TERRIBLE MOUTH

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Semper Depot
14.2.2004

Musikalische Leitung: Huw Rhys James
Regie: Kerstin Poehler
Bühne/Kostüm: Dietlind Konold
Lichtdesign: Lukas Kaltenbäck

Ensemble Musikwerkstatt Wien

(Österr. Erstaufführung 12.2.04)

The Man without Conscience - Steven Gallop
The Duchess of Alba - Ingrid Habermann
Goya / The Voice of Goya - Hector Guedes
Captain - René Rumpold
Nurse - Rita Nikodim
Surgeon - Gottfried Falkenstein

Servant - Alfred Werner
Hooded Figure - Magdalena Anna Hofmann
Chorus of the Maimed:
Nina Plangg

Sylvia Kummer
Katharina Strasser
Georg Karl Golser
Eduard Martens

Josch Russo


Monty Python meeting Goya

(Dominik Troger)

„Terrible mouth“ ist ein typisches Opernprodukt der „neuen britischen Schule“ (uraufgeführt 1992): von der Länge auf den dramaturgischen Impact genau abgestimmt, vermischt mit absurd-makabrem Humor, der an den entscheidenden Stellen in eine blutige Ernsthaftigkeit überwechselt, große Emotionen und ein kunstphilosophischer, intellektueller Background.

Diesmal konnte das Semper-Depot jedenfalls seine Vorzüge ausspielen – und zwar genau deshalb, weil man nicht den vorgelagerten Rundbau nutzte, sondern die langgestreckte Säulenhalle mit der relativ niedrigen Decke. Düster oder scharfkegelig ausgeleuchtet ergab das für den Zuseher eine spannende Atmosphäre, die durch das ungewöhnliche und geschickt ausgenützte räumliche Ambiente noch verstärkt wurde. (Die Halle ist akustisch weit besser als diese ovale, vierstöckige Galerie.) Außerdem passte der Ort zum Stück: die Beziehung zur Malerei - „Terrible mouth“ bringt Goya auf die Bühne – die Säulen als Symbol für ein adeliges Anwesen, die Weite als Wiese für ein Feldlazarett.

Das Stück spielt auf einem Landsitz in Spanien. Der Maler Goya und seine angebetete Herzogin von Alba sind dort zu Besuch. Der „Man without Conscience“, der Adelige, dem das Anwesen gehört, vertreibt sich die Zeit vor allem mit Frauen. Er ergänzt Goya und Alba zu einer Dreiecksbeziehung. Zufällig passiert zur selben Zeit die französische Revolution. Ein Feldlazarett „mietet“ sich im Schlosspark ein, samt Amputationen und ausflippenden Krankenschwestern. Dadurch bekommt das erotische Spiel zwischen Goya, Herzogin und diesem M.w.C. einen ziemlich brutalen Touch. Das Militär treibt sein Unwesen, die Herzogin wird von einem Captain vergewaltigt, Goya verarbeitet das Grauen zu neuen Bildern. Wenn am Schluss der M.w.C. danach verlangt, „gemalt“ zu werden, dann holt Goya der konventionelle Alltag wieder ein – oder doch nicht?

Am Werk fasziniert, dass es einen sehr großen Bogen durch die Un-Tiefen menschlicher Existent zu spannen vermag und diesen Anspruch auch selbstbewusst und mit viel pragmatischem Bühnen-Gespür vertritt. Dazu kommt ein absurd-skuriller Touch, der Parallelen zum Werk von Peter Maxwell Davies aufzeigt. Die Konzeption hat mich auch an Birthwhistle erinnert, seine "Mrs. Kong", wo ebenfalls ein Motiv der Bildenden Kunst zum Ausgangspunkt für eine Oper wird: bei Birthwhistle ist es Vermeer, hier ein Selbstportrait Goyas. Die Länge – ein Einakter von rund 75 bis 80 Minuten – ist ideal getroffen. Das kleine Kammerorchester (sechs Celli als „emotionaler“ Kern) wird vom Chor der Verstümmelten ergänzt, der stöhnt und flüstert und gurgelt und pfeift und schmatzt und wehklagt in fast schaudererregender Art. Die Gesangslinien der drei Hauptfiguren sind dagegen fast melodiös angelegt. Sie müssen auch eine starke Sinnlichkeit einbringen, damit der Kontrast zu den Kriegsgreueln stärker hervortritt und sich jener Inspirations-Dynamo anwirft, aus dem Goya seine künstlerischen Impulse schöpft: Goya, der noch von einer „The Voice of Goya“ begleitet wird – in dieser Inszenierung von derselben Person gespielt. Dieser Punkt, dass es sich hier um zwei „Bewusstseinsebenen“ (?) Goyas handelt, wurde für mich erst gegen Ende deutlicher erfahrbar. Da hätte man sich noch etwas einfallen lassen können, damit diese „Bewusstseinspaltung“ des Titelhelden im dramatischen Geschehen besser hervortritt.

Die Darsteller, erprobte Streiter der freien Opernszene, legten sich mächtig ins Zeug und trugen alle ihr wesentliches Scherflein zum sehr positiven Gesamteindruck bei. Die Besucheranzahl, ich schätze mal grob 50, war allerdings sehr familiär. Dabei hätte man zumindest für die doppelte Zahl Sitzgelegenheiten bereit gehalten. Die Besucher saßen zwar an einer Wandseite, gegenüber vom kleinen Orchester, wurden hin und wieder aber von Sängern infiltriert. Man konnte sich also nicht unbedingt genussvoll zurücklehnen, auch deshalb, weil man nicht wusste, von welcher Seite der nächste Auftritt erfolgen würde. Durch die Länge der Halle und die Säulen sah man von jedem Platz das Geschehen ziemlich unterschiedlich. Manches spielte sich auf dem Boden vor den beiden Sitzblöcken ab, anderes auf einer langgestreckten, leicht nach hinten ansteigenden in den Raum gestellten Bühne.

Diese Zusammenfassung ist eher lapidar. Der kunstphilosophische Ansatz des Werkes würde einen längeren Diskurs erfordern, die Würdigung des musikalischen Elements ein zweites, ein drittes Anhören.