DER SPIELER

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Staatsoper
4.10.2017
Premiere

Dirigentin: Simone Young

Regie: Karoline Gruber
Bühnenbild: Roy Spahn
Kostüme: Mechthild Seipel
Licht: Ulrich Schneider
Choreographie: Stella Zannou


General a.D. - Dmitry Ulyanov
Polina - Elena Guseva
Alexej - Misha Didyk
Babulenka - Linda Watson
Marquis - Thomas Ebenstein
Blanche - Elena Maximova
Mr. Astley - Morten Frank Larsen
Fürst Nilsky - Pavel Kolgatin
Baron Wurmerhelm- Marcus Pelz
Potapitsch - Clemens Unterreiner
Casino-Direktor - Alexandru Moisiuc
E rster Croupier - Vladimir Potansky
Z weiter Croupier - Raoni Hübner de Barros
Dicker Engländer - Slavis Besedin
G roßer Engländer - Christian Pursell
Bunte Dame - Regine Hangler
Blasse Dame - Ileana Tonca
Dame comme ci comme ça - Alexandra Yangel
V erehrungswürdige Dame - Sabine Kogler
Verdächtige Alte - Viktoria Schwindsackl
Hhitziger Spieler - Leonardo Navarro
K rankhafter Spieler - Santiago Sánchez
Buckliger Spieler - Wolfram Igor Derntl
E rfolgloser Spieler - Manuel Walser
Aalter Spieler - Marcus Pelz
1. bis 6. Spieler - Alejandro Pizarro-Enriquez, Wataru Sano, Martin Müller, Konrad Huber, Dominik Rieger, Franz Gruber


Der Spieler, ein Frauenmörder?

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat ihre erste Premiere in der neuen Saison gezeigt: Sergej Prokofjews „Der Spieler“. Die Oper – gefertigt nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor M. Dostojewski – hat der Komponist während des I. Weltkriegs begonnen. Uraufgeführt wurde sie aber erst 1929.

Bemerkenswerter Weise handelte es sich bei dieser Premiere um die erste (!) Eigenproduktion einer Oper von Sergej Prokofjew an der Wiener Staatsoper. „Der Spieler“ wurde im Haus am Ring aber bereits gegeben: im Jahr 1964 als Gastspiel des Belgrader Nationaltheaters. Im Oktober 2007 erklang das Werk im Rahmen eines Gastspiels des Mariinsky Theaters im Theater an der Wien unter der musikalischen Leitung von Valery Gergiev.

Die Oper „Der Spieler“ ist – im Gegensatz zur Romanvorlage – eine etwas spröde „Kost“. Wie oft bei Romandramatisierungen verliert der Stoff an Konsistenz. Zwar enthält Dostojewskis Text sehr viel an direkter Rede, die sich leicht in eine dramatische Form bringen lässt, aber Prokofjew, der sich das Libretto selbst eingerichtet hat, musste natürlich auswählen und zusammenfassen. Die Opernhandlung endet beispielsweise früher als der Roman – und die Ich-Perspektive (Dostojewski erzählt die Geschichte aus der Sicht des 25 Jahre alten Hauslehrers Alexej) gibt dem Text ohnehin eine ganz spezifische, schwer auf das Theater zu übertragende Sichtweise.

Prokofjew hat die Oper als Konversationsstück komponiert. Musikalisch kleinteilig und mit rhythmisch-satirischer Raffinesse gewürzt bietet sie knappe Deklamation anstelle romantischer Ausschweifung. Dazu gesellt sich die Dynamik der Spielsucht, die nach der Pause in der großen Rouletteszene mit musikalischer Sogwirkung das eigentliche Zentrum der Oper schafft. Vom Roulette werden die Figuren aufgesogen und – ihres Geldes und damit auch ihres gesellschaftlichen Wertes entledigt – wieder ausgespuckt.

Die geschilderte Gesellschaft ist zudem ausgehöhlt und besitzt keine moralische Grundlage mehr. Alexej glaubt zwar noch an die „wahre“ Liebe, auch wenn seine Emotionen schwankend sind. (Schon im ersten Kapitel beschreibt Dostojewski das schwierige Verhältnis von Alexej zu Polina: Liebe bis zur Selbstaufgabe, aber auch Hass bis zu Mordgelüsten. Alexej macht sich jedenfalls zum Sklaven seiner Herzensgebieterin, die Spass daran findet, ihren Verehrer zu demütigen.)

Auch wenn Alexej in der Oper die Hauptfigur darstellt, sein Beziehungsgeflecht wird etwas knapp gezeichnet, es braucht den ersten und auch Teile des zweiten Aktes, bis die Handlung „steht“. Erst der überraschende Auftritt der alten, reichen Babulenka, deren baldiger Tod das finanzielle Überleben des Generals und seiner Familie als Erben hätte garantieren sollen (und die dann ihr Vermögen verspielen wird), verleiht der Handlung neuen Schwung.

Die Inszenierung von Karoline Gruber siedelt das Bühnengeschehen natürlich nicht in einem Hotel an, so wie es Prokofjew vorgegeben hat, sondern in einem schon etwas desolaten Pferdekarussel. Allein dadurch wird die Handlung versymbolisiert und verliert an kritischem Potenzial und an Stringenz. Außerdem haben ein Hang zum szenischen „Surrealismus“ und eine in Details recht opulente „Jahrmarktsoptik“ (etwa der Auftritt von Baronin und Baron Wurmhelm mit einem alten Flugzeug, der Auftritt der Babulenka mit Partyluftballons) zwar optisch für Abwechslung gesorgt, aber nicht unbedingt die Kontur des Stückes herausgearbeitet. Wenig anfangen konnte ich weiters mit der szenischen Umsetzung der Rouletteszene, in der Alexej, auf einem Spieltisch stehend, mit seltsamer Gestik seinen Spielerruhm genießt. Ein großer zerbrochener Spiegel blinzelt zudem bedeutungsschwanger in das Auditorium. (Meiner Meinung nach benötigt diese Geschichte keine Verfremdung, weil sie einerseits psychologisch durchaus fundiert ist, andererseits aber einen zwar überspitzten, aber realistisch-möglichen Blick auf eine bereits dekadente, zaristische Gesellschaft wirft. „Der Spieler“ ist keine satirische Märchenoper wie der „Der goldene Hahn“ von Rimski-Korsakow aus dem Jahre 1909.)

Die Regisseurin hat außerdem Dostojewski genau gelesen, deshalb erwürgt Alexej seine Geliebte am Schluss – die Regie setzt die im ersten Kapitel des Romans geschilderte Hassphantasie des Ich-Erzählers also in die Opernrealität um. Sie verändert damit natürlich die Aussage der Oper fundamental. Außerdem wächst Alexej in der großen Spielszene sogar eine Greiferklaue an Stelle der rechten Hand. Die Spielgier hat ihn deformiert – aber muss er deshalb auch zum Mörder werden? (Prokofjew steigt mit der Szene aus der Romanhandlung aus, in der Polina das ihr von Alexej angebotene Geld zornig zurückweist. Alexej bleibt als einsamer Spieler zurück.)

Gruber hat die Opferrolle Polinas dadurch stark aufgewertet, das Stück sozusagen „feministisch“ interpretiert. Im Interview, das im Programmheft zur Aufführung nachgelesen werden kann, schließt sie aus den starken emotionalen Stimmungswechseln Polinas auf traumatische Erfahrungen. Sie hat diese Sichtweise in die Inszenierung eingebaut. Im Bühnenhintergrund hat Polina eine Art von „sexueller“ Interaktion mit dem Marquis. Das Ergebnis dieser „Interaktion“ ist ein mit Blutflecken übersätes weißes Tuch, dass Alexej als „Brief“ überreicht wird.

Wie die Oper interpretiert werden könnte, zeigte an diesem Abend (mit Hausdebüt) vor allem Dmitry Ulyanov als General: stimmlich durchschlagskräftig, mit selbstironischer Spielfreude gewürzt und starkem Ausdruck. Seine große Szene nach der Pause war der eigentliche Höhepunkt des Abends. Alexej wurde von Misha Didyk mit einer mir schon zu trockenen und im Ausdruck zu einförmigen Tenorstimme gegeben, mehr jugendlich-heldischer Überschwang hätte Alexej auch ganz gut getan. Die Polina der Elena Guseva (ebenfalls Hausdebüt) zeigte ihre Unnahbarkeit mit einem etwas harten Sopran. Thomas Ebenstein führte als Marquis seinen schneidenden Charaktertenor ins Feld, was durchaus passte, und die Babulenka der Linda Watson wirkte auf mich zu harmlos und stimmlich etwas blass. Aber das gilt eigentlich für den ganzen Abend und die meisten Mitwirkenden – auch für das, die Prägnanz von Prokofjews Musik zu stark „verwässernde“ Orchester unter Simone Young, von dem ich mir ein schärfer akzentuierendes, mehr auf einen modernen Konversationston hingetrimmtes, und vor allem im ersten und zweiten Akt die Handlung stärker vorwärtstreibendes Spiel gewünscht hätte.

Das Publikum spendete rund 10 Minuten langen, starken Schlussapplaus. Die Regie wurde ohne Missfallensbekundung zur Kenntnis genommen.