ANIMAL FARM |
Home |
Wiener
Staatsoper Musikalische
Leitung: Alexander Soddy |
Old
Major - Gennady Bezzubenkov Chor-Soli |
An der Staatsoper hat das Publikum noch bis 10. März Gelegenheit, sich mit Alexander Raskatovs Vertonung von George Orwells „Animal Farm“ bekannt zu machen: Eine Mühe, die sich letztlich doch mehr lohnt, als dass man sie eigener Erwartungshaltungen wegen scheuen sollte. An diesem Dienstagabend ging die dritte Vorstellung dieser Neuproduktion über die Staatsopernbühne. Das Haus war sehr gut besucht, wie immer mit hohem touristischen Anteil. Die Abwanderungstendenzen in der Pause hielten sich sogar auf dem Stehplatz in Grenzen. Nach den Eindrücken von der Premiere habe ich mir nicht mehr allzuviel erwartet, aber gerade darin liegt der Reiz von solchen „Zweitbegegnungen“, dass man vom Erstkontakt ernüchtert, das Dargebotene noch einmal auf den Prüfstand stellt. Alexander Raskatovs Herangehensweise ist eigentlich trivial: Die Annäherung von Tierlauten und menschlicher Stimme ist zu allererst einmal ein leicht nachvollziehbarer „Trick“, der einer karnevalesken Belustigung gut anstehen würde. Viel zu lachen gibt’s in diesem Fall aber nicht. Die Schweine werden zu Menschen und verrohen dabei – und die von Tierlauten abgeleiteten Singstimmen werden schließlich zum Ausdruck der Vertierung des Menschen selbst und entlarven dadurch die Hohlheit revolutionärer Phrasen. Insofern hat der Komponist die Fabel weitergedacht. Orwells Geschichte endet mit der „Vermenschlichung“ der Schweine. Raskatov legt aber nahe, dass die vermenschlichten Tiere ihre „Stimmen“ nicht los werden. Sie können zwar ihr Äußeres anpassen, aber durch den Klang ihrer Sprache ihre tierische Abkunft nicht verleugnen. Derart entblößt Raskatov im neuen, durch die Revolution „geborenen“ Menschen das Tier – oder zumindest das „Schwein“ – und Napoleon gerät ihm zu einem janusköpfigen „Stalin“ mit Sauschädel. Die musikalische Zeichnung der Tiere ist individuell und wird durchgehalten, sie ist genau das, was dieses Werk ausmacht: das dümmliche Federvieh wie Hühner und Enten, das im zweiten Teil im Gleichschritt und in „minimalistischer Monotonie“ Napoleon seine Huldigung darbringt; die „individualistischer“ gezeichneten Pferde: der treuherzige Arbeiter Boxer und die mit schrillem Sopranwiehern nach Zucker und Liebe gierende Mollie; die klugen Schweine: Squealer ist das klügste von allen, Napoleon das brutalste; aber über allen thront der demagogische Rabe Blacky, der den großen Vorteil hat, dass er einfach davon fliegen kann, wenn er bei Napoleon in Ungnade fällt. Für
die Sängerinnen und Sänger ergeben sich daraus allerdings enorme
stimmliche Anforderungen: wie der raumfüllende „Quietschtanz“ den die
Sängerin Holly Flack als Millie beizutragen hat (ihre Mittellage
kam hingegen etwas „flach“) oder dieser mit gesanglicher
„Hinterlist“ gesegnete Blacky, den Elena Vassilieva
zu einer maßgeblichen Bühnenerscheinung ausgestaltet – Blacky schon im
ersten Teil als wendiger „Candysugar-Prophet“ und im zweiten als
giftspritzenschwingender Henker Snowballs. Vielleicht den markantesten
Eindruck hinterließ für mich aber Andrei Popovals
Squealer, dem es die hohe Tessitura der Partie ermöglichte, den
schweinischen Propagandaminister mit eloquenter, durch tenoralen Glanz
geschickt getarnte Grausamkeit auszustatten. Napoleon ist dumpfer gekennzeichnet, mit bauernschlauer Brutalität gesegnet, wird er von Wolfgang Bankl sehr gut charakterisiert. Aber Squealer und Blacky sind dankbarere und „schillerndere“ Rollen. Wenn Napoleon im Finale sinngemäß feststellt, das von jeder Person für ihn eine Gefahr ausgeht, nur nicht von einer toten, dann fasst er seine von einer tiefen Sehnsucht nach epikureischer Selbstgefälligkeit getriebene Weltsicht auf zynisch-behäbige Art gut zusammen. Die Darstellung solcher Momente scheinbar lapidarer Pointenhaftigkeit zählt ohnehin zu den Bühnenkunststücken Bankls – ehe er dann im Finale mit gezücktem Messer auf die lange Tafel steigen muss, um ein Spanferkel zu tranchieren. So wird schlussendlich Napoleon noch als „Menschenfresser“ entlarvt. Der Umgang mit den Stimmen ist Raskatovs eigentliche „Innovation“– der Orchesterpart wirkte auch bei der Zweitbegegnung auf mich mehr wie eine aus der Musikhistorie zusammengetragene „Illustration“ (von Schostakowtisch bis Schnittke samt einem dezenten Schuss Britten). Insofern wird Raskatov zum kompositorischen „Fliesenleger“, der aber kein einheitliches Muster legt, sondern kleinformatige Bruchstücke aller möglichen Farben und Stile (auch Jazz, Musical, Belcanto) aneinanderreiht – nur so manche gezupfte Note (Kontrabässe, Harfen) legt sich als markantes „Plong ... plong“ passend dazwischen wie eingetrocknete Blutspritzer. Die Inszenierung von Damiano Michieletto gibt sich überraschend konventionell. Es ist seltsam, aber zweihundert Jahre alte Opern werden mit allen Mitteln heutiger „Kunst“ und Interpretationsgelüste in die Gegenwart gezerrt, aber bei neuen Musiktheaterproduktionen stößt man immer wieder auf fast „bieder“ zu nennendes Regiehandwerk. Gerade bei einem Musiktheaterstück wie „Animal Farm“, das einen zu einer kaleidoskopartigen Verschmelzung rezeptionshistorischer und -gegenwärtiger Welt- und Werkgeschichte hätte verleiten können, überrascht dann doch diese naiv-schrille Theatersprache, auf die sich Michieletto beschränkt hat. Insgesamt
ergibt sich also eine Produktion, die trotz beeindruckender Ensemble-
und Orchesterleistung mehr hätte bieten können, als im Wesentlichen
Orwell nachzuerzählen – und die in der jetzigen Form und nicht ohne Reiz vor allem
den Intellekt „kitzelt“. Rund fünf Minuten langer
Beifall beschloss den Abend. |