DAS SONNENHAUS / AURINGON TALO
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Jugendstiltheater
Baumgartner Höhe
8.11.2004
Öster. Erstaufführung am 4.11.04
Musikwerkstatt Wien in Kooperation mit dem Konservatorium Wien

Musikalische Leitung: Huw Rhys James

Regie: Peter Pawlik
Bühne: Berhard Hammer
Kostüm: Susanne Özpinar
Lichtdesign: Harald Michlits

Symphonieorchester des Konservatoriums Wien

Noora - Ingrid Habermann
Riina - Foula Dimitriadis
Eleanor/Die junge Noora - Maren Engelhardt
Irene/Die junge Riina - Magdalena Hofmann
John/Hermesson - Andreas Jankowitsch
Victoria von Sonnig/Viktooria Vilunen - Eva Steinsky
Victor von Sonnig/Vikke - Roman Payer
Gregor/Rekku - Gottfried Falkenstein

Maximilian - Harald Georg Wurmsdobler
Allesandro Riccioni/Santeri Risonen - Sebastian Huppmann


Finnische Allerseelen
(Dominik Troger)

Man nehme ein Caritas-Möbelzentrallager und bringe es aus der horizontalen in die Vertikallage. Ob das ein Bühnenbild ergibt? Es ergibt! Aber ob das wirklich ein passendes Ambiente für Einojuhani Rautavaaras Oper „Das Sonnenhaus“ (Uraufführung 1991 in Finnland) gewesen ist, wage ich doch zu bezweifeln.

Die Aufschichtung des imposanten Möbelberges muss ein gewagtes Ingenieurs-Kunststück gewesen sein. Er lagert mächtig im linken vorderen Saaleck, verdeckt fast bis zur Hälfte die funktionslos im Hintergrund vor sich hindarbende Guckkastenbühne. Rechts, gleich beim Publikumseingang, hat man schräg das Orchester platziert. Der Kasten-, Tisch-, Kredenz-Berg reicht bis zu den Beleuchtungsapparaturen hinauf und erfordert von den Mitwirkenden die Trittsicherheit von Hochgebirgs-Gemsen. Dass sich unter solchen Umständen ein mehr statisches und kein besonders körperbetontes Spiel entwickelt, verwundert nicht.

Aber der Eindruck dieses Möbelgebirges ist schon irgendwie imposant. Denn als Zuschauer räkelt man talgebunden in ausgedienten Feuilletons, sperrig oder bequem, oder auf Ledersofas, ganz wie man sich setzen möchte. Die Besucher versinken in den abgewetzten Sitzgelegenheiten – zum Zuhören, Kuscheln, Schlafen etc. Man zieht sich die Schuhe aus, streckt das Bein auf dem freien Sofaplatz neben sich, wirklich eine entspannte Atmosphäre.

Währenddessen beginnt nach kurzem Vorspiel die Oper, die Bühne bevölkert sich mit den Zwillingsschwestern Noora und Riina von Sonnig, die in einem verwahrlosten Haus leben, Erinnerungen nachhängen, am Schluss sich mit ihren längstverstorbenen Angehörigen zu einem ins Jenseits hinübergleitenden Totentanz treffen. Es ist eine „Allerseelen"-Oper, manchmal zwar etwas grotesk (aber das ist eine Facette, die der Tod so an sich haben kann), meist aber von einem streicherunterfütterten Sentiment gespeist, das dem Wissen um die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens huldigt: ein bisserl Kitsch, ein Träne im Augenwinkel, eine Grabesrose im Knopfloch. Leider verstand man den Text nicht allzu gut – trotz deutscher Bearbeitung des finnischen Librettos – aber da wird von „weißen Tauben" duettiert und die alten Damen haben Mädchenträume von längstverflossenen Liebschaften. Gegenwart und Vergangenheit verdrehen sich zu einem Handlungsfaden, der sich rasch abspult und nach eineinhalb Stunden in einem Leben und Tod versöhnenden Schlusstableau endet.

Angeblich ist es die Beleuchtung einer nahen Tankstelle, die ins Haus strahlt, und die immer wieder tagträumerische Phasen der Schwestern auslöst, in denen sie die Selbstmorde von Vater und Bruder noch einmal erleben, Alpträume und Liebeshoffnungen. Dass sie dann Vergangenheit und Realität verwechseln, wen verwundert es: der Postbote sieht wie der Vater aus, der erwartete Liebhaber entpuppt sich als Rechtsanwalt, der das Haus kaufen möchte. Dieser mögliche Verlust des Hauses nimmt ihnen den Lebenswillen, das Finale hebt an. (Der Handlung liegt eine wahre Begebenheit zugrunde – das einzelgängerische, rückwärtsgewandte Leben von Zwillingsschwestern, die mit ihren Eltern im Zuge der russischen Revolution nach Finnland geflohen waren. Der Komponist war 1987 durch eine Zeitungsnotiz auf diese Geschichte gestoßen, die über den Erfrierungstod einer der inzwischen 85 Jahre alten Schwestern berichtet hatte.)

Rautavaara (Jahrgang 1928) hat viel Augenmerk auf Stimmungen gelegt, er fördert das Mitgefühl, er schürt Betroffenheit. Aber es geht um keine Anklage von Lebensumständen, der Tod erscheint versöhnlich, meditativ, ein romantischer Abgesang auf das Leben im allgemeinen, ohne schicksalwütigem Aufbegehren. Man muss wohl älter sein, um diese feine Melancholie richtig schätzen zu lernen. Nennt er sich selbst doch einen „Romantiker“: „Ein Romantiker hat keine Koordinaten; er ist gleichzeitig gestern und morgen – aber nicht heute.“ (Programmheft der Produktion).

Die Musik, die Rautavaara komponiert hat, stützt diese „Romantik“ sehr stark, verschrecken möchte er niemanden. Er hat Berg, Strauss, Korngold gleichsam sublimiert, ist mit seiner „Spätromantik“ nicht sehr weit von Britten entfernt. Auch wenn er einmal moderne Tanzrhythmik einbaut, meistens schweben und flächen die Streicher so dahin, ein wenig luzid, eine mystisch umwölkte Zeitlosigkeit vortäuschend. Heißt es im Text nicht (ich zitiere wieder nach dem Programmheft): „Die Zeit ist jetzt, hier, jetzt und immer.“ Die Singstimmen sind sehr am Gesang orientiert, meiden Extreme, böten die Möglichkeit Stimmen aufblühen zu lassen in melancholischen Farben.

Interessant, dass das Bühnenbild und auch die Inszenierung meinten, sich mit deutlichem Realismus behelfen zu müssen. Und wenn die Szenen zwischen Realität und Vision wechselten, wurde das Publikum in ein von farbigen Scheinwerfern gespeistes Lichtbad genommen, dass man nur mehr das Programm vor die Augen halten konnte. Fürchtete man doch die Trivialität, den Kitsch? Zwar ergaben sich ganz überraschende Auftrittsmöglichkeiten durch Kastentüren und von unüberwindbar scheinenden Tischgraten, aber irgendwie inszenierte man für meinen Begriff an der im Kern verinnerlichenden Stimmung dieses Werks vorbei.

Das SängerInnenensemble und das Orchester unter Huw Rhys James sorgten dafür, dass das Kennenlernen dieser Oper (österr. Erstaufführung) auf einer fundierten und guten musikalischen Basis erfolgen konnte. Die Sängerakustik schien mir nicht immer ideal, vor allem bei Tönen aus den höheren Regionen dieses Kastengebirges. Das hat die Textverständlichkeit womöglich erschwert. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass mit einem exzellenten Ensemble das Werk wirklich aufblüht, dass dann längst vergangene Opernzeiten noch einmal lebendig werden, dass der „Schnee vom vergangenen Jahr“ noch einmal in wehmütigen Sentenzen durch unsere Opernhäuser weht – wie eine liebevolle, von sanfter Ironie umschmeichelte Erinnerung.