DER GOLDENE HAHN
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Theater an der Wien
29. April 2014
Konzertante Aufführung

Dirigent: Pavel Klinichev

Chor und Orchester des Bolschoi-Theaters

Zar Dodon - Vladimir Matorin
Zarewitsch Gwidon - Borys Rudak
Zarewitsch Afron - Konstantin Shushakov

Polkan - Nikolay Kazansky
Amelfa - Tatyana Erastova
Sterndeuter - Stanislav Mostovoy
Die Königin von Schemacha - Venera Gimadieva
Der goldene Hahn - Darya Zykova



„Kikeriki auf Russisch“

(Dominik Troger)

Am zweiten Tag des konzertanten Gastspiels von Solisten, Chor und Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters im Theater an der Wien stand die letzte Oper von Nikolai Rimski-Korsakow auf dem Programm: „Der goldene Hahn“, 1909 uraufgeführt.

Mit dem „Goldenen Hahn“ hat Rimski-Korsakow einen großen Schritt hin zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts getan. Seine musikalische Ironie und die gesellschaftkritische Absurdität der Oper habent bis Dmitri Schostakowitsch ausgestrahlt. Das satirische Märchenstück nach Alexander Puschkin, in dem Zar Dodon seine Söhne, sein Reich und zuletzt sein Leben verliert, weil ihn ein „Goldener Hahn“ mit seinem Schnabel zu Tode peckt, ist voller boshafter Schärfe, deren Konturen von einem morgendländischen Märchensujet maskiert werden, das sich musikalisch vordergründig in eine „Sheherazade“-ähnliche Romatik hüllt – eine Verkleidung, die Rimski-Korsakows Komposition aber immer wieder brutal zerreißt, so wie das „Kiriki“ des Hahnes die selbstgefällige Gemütlichkeit des Zaren. Der Hahn wurde dem Zaren von einem Astrologen geschenkt – und soll das Reich vor Feinden warnen. Vor dem Hintergrund der polítischen Entwicklung in Russland nach 1900 verwundert es nicht, dass die Zensur des Zarenreiches über Rimski-Korsakows neues Werk alles andere als erfreut war. Der Krieg gegen Japan war eben verloren gegangen und unter den Massen gärte es, wie die niedergeschlagene Revolution des Jahres 1905 beweist.

Die Aufführung hinterließ einen homogeneren Eindruck als die „Zarenbraut“ am Vortag, was auch am ausgewogeneren Ensemble lag, das von Vladimir Matorin angeführt wurde, der den Zaren Dodon nicht nur sang, sondern trotz konzertanter Aufführungssituation im bühnendramatischen Sinne verkörpert hat. Der Sänger ist nicht mehr der jüngste, sein weißer Bart schon zu einiger Fülle gequollen, und er saß die meiste Zeit leger auf einem Sessel, die Noten vor sich auf einem Pult, und hielt dort quasi Audienz. Aber die Königin von Schemacha sollte ihn aber sogar zum Tanzen bringen, ihn aus der Reserve locken, eine junge Schönheit, die einem alten Geck den Kopf verdreht. Matorins Bass vermochte auch ohne Kostüm diesem alten Märchenzaren einen treffenden Charakter zu geben, ein bisschen schmierig, nicht sehr sympathisch, von Selbstüberschätzung strotzend und lüsternd beim Anblick der jungen Königin. Trotzdem konnte man in den Augenblicken, wenn der Zar über seine toten Söhne klagt, Mitleid empfinden – und da lag plötzlich ein weiche Trauer in diesem Bass, an der die ganze künstlerische Größe und Wandlungsfähigkeit dieser Stimme zu ermessen war.

Als Königin von Schemacha bezauberte Venera Gimadieva, die in ihrer jugendlichen Bühnenerscheinung und im Gesang verführerisch und elegant den Kampf mit dem ausgelaugten Zarenreich aufnahm, und es natürlich schaffte, als Zarin von Dodon auf den Thron gehoben zu werden. Sie bewahrte dabei die Luftigkeit einer morgenländischen Fee, transparent wie eine Fata Morgana, um dann wieder plötzlich schnippisch und sehr konkret die Sache zwischen ihr und dem Zaren auf den Punkt zu bringen. Ihr locker geführter und beweglicher lyrischer Koloratursopran passte vorzüglich zu dieser Rolle, typisch „slawisch“ in der Grundfärbung, aber ein wenig an die französische Tradition erinnernd, mit einem weichen, aber diamantenen Funkeln im Timbre wie viele kleine Rubine. Die Qualität der Mittellage schien mir bei den Spitzentönen etwas nachzulassen, in großen Häusern könnte die Gefahr bestehen, dass die Sängerin zu stark zu forciert. Es ist keine Überraschung, dass Gimadieva gerade auf dem Sprung zu einer internationalen Karriere ist.

Um die beiden gruppierte sich ein gutes Ensemble, begonnen beim Bassbariton von Nikolay Kazansky als General Dodon und dem Sterndeuter Stanislav Mostovoy, einer hohe Tenorpartie, die in diesem Fall mit einer etwas engen, gehärteten Stimme einher ging, die den agitatorischen Charakter der Rolle treffend kennzeichnete. Der Sterndeuter ist unter anderem für einen kurzen Prolog und einen kurzen Epilog zuständig, der die Handlung rahmt, und das Publikum zur kritischen Distanz einlädt. Zwei junge Sänger aus dem Bolschoi-Förderprojekt für junge Opernsänger sangen die kurzen Partien der Zarensöhne: Tenor Borys Rudak (Zarewitsch Gwidon), Bariton Konstantin Shushakov (Zarewitsch Afron). Die Haushälterin des Zaren lag bei Tatyana Erastova in der Kehle einer trotz langer Karriere immer noch recht klangvollen Mezzostimme – die die Partie auch mit dem nötigen Humor auszustatten wusste. Darya Zykova hatte als Goldener Hahn für eine ganze Reihe an mit „Kiriki!“ eingeleitete Zweizeiler zu sorgen – keine große Partie, aber dramaturgisch wichtig.

Das Orchester unter Pavel Klinichev brachte sowohl die Ironie des Stücks bestens heraus, als auch die ruhigere romantisch-orientalische Färbung, mit der Rimski-Korsakov den märchenhaften Hintergrund und die Königin von Schemacha koloriert hat. Der präsente Chor beeindruckte vor allem am Beginn des dritten Aktes, den Rimski-Korsakoff bis zum Hochzeitszug des Zaren aufheizt. Der Schlussapplaus war stark, dauerte aber etwas kürzer als am Tag zuvor. Es waren, so wie am Vortag, auch viele russische Besucher anwesend.

Fazit: Wäre es nicht spannend, hierzulande den Opernkomponisten Rimski-Korsakoff einmal gebührend zur Diskussion zu stellen – vielleicht im Rahmen eines längeren russischen Gastspiels im Theater an der Wien?!