DIALOGUES DES CARMÉLITES
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Staatsoper
21. Mai 2023
Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Magdalena Fuchsberger
Bühne: Monika Biegler
Kostüme: Valentin Köhler
Licht: Rudolf Fischer
Video: Aron Kitzig
Choreographie: Christian Herden
Choreinstudierung: Thomas Lang

Marquis de la Force - Michael Kraus
Blanche - Nicole Car
Le Chevalier de la Force - Bernard Richter
Madame de Croissy - Michaela Schuster
Madamee Lidoine - Maria Motolygina
Mère Marie - Eve-Maud Hubeaux
Soeur Constance - Maria Nazarova
Mère Jeanne - Monika Bohinec

Soeur Mathilde - Alma Neuhaus
L´Aumonier
- Thomas Ebenstein
1er Comissaire - Andrea Giovannini
2éme Comissaire - Jusung Gabriel Park
Officier - Jack Lee
Geôlier - Clemens Unterreiner
Thierry - Slaven Abazovic
Dr. Javelinot - Panajotis Pratsos
Frauenstimme - Irene Hofmann
Erste alte Frau - Iris Karabaczek
Zweite alte Frau - Sylvie Jubin
Ein alter Herr - Christian Lenoble
Ludwig XVII. - Johannes Gries


Glaubensfragen
(Dominik Troger)

Das Martyrium ist schrecklich, aber zum Heile, so sinngemäß der streitbare Kirchenvater Tertullian in seiner Schrift „Scorpiace“. Die Wiener Staatsoper stellt aktuell eine Oper zur Diskussion, in der die Frage nach dem Martyrium eine große Rolle spielt: „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc. Das Werk wird erstmals im Haus am Ring in französischer Originalsprache gegeben.

Aber was hat es nun wirklich mit dem Märtyrerdasein auf sich? Francis Poulenc nimmt das Publikum mit auf eine Reise in die Zeit der französischen Revolution. Er erzählt das Schicksal von Nonnen die unter dem Fallbeil der Guillotine sterben. Er behandelt ihre Todesängste und Gewissensnöte. Er stellt eine Sinn und Erlösung versprechende „Glaubensgnade“ einem angsterfüllten und bedrohten Erdendasein gegenüber – eine Gnade, die im jenseitigen Glück letztlich sogar den Tod besiegt. Dergleichen reflektiert allerdings auf eine mystische Gotteserfahrung, die heutzutage wahrscheinlich nur mehr schwer vermittelt werden kann.

Das Werk ist bereits zwei Jahre nach der Uraufführung in deutscher Fassung an der Wiener Staatsoper gespielt worden. Im Zeitraum von 1959 bis 1964 gab es insgesamt zwanzig Aufführungen. Die Oper basiert auf dem posthum veröffentlichten Theaterstück „Die begnadete Angst“ von Georges Bernanos, der sich seinerseits wieder an einer Novelle von Gertrud von le Fort („Die Letzte am Schafott“) orientiert hat.

In den „Dialogues des Carmélites“ kommt eine Art von „christlichem Existentialismus“ zum Ausdruck, der sehr gut zur Entstehungszeit des Werkes passt, und das Thema am Kollektiv der Nonnen und individuell an der Figur der Blanche abhandelt. Wenn sich im Finale der Oper das gesungene „Salve Regina“ mit den „Guillotinen-Schlägen“ des Orchesters mischt, dann hat Poulenc mit seiner Musik eindrucksvoll das Spannungsverhältnis zwischen sinnstiftender Religion und einer säkularen, die Menschen ihrer selbst entfremdenden Weltlichkeit ausgedrückt.

Damit das Thema nicht zu „abstrakt“ bleibt, wird dieses „Spannungsverhältnis“ anhand der Figur der Blanche „personifiziert“. Blanche leidet schwer unter Ängsten, tritt weltflüchtig ins Kloster ein, im Zuge der Revolutionswirren kehrt sie ins Vaterhaus zurück, ihre Zugehörigkeit zum Karmel sogar verleugnend, ehe sie sich im Finale wieder den Nonnen am Richtplatz – „als Letzte am Schafott“ – hinzugesellt. Aber Poulenc gesteht auch den Gefährtinnen der Blanche einiges an Individualität zu, vor allem der lebenslustigen, zerlinenhaften Constance oder der rigiden Priorin, samt schwer errungenem Bühnentod.

Die Figur der Blanche und das Finale haben der Oper den Bestand im Repertoire gesichert: Für Sopranstimmen ist die Blanche eine reizvolle, auch darstellerisch interessante, weil psychologisch komplexe Bühnenrolle – und das Finale zählt zu den Höhepunkten der Opernliteratur: Wenn das Publikum in den Schlussminuten die schneidende Kühle des Guillotinenmessers selbst im Genick spürt, dann ist die Aufführung gelungen. Poulencs Komposition regiert über weite Strecken eine stark am Text orientierte, eher kleinteilige Begleitung, mit „Erinnerungsmotiven“ angereichert, mit Momenten impressionistischer „Glaubensahnungen“, mit neoklassizistischen Bläsereinwürfen zur historischen Verortung. Besonders markant ist das „veristische“, einschneidende Motiv des fallenden Guillotinenmessers.

2008 und 2011 gab es eine vielgerühmte Aufführungsserie der Oper im Theater an der Wien in der Regie von Robert Carsen. Dem Regisseur ist es im Finale gelungen Szene und Musik zu einem eindrucksvollen Musiktheatererlebnis zu verschmelzen. Auf Youtube gibt es Ausschnitte davon. Damals wie heute stand Bertrand de Billy am Pult. Seine langjährige künstlerische Auseinandersetzung mit dem Werk durchdrang jeden Takt der Premierenvorstellung. De Billy sorgte für eine klangschöne Umsetzung der Partitur, den natürlichen Fluss der Konversation in seiner individuellen Ausformung und in sängerfreundlicher Lautstärke bis zur kammermusikalischen Raffinesse sensibel durchgestaltend.

Nicole Car sang die Blanche mit einem im Ausdruck zu einheitlichem, mir teils schon zu metallischen Sopran, im Spiel seitens der Regie stark auf Angstzustände getrimmt. Psychologische Deutungsmuster sind aber nur eine Seite der Medaille. Außerdem wird in der Staatsopern-Produktion Blanche seitens der Regie in eine ausweglose Situation manövriert. Sie mischt sich im letzen Bild nicht unter ihre, zur Exekution schreitenden Mitschwestern. Sie steht einsam auf der Bühne, während die Hinrichtung der Nonnen seltsam entpersonalisiert im Bühnenhintergrund stattfindet. Blanche sinkt mit blutverschmiertem Kleid zu Boden. Hat sie vielleicht Selbstmord begangen?

Spätestens jetzt lohnt sich ein Blick in das Programmheft. Magdalena Fuchsberger, die Regisseurin der Staatsopernproduktion, spricht den religiösen Fanatismus an, der die Karmelitinnen sogar noch mit Jubelgesängen in den Tod gehen lässt. Sie rückt sie in die Nähe von Terroristen, sie findet nicht, dass man mit ihnen „Mitleid“ empfinden sollte. Zitat: „Am Schluss siegt ja eigentlich die Ideologie und der Fanatismus.“ Deshalb hat sie im Finale den Nonnen auf dem Schafott altertümliche, strahlenbestückte Gloriolen verpasst, fast ein wenig ironisierend, mit schwarzen Gesichtsschleiern, um sie zu entindividualisieren. Sie sind auf einer Rampe im Bühnenhintergrund positioniert, im Halbdunkel des Vordergrundes liegen Menschen, die Toten der Revolution? Blanche erspart sie dieses Schicksal: Blanche sinkt blutend zu Boden. Hätte Fuchsberger im Finale Blanche mit einem Sprengstoffgürtel auf die Bühne geschickt, um alles und sich selbst in die Luft zu jagen, es wäre konsequenter gewesen. Aber mit Poulencs Oper haben solche Sichtweisen ohnehin nichts mehr zu tun.

Michaela Schuster wurde als Priorin von der Regie zu einer outrierten Sterbeszene gedrängt, wie im Rauschgiftwahn ihre Todesangst auf einer schmalen Liege dem Publikum „vorturnend“. Eve-Maud Hubeaux gab eine gefasste, etwas kühle Merè Marie, die bei der Erstbegegnung zwischen einer leicht übergriffig wirkenden Priorin und Blanche den „Anstandswauwau“ zu spielen hat. Voll frischer gottergebener Lebensfreude: Maria Nazarova als Constance, stimmlich ein bisschen zart und mit einigen angestrengten Spitzentönen. Maria Motolygina lieh der Madame Lidoine einen metallischen Sopran, der dem naiven, von Poulenc sogar leicht ironisierten Charakter etwas zuwider lief. Überhaupt fehlte es dem Ensemble zu oft an entsprechendem Stilbewusstsein – nicht so bei Bernard Richter als Chevalier, den man noch von seinem Pelléas am Haus und von Aufführungen im Theater an der Wien in sehr guter Erinnerung hat. Sein Tenor ist ein wenig gereift, besitzt aber nach wie vor viel Leuchtkraft.

Die schwache Inszenierung verliert sich im Bebildern mit viel überflüssigem Beiwerk, was eine Fokussierung auf den wesentlichen Handlungsablauf verhindert. Schon das (in seiner Symbolkraft zwar ausdrucksstarke) Bühnenbild, diese riesige, offene Holzkonstruktion mit Videoprojektionen im Hintergrund, erschwert es dem Publikum, der Handlung zu folgen. Eine wandlose Gerüstkonstruktion steht auf der Drehbühne, besitzt Stiegen und verschiedene Etagen und Zimmer, wird von einem Grüppchen angstdrohender Dämonen mit Tiermasken bevölkert und von einem weißgekleideten, schwerttragenden, engelartigen Wesen mit einem asterixähnlichen Kopfschmuck, das immer wieder durch diese Kulisse tänzelt – unter anderem zwischen dem erstem und dem zweitem Akt das Hüsteln im Publikum befeuernd.

Die Zwischenspiele sind überflüssiger Weise inszeniert, auch die Übergänge zwischen den drei Akten – die Pause hat man in der Mitte des zweiten Aktes positioniert. Seltsam sehen die Gewänder der Nonnen aus, jedes Kleid leicht individuell abgewandelt, ohne Kopfbedeckung, erst im dritten Akt werden diese Gewänder gegen uniforme braune Unterkleider getauscht. Die Personenregie entbehrt insgesamt einer „inneren Haltung“, die sich gerade im Kloster anhand eines „ritualisierten Formalismus“ zeigen müsste – und den nur Constance mit ihren quirligen Art durchbrechen dürfte. Die Revolutionäre wirkten beinahe clownesk, mit weißen Hemden, die Schriftzüge trugen. Dafür durfte sich im Übergang zum dritten Akt eine aufgewiegelte Menge auf der Bühne austoben.

Der starke Schlussapplaus kam auf rund dreizehn Minuten. Beim Regieteam brach der Applaus etwas ein, Buhrufe gab es keine.