PALESTRINA
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Wiener Staatsoper
5.12.2024
Wiederaufnahme


Musikalische Leitung: Christian Thielemann

Papst Pius IV. - Günther Groissböck
Giovanni Morone - Michael Nagy
Bernardo Novagerio - Michael Laurenz
Carlo Borromeo - Wolfgang Koch
Madruscht - Wolfgang Bankl
Kardinal v. Lothringen - Michael Kraus

Graf Luna - Adrian Eröd
Bischof v. Budoja - Matthäus Schmidlechner

Abdisu, Patriarch v. Assyrien - Hiroshi Amako
Brus von Müglitz, Erzbischof v. Prag - Jusung Gabriel Park

Theophilus - Michael Gniffke
Avosmediano - Ivo Stanchev
Palestrina - Michael Spyres
Ighino - Kathrin Zukowski

Silla - Patricia Nolz
Ercole Severolus - Clemens Unterreiner
Dandini von Grosseto - Devin Eatmon
Bischof von Fiesole - Andrew Turner
Bischof von Feltre -
Ilja Kazakov
Junger Doktor - Teresa Sales Rebordao
Spanischer Bischof - Marcus Pelz
Erscheinung der Lukrezia - Monika Bohinec

Engelstimmen: Ileana Tonca, Ilia Staple, Jenni Hietala
Kapellsänger: Clemens Unterreiner, Jusung Gabriel Park, Michael Gniffke, Hiroshi Amako, Ilja Kazakov
Meister:
Hiroshi Amako, Andrew Turner, Michael Gniffke, Clemens Unterreiner, Jusung Gabriel Park, Marcus Pelz, Ivo Stanchev, Wolfgang Bankl


Unzeitgemäße Betrachtung

(Dominik Troger)

Nach fast einem Vierteljahrhundert ist Hans Pfitzners „Palestrina“ wieder auf die Staatsopernbühne zurückgekehrt. Christian Thielemann am Pult war der „Promoter“ dieser Wiederaufnahme einer Produktion aus dem Jahr 1999, die sich in vielen Details zu einer bemerkenswerten Aufführung rundete.

Oft wurde Hans Pfitzners „Musikalische Legende“ in Wien in den letzten Jahrzehnten nicht gerade gespielt. Die Neuproduktion von 1999 in der Regie von Herbert Wernicke stand bis 2001 laut Online Staatsopernarchiv nur zwölf Mal auf dem Spielplan. Außerdem wurde das ohnehin schon fragwürdige Renommee des Komponisten Anfang der 2000er-Jahre durch neue musikhistorische Forschungsergebnisse quasi einzementiert. Und wenn Pfitzner schon zu Lebzeiten als schwieriger Charakter gegolten hat, so sind heute verständlicher Weise seine Versuche sich dem Nationalsozialismus anzudienen sowie sein chauvinistischer Antisemitismus der Pflege seines Werkes umso hinderlicher – noch dazu, wenn von Teilen der Öffentlichkeit Kunst und Künstler zunehmend unter moralischen Gesichtspunkten bewertet werden.

Nun kann man solchen Bedenken guten Gewissens entgegenhalten, dass inhaltlich der „Palestrina“ damit nichts zu tun hat, uraufgeführt im vorletzten Jahr des I. Weltkriegs. Doch hier kommt ein weiteres „Manko“ ins Spiel: Wen interessiert in Zeiten gesunkener Aufmerksamkeitsspannen und eines dekonstruktivistischen, sinnverneinenden Kunstverständnisses noch die im Werk ausführlich und historisch breit verhandelte Künstlerproblematik? Künstlerdepressionen werden heutzutage über soziale Medien in minutenschnelle ausgelebt, wer tut sich da noch eine vierstündige Oper an?

Aber es gibt durchaus ein Publikum, das diesem Werk mit Konzentration zu Folgen versteht. Und Pfitzners Opus traf an diesem Abend in der Wiener Staatsoper auf ein sehr verständnisvolles Publikum – und wenn man den Blick übers Auditorium schweifen ließ, dann sah man gleich, es fehlte an dem üblichen großen Touristenaufkommen. Es war sehr viel Stammpublikum im Haus, das der Vorstellung mit starkem Interesse und auffallend wenig Gehuste und anderen Störgeräuschen beiwohnte. Viele Besucher hatten noch Erinnerungen an frühere Aufführungen des Werkes gegenwärtig. In den Pausenfoyers fielen dann auch Sängernamen aus längst vergangenen Epochen und ein wenig wurde einem das „Unzeitgemäße“ dieses Abends wohl bewusst. (Den Altersdurchschnitt des Publikums wollte man aber lieber nicht ermitteln, weil man sich dann selbst hätte dazu rechnen müssen.)

Regisseur Herbert Wernicke hat in seiner nüchternen, recht statischen Inszenierung die Handlung in einer unbestimmten Gegenwart  verortet und in einen bühnenweiten Konzertsaal gepackt, den im Hintergrund die Pfeifen einer riesigen Orgel abschließen. Die Szene mit den Erscheinungen der Meister wird sehr prosaisch gelöst und kontrastiert zum visionär-mystischen Prozess künstlerischer Inspiration, die Palestrina wie ein kurzer Schaffensrausch überfällt. Dem Werk wird damit szenisch wenig geholfen. Die Einheitsbühne dient auch dem Konzilsakt als Spielfläche. Hier gibt es keine am Kostüm ablesbare „Geschichtsmalerei“, was den pointierten historischen Charakter dieses zweiten Aufzugs verwässert. Mit dem Auftritt des Papstes in einer Proszeniumloge hat es sich die Regie auch im dritten Aufzug sehr leicht gemacht.

Positiv hat überrascht, dass es wirklich gelungen ist, für die meisten Partien (und der Besetzungszettel ist sehr lange!) eine adäquate Besetzung zu finden, und dass es vielen Ausführenden gelungen ist, sich sehr textbezogen und Ausdrucksstark in die Aufführung einzubringen. Davon hat der Konzilsakt stark profitiert, der mit seinen vielen Rollen ein ganzes Panoptikum katholischer Machtherrlichkeit und menschlicher Schwächen zeichnet, durchdrungen vom manchmal liebevollen, manchmal sarkastischen Blick des Komponisten.

Die Titelpartie wurde von Michael Spyres verkörpert. Der US-Amerikaner hat sein Studium in Wien auch sprachlich genützt und kam ausgezeichnet mit Pfitzners Blankversen und mit den darauf komponierten Noten zurecht: ein nachdenklicher, ein in der seelischen Not auch stimmkräftiger, ein im Abschiednehmen des dritten Aufzugs den Lebenszweifeln sinnierend enthobener, gottergebener Palestrina. Einen leidende Zug im Timbre, Kennzeichen so manches Rolleninterpreten, diese Patina an Lebens- und Bühnenerfahrung (gepaart mit einer leichten Überbeanspruchung langgedienten lyrischen Tenormaterials) hat man bei Spyres nicht gefunden, denn diesen Palestrina hat die Schaffenskrise in tenoraler Blüte heimgesucht. Spyres zur Seite wurde Kathrin Zukowski als Ighino schon in der ersten Pause im Foyer ausdrücklich gelobt: ein lyrischer Sopran, klangschön und stilistisch passend, zuerst im Gespräch mit der ebenfalls sehr guten Patricia Nolz (Silla),  dann auch im dritten Akt voller Empathie und textbezogener Ausdrucksstärke, ein mit Begeisterung aufgenommes Hausdebüt.

Wolfgang Koch brachte als Borromeo mit etwas trockenem Bariton die ganze emotionale Spannweite dieses musikliebenden und zugleich machtbewussten Kirchenfürsten nur phasenweise über die Rampe, vor allem dem Monolog im ersten Aufzug fehlte es etwas an stimmlicher „Souveränität“. Im zweiten Aufzug profilierten sich Michael Laurenz als Novaggerio, der mit Heinz Zednik in dieser Partie einem quasi unübertrefflichen Vorbild nachzueifern hatte. Aber Laurenz machte seine Sache sehr gut, war auch pointenbezogen und seine Tenor verfügte auch über die gefragte despotische Schärfe. Matthäus Schmidlechner gab einen köstlichen, stimmlich souveränen Bischof von Budoja – auch so eine Figur, die man rasch liebgewinnt als humorvoll-naiven Unruhestifter. Mit provokanter Stimmkraft inszenierte sich Adrian Eröd als Graf Luna, ein ebenso beeindruckender Beitrag zum Konzilsakt.

Wolfgang Bankl setzte als Madruscht Akzente, ebenso Clemens Unterreiner als Ercole Severolus. Der Auftritt des Patriarchen Abdisu, von Hiroshi Amako  gespielt und gesungen, hatte jenen karikaturhaften Zug, den Pfitzner für die Rolle ersonnen hat. Für den Morone von Michael Nagy hätte ich mir wegen seiner wichtigen Funktion am Konzil stimmlich sonorere Leuchtkraft gewünscht. Zu diesem Reigen bewährter Kirchenmänner gesellte sich im dritten Aufzug noch der Papst, den Günther Groissböck beisteuerte: mehr kurz durch Palestrinas Messe zu Demut geläutertes Machtbewusstsein zeigend, als von balsamischer Würde durchdrungen. Ohne jetzt auf alle Kapellsänger und alte Meister einzugehen, sei noch Monika Bohinec erwähnt, die mehr „saftig“ als „ätherisch“ den kurzen, aber wichtigen Auftritt der Lukrezia absolvierte. 

Christian Thielemann waltete als Dirigent im Orchestergraben. Er querte ihn aufgrund einer vorangegangenen Achillessehnenoperation auf zwei große Achselkrücken gestützt. Thielemann schätzt das Werk und das spürt man in jeder Note. Schon das Vorspiel zum ersten Aufzug entwickelte sich mit ruhigem Fluss und „parsifalesken“ Klangfarben, ausgehend von einer kammermusikalischen Preziose mit goldgetöntem Flötenklang. Ein prächtiges Stück Musik, dass sich hier entfalten durfte. Aber ob manchmal die Emotion zu stark zurückgenommen wurde? Vielleicht. Palestrinas Zweifel im ersten Aufzug, wenn ihn die Daseins-Sinnlosigkeit erfasst,  die Schaffenszweifel im Hin- und Hergewoge seiner Gefühle, war da mancher Übergang nicht doch eine Spur zu schnell genommen? Thielemann ließ das Orchester auch die Schroffheiten der Partitur  auskosten, etwa im Konzilsakt, diesem von Richard Wagner meistersingerhaft-inspirierten „Historiengemälde“. Sehr stimmig und melancholisch geriet das Finale des dritten Aufzugs von Thielemann gehaltvoll zum Ausklingen gebracht. Der starke Schlussapplaus dauerte rund eine Viertelstunde lang. Drei Aufführungen werden noch gespielt, drei Aufführungen für Opern-Feinschmecker und alle die es werden wollen.