A STREETCAR NAMED DESIRE
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Theater an der Wien
6.3.2007
Österreich. Erstaufführung am 28.2.07

Dirigent: Sian Edwards

Libretto: Philip Littell nach dem gleich-namigen Theaterstück von Tennessee Williams
Inszenierung: Stein Winge
Austattung: Johannes Schütz
Licht: Franz Peter David

Wiener Symphoniker

Blanche DuBois - Janice Watson
Stanley Kowalski - Teddy Tahu Rhodes
Stella Kowalski - Mary Mills
Harold (Mitch) Mitchell - Simon O`Neill
Eunice Hubbell - Christa Ratzenböck
Steve Hubbell - Erik Årman
A Young Collector - Ulfried Haselsteiner
Mexican Woman - Mihaela Ungureanu


Endstation Sehnsucht...
(Dominik Troger)

André Previns Oper „A Streetcar Named Desire“ – nach dem gleichnamigen Stück von Tennessee Williams – wurde im Theater an der Wien in einer konzentrierten, unter die Haut gehenden Produktion umgesetzt. Nachstehender Bericht fußt auf der dritten Aufführung, die letzte, vierte Aufführung wird am 9.3. gespielt.

Previn als Opernkomponist, das ist ein geschickter Arrangeur, der mit Gespür für kleinteiligere Strukturen das gesungene Wort in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt. Er erzeugt einen kontinuierlichen, kurzwelligen musikalischen Bewusstseinsstrom aus dem die Sprache als klar konturiertes Eiland herausragt und starke Selbständigkeit bewahrt. Die großen emotionalen Wogen werden meist gebrochen. Die Musik spiegelt, könnte man sagen, den psychischen Mikrokosmos wieder, mit dem die tragische Hauptfigur des Stückes, Blanche Dubois, ihr traumatisch fragmentiertes Bewusstsein zusammenhält.

In romantisierenden Streicherklängen, die in der grundsätzlichen Handschrift ein wenig an Richard Strauss erinnern, erklärt sich dabei ihre Sehnsucht nach Liebe – ebenso wie die der anderen Mitwirkenden (abgesehen vom brutalen Kowalski, dem Previn sogar ariose Einsprengsel versagt). Wenn Mitch seiner verehrten Blanche Rosen schenkt, blitzt sogar kurz der „Rosenkavalier“ auf – als einprägsames Symbol für die Gefühlsästhetik, die Sehnsuchtsfolie, in der Blanches Traumwelt schillert. Deutlich wird das auch in der Gegensätzlichkeit des Schlusses: zuerst schenkt sich Blanche in emotionalem, sich aufschaukelndem Pathos noch eine „Arie“ von Meer und Liebe und Hoffnung, die schon beinahe als kitschige Reproduktion herkömmlicher Opernseligkeit erscheint – während kurze Zeit später ein Ostinato, begleitet von dezenten, aber unerbittlichen Paukenschlägen ihren Weg in die Arme des Nervenarztes begleitet. Besonderes Augenmerk gilt auch immer wieder Solostellen, etwa den Celli: wenn Blanche erfährt, dass ihre Schwester schwanger ist, schwelgt in ihnen eine musikalische Spätromantik, die weich und zart den Traum von einem zukünftigen Glück beschwört.

Bei Previns Musik geht es, denke ich, nicht um Eklektizismus, sondern um eine aus der Spätromantik bezogene musikalische Formensprache, die auch als Referenzsystem für den psychischen Reifegrad, die Hoffnungen und Sehnsüchte der Bühnenfiguren gesetzt wird. Blanche oder auch ihre Schwester und Mitch tragen die schwärmerischen Hoffnungen einer überlebten Gefühlswelt in sich, verleugnen die Brutalismen der Gegenwart, in der sie leben (und die Previn im Orchester manchmal derb, heftig und blechgetragen zuspitzt). Das Ergebnis ist ein wenig monochrom, eine Sehnsucht, die durch etwas verdeckt wird, die sich in ariosen Ausflügen, sogar in angedeuteten Duetten die Bahn bricht, melodiös, aber nicht als durchgeformte und wiederholte Melodie gestaltet. Die heile Welt ist auf der Bühne schon zerbrochen, aber ihre mögliche Gegenwart wird in der begleitenden Musik noch erfühlt: es gibt einen Hoffnungsschimmer, der immer wieder streichergesättigt in die enge zwei Zimmerwohnung der Kowalskis streut. Erst am Schluss ist es auch mit dieser Hoffnung vorbei, weil sie sich als Selbstbetrug entlarvt. Dann enden Stück und Musik...

Keine Frage, Previn möchte dem Theaterstück möglichst gerecht werden – und deshalb lässt er sich auch viel Zeit im Ablauf der Handlung. „A Streetcar Named Desire“ ist kein schnelles Stück, kein Reißer, sondern das Geschehen entwickelt sich subtil vom ersten Auftauchen Blanches bei ihrer Schwester Stella, über die Intrigen von Stellas Ehemann, der die Lebenslüge von Blanche zerstört, bis zur finalen Katastrophe. (Als Zuseher sollte man sich darauf einstellen: die Aufführung im Theater an der Wien dauerte etwas über drei Stunden (mit einer Pause). Der erste und zweite Akt werden in einem Zug gespielt, rund eindreiviertel Stunden lang.)

Die zunehmende Destabilisierung von Blanches Psyche und des sozialen Gefüges, in das sie so unvermittelt hineinschneit, sind aus heutiger und europäischer Sicht sicher der spannendere Teil als die im Stück verpackte Südstaatenproblematik und das daran anknüpfende Gesellschaftsmelodram. (Eine moderne Diagnose von Blanches Verhalten könnte zum Beispiel auf eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung hinauslaufen). Die Oper schärft den Blick für diese Details und macht den Stoff „zeitloser“.

Das Sängerteam agierte sehr homogen und entsprach sehr gut den geforderten Charakteren. Man kann hier schwer „aufs gerate Wohl“ besetzten. Für Mitch wird im Libretto zum Beispiel sogar das Gewicht genannt, er wird zudem als dicklich, gedrungen und schwitzend geschildert. Simon O´Neill konnte das bestens vermitteln, dazu passte sein geradliniger Tenor, der nicht viel Raffinement, aber eine gewisse Naivität verstreut. Blanche ist ohnehin eine schwierige Rolle, schon wegen der hohen schauspielerischen Anforderungen, der unterschwelligen sexuellen Attraktion, den Bewusstseinstrübungen etc. Janice Watson hatte das bestens im Griff, wirkte ein wenig abgelebt, mehr robuster Natur. Auch im Gesang entwickelte Watson keine filigrane, verblasste Südstaatenschönheit, das war animalischer, triebkräftiger. Stella hat es da leichter – und Mary Mills lieh ihr viel Herzlichkeit und eine mehr jubelnde Stimme. Stanley (Teddy Tahu Rhodes) punktete mit einem durchtrainierten Körper. Gesanglich war er präsent, die Rolle des Raubtiers, die ihm irgendwie zukommt, personifizierte er bestens. Aber ob er als Charakter wirklich so einfach gestrickt ist? Die Regie hat ihm die Rolle jedenfalls sehr eindeutig, vielleicht auch zu simplifizierend zugeteilt.

Im wesentlichen hat das Inszenierungs-Team um Stein Winge beste Arbeit geleistet und das Stück prägnant umgesetzt. Die Drehbühne wurde mit einzelnen Raumelementen der Kowalksi-Wohnung bestückt: Küche, Wohnzimmer, Badezimmer. Der Handlung werden klare Konturen verliehen, es gibt keine peinlichen Momente. Die räumliche Enge, die von den Protagonisten oft beklagt wird, konnte man auf der offenen Bühne allerdings nicht nachvollziehen. Die Wiener Symphoniker boten unter der Leitung von Sian Edwards eine hervorragende Leistung. Das gesamte musikalische Erscheinungsbild war von großer Klarheit und Konzentration getragen, auch in Abstimmung mit der Bühne.

Das Theater an der Wien war recht gut gefüllt, seitlich gab es im zweiten und dritten Rang einige größere Lücken. Es waren auch nicht alle Logen besetzt. Das Applaus war anhaltend stark, mit Bravorufen angereichert. Geklagt wurde schon zur Pause ein wenig über die Länge, persönlich habe ich das nicht so empfunden. Dass die Produktion nur vier Mal gespielt wird, ist schade, aber aus kommerziellen Gründen verständlich. Eventuell ist ja eine Wiederaufnahme möglich.