ANIMAL FARM

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
 

Wiener Staatsoper
28. Februar 2024
Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Alexander Soddy

Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Klaus Bruns
Choreographie: Thomas Wilhelm
Licht: Alessandro Carletti
Choreinstudierung: Martin Schebesta, Davorin Mori

Old Major - Gennady Bezzubenkov
Napoleon - Wolfgang Bankl
Snowball - Michael Gniffke
Squealer - Andrei Popov
Boxer - Stefan Astakhov
Benjamin / Young Actress - Karl Laquit
Minimus - Artem Krutko
Clover - Margaret Plummer
Muriel - Isabel Signoret
Blacky - Elena Vassilieva
Mollie - Holly Flack
Mr. Jones - Daniel Jenz
Mrs. Jones - Aurora Marthens
Mr. Pilkington - Clemens Unterreiner

Chor-Soli
1. Mann von Pilkington/1. Sanitäter - Yechan Bahk
2. Mann von Pilkington/2. Sanitäter - Michael Mensah
1. Mann von Jones - Siegmar Aigner
2. Mann von Jones - Benedikt Berndonner


„Unspannende Erstbegegnung“

(Dominik Troger)

„Schweine“ gibt es überall – das hat schon der britische Schriftsteller George Orwell geahnt. An der Wiener Staatsoper kleiden sich Orwells revolutionäre Bauernhofschweine von der „Animal Farm“ jetzt in die Form zeitgenössischen Musiktheaters.

„Animal Farm“, die neue Oper von Alexander Raskatov, wurde letztes Jahr in Amsterdam uraufgeführt. Es handelt sich um ein Auftragswerk der Dutch National Opera und der Wiener Staatsoper. Raskatov hält sich im Wesentlichen an die Handlung der Orwellschen Fabel, hat aber den Bezug zur Stalinzeit im Libretto noch um ein paar historische Zitate und durch das Einfügen von zwei kurzen Szenen verschärft.

George Orwell hat in der „Animal Farm“ seine Erfahrungen verarbeitet, die er im Spanischen Bürgerkrieg gemacht hat. Er entkam damals mit knapper Not stalinistischen Säuberungen, die unter anderem spanische Trotzkisten im Visier hatten. Die „Bauernhof-Revolution“ ist seine Kritik am Kommunismus. Er beschreibt, wie auf der „Animal Farm“ der Kampfruf „Alle Tiere sind gleich“ zum inzwischen sprichwörtlich gewordenen: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ mutiert. Damit hat Orwell abseits von historischen Zeitbezügen auch eine offensichtliche Grundtendenz revolutionärer Bewegungen beschrieben, neue diktatorisch orientierte Führungsschichten herauszubilden.

Orwells Text ist 1945 erschienen und hat eine üppige Rezeptionsgeschichte ausgelöst, der Stoff wurde verfilmt, als Theaterstück und als Musical verarbeitet. Jüngere Bearbeitungen scheinen sich zunehmend von der dem Werk innewohnenden Kommunismuskritik zu lösen, liegt der Zerfall der Sowjetunion doch auch schon wieder 30 Jahre zurück. Dieser Verweis auf die Rezeptionsgeschichte ist insofern wichtig, weil mir an diesem Premierenabend nicht klar wurde, welche Stelle die Oper von Alexander Raskatov in diesem Kontext einnehmen könnte – hatte ich doch den Eindruck einer ziemlich spröden und knapp formulierten Nacherzählung ohnehin längst bekannter Tatsachen.

Zu allererst bietet Raskatovs Vertonung aber einen Zirkus „human-animalischer“ Stimmvirtuosität: Mit gesanglich assoziiertem Pferdewiehern und Schweinequicken treibt er Ausführende mit höchsten Tönen an die Belastbarkeitsgrenzen ihrer Stimmbänder, mit rhythmisch vertrackten, wortwiederholenden und „barock“ ausgezierten Phrasen minimiert er zudem die Verständlichkeit des englischen Librettos für das Publikum. Dazu gesellt sich ein enormer Orchesterapparat. Allein was sich in der Schlagwerkabteilung tummelt, würde ein Lexikon füllen – und sicher würde sich beim mehrmaligen Hören daraus so mancher Witz und sublimer Hinweis auf das Bühnengeschehen ableiten lassen. Dabei vermittelt Raskatov Komposition den Eindruck, als habe er das musikalische Erbe des 20. Jahrhunderts durch einen Fleischwolf gedreht. Das ist bezogen auf Orwells „Animal Farm“ künstlerisch zwar ehrlich, ob sich das Publikum darin wiederfindet, steht auf einem anderen Blatt.

Die Inszenierung von Damiano Michieletto hatte einen großen Anteil daran, dass der Premierenabend nur zäh voranschritt. Michieletto hielt sich mit historischen Bezügen stark zurück, agierte nach dem Motto: Wenn der Regie nichts mehr Gehaltvolles einfällt, dann richtet sie Scheinwerfer aus der Bühnentiefe auf das Publikum – derart geblendet wird dieses sicher bemerken, dass das gezeigte Stück ein „politisches“ ist. Er hat die Szene in einem Schlachthof angesiedelt, er wollte damit der „Idylle“ eines „Bauernhofes“ entgegenwirken: Aber er setzte die Handlung dadurch in ein zu einseitiges Licht – und die gedrängte Handlung machte es der Regie außerdem schwer, sie klar zu strukturieren. Trotzdem muss man den Bauern und die Bäuerin nicht als seltsam überkandidelte Karikaturen zeigen, einen unmotivierten Auftritt im Zuschauerraum inbegriffen. Bei solchen abgehalfterten Gegnern werden die Mühen der Revolution unglaubwürdig.

Am Beginn stecken viele Tiere in Käfigen, Old Major paradiert davor und redet von seinen Zukunftsvisionen. Am Schluss gibt es ein Gelage mit Spanferkel und nicht nur bezogen auf dieses Festmahl „denaturierten“ Schweinen. Trotz Tiermasken ist nicht immer klar, was gerade vor sich geht. Aber die Masken verschwinden nach und nach. Die Verwandlung der Schweine in „Menschen“ steckt Napoleon in ein blitzblaues Sakko und Squealer in einen schwarzen Anzug. In der geläufigen szenischen Verallgemeinerung verdünnte sich der warnende Appell von Orwells Geschichte. Hätten Regisseur und Komponist die Handlung stärker variieren sollen, die Erzählperspektive verändern, um dem Thema neue Facetten abzugewinnen? Aber derart schmeckte die Aüfführung wie „alter Wein in neuen Schläuchen“.

Das Ensemble wurde durch die nach meinem Eindruck nicht gerade stimmenfreundliche Komposition ziemlich herausgefordert. Praktischer Weise wurde ein Teil der Uraufführungsbesetzung von Amsterdam nach Wien übernommen. Holly Flack als Mollie hatte im wahrsten Sinne des Wortes „Höchstes“ zu leisten, aber auch Elena Vassilieva war als Rabe Blacky dazu herausgefordert trotz der hohen Anforderungen an die Partie zu singen und nicht zu krächzen (was ihr gelang). Andrei Popov musste seinen schlanken lyrischen Tenor zum Squealer transformieren. Bei aller Bewunderung für den gekonnten Einsatz der sängerischen Mittel, über die ganze Aufführung gerechnet gestaltete sich diese vom Komponisten betriebene Ausbeutung der Singstimmen mehr monoton als anregend.

Der stimmlich tiefgründig angelegte Old Major von Gennady Bezzubenkov klang hingegen zu ermattet, vielleicht auch wegen der Schweinemaske. Auch von Wolfgang Bankl hätte ich mir stimmlich mehr „Saft und Kraft“ gewünscht. Aber die Ensembleleistung war insgesamt beeindruckend – und Alexander Soddy hat sich im Orchestergraben mitsamt dem Staatsopernorchester hochkonzentriert der komplizierten Partitur angenommen. Doch am Schluss standen nach zweieinhalb Opernstunden (inklusive einer langen Pause) für mich mehr offene Fragen als überzeugende Anworten im Raum.

Am Schluss gab es für die Sängerinnen und Sänger sowie den Dirigenten starken Applaus und Bravorufe. Der Komponist wurde ebenfalls mit viel Applaus bedacht. Beim Regieteam klang er schon etwas verhaltener. Nach knapp sieben Minuten wäre der Applaus fast verebbt, aber eine Handvoll Klatscher erhielt ihn am Leben – und dann gabs doch noch einen Vorhang und nach „dünnem“ Weiterklatschen kam das Ensemble noch einmal rechts von der Seite auf die Bühne. Wer sich an den über zwanzig Minuten langen Schlussapplaus für die Staatsopern-Uraufführung von Aribert Reimanns „Medea” im Jahr 2010 erinnert, für den haben sich die rund zehn Minuten Beifall für „Animal Farm” nicht wie ein durchschlagender Premierenerfolg angehört.