über-) kürzen. Was aber in Summe sicher kein Fehler war. Rimski-Korsakow hat die Angewohnheit, die Handlungsdramatik immer wieder durch längere Arien zu unterbrechen, die schon eine fast konzertnahe Eigendynamik entwickeln. Man nimmt diese Verzögerungen im Handlungsablauf gern in Kauf, weil es sich dabei um wahre Gustostückerln handelt, aber es liegt auf der Hand, dass die Homogenität des Werkes an sich darunter leidet. Hier kam aber zum Glück wieder Vladimir Fedosejew ins Spiel, der sich ganz darauf verstand, diesen dramatischen Zug nicht zu verpassen und der auch exaltierte "Romantizismen" in der Orchestrierung nicht dazu nützte, um sich dem Klangfarbenteppich, den der Komponist da ausgelegt hat, als "sanftes Ruhekissen" hinzugeben. Dieser Realismus hat natürlich einiges an möglicher Klangwirkung eingespart, aber das differenzierte Spiel der Wiener Symphoniker erfreute einen trotzdem ungemein.

Dieser Teppich an Klangfarben reicht von Pizzicato-Passagen bis zum gesanglichen Solo-Vortrag - Ljubaschas Arie im ersten Akt, die Marjana Lipovsek imposant gestaltete. Diese Partie liegt ihr überhaupt und ewig schade, dass man voraussichtlich hierzulande nie die Gelegenheit haben wird, sie in einer "inszenierten" Zarenbraut auf der Bühne zu bewundern. (Die wenigen Höhenklippen umschiffte sie gekonnt - die Bandbreite ihrer Stimme nach oben hat sich in den letzten Jahren hörbar eingeschränkt.)

Überraschend war überhaupt das hohe Niveau der Sängerriege bis in die Nebenrollen hinein. Neben der schon erwähnten Marjana Lipovsek bezauberte Iride Martinez als Zarenbraut Marja. Martinez verlieh der Partie fast ein wenig von italienischem Opernflair, und der traum-wahnsinnige Schluss weckt sowieso Belcanto-Assoziationen. (Allerdings war sie im Konzerthaus nicht dazu gezwungen, ihre Stimme wirklich zu fordern, und es ist zu befürchten, dass sie unter anderen Bedingungen genötigt ist, selbige mehr zu forcieren, um dadurch viel an lyrischer Qualität einzubüßen.) Andrzej Dobber durchmaß stimmsicher mit gefühlvollem Vortrag und dramatischer Akzentsetzung die Höhen und Tiefen des Bojaren Grjasnoj. Mit ihm könnte sich - vor allem auch für das italienische Fach - ein neuer Weltklasse-Bariton ankündigen. Zoran Todorovich blieb als Lykow auch nichts schuldig. (Sein Tenor hat diese gewisse Härte und Sprödigkeit, die ihn vor allem für das slawische Fach prädestiniert - aber möglicherweise lässt sich da noch einiges weicher und runder ausformen, weil sein Timbre insgesamt ein wenig beengt wirkte.) Und Irina Udalowa (Domna Saburowa) vom Bolschoi-Theater hätte man gerne gleich für eine Lisa oder gar für eine Tosca engagiert. Auch der russische Kaufmann des Salzburgers Alfred Burgstaller war voller russischer Seele und Bass-Tiefe (was man von einem hiesigen ja nicht unbedingt erwarten darf). Dem deutsche Arzt lieh Eberhard Franceso Lorenz seinen "Intriganten-Tenor", ebenfalls eine Stimme mit Zukunft. Alles in allem gab es für alle Beteiligten viel Applaus von einem dankbaren Publikum.

Als Resümee des Abends stellt sich aber wieder einmal die Frage, warum an der Staatsoper seit Jahren die Ausdünnung des slawischen Repertoires betrieben wird. Die "Zarenbraut" hätte keine Probleme, es mit so manchem Donizetti-Aufguss aufzunehmen. Aber nicht nur Rimski-Korsakow hat hierzulande derzeit zu wenige Fürsprecher.