INTOLLERANZA
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Theater an der Wien
/ Wiener Festwochen Gastspiel
der Bühnen der Stadt Köln Musikalische
Leitung: Jeffrey
Tate Gürzenich-Orchester Kölner-Philharmoniker |
Der Emigrant - Sidwill Hartmann |
Im Theater an der Wien starteten die Wiener Festwochen mit einer Aufführung von Luigi Nono's "Intolleranza" als Gastspiel der Bühnen der Stadt Köln. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, erwies sich dieses Werk als musikalisch effektvoll, während am Pathos des aus verschiedenen Quellen (Sartre, Majakowskij, Brecht...) von Nono arrangierten Librettos der Zahn der Zeit nicht spurlos vorübergegangen ist. (Die Uraufführung erfolgte 1961 in Venedig.) Die daraus erwachsende Diskrepanz schwebte denn auch wie ein Damoklesschwert über dem guten Willen der Inszenierung, der auf der Suche nach dem humanitären Anspruch des Werkes (nachdem sich sein marxistischer Input inzwischen als obsolet erwiesen hat), bei der augenfälligen Einbeziehung europäischer Gegenwart landete. Ob das dem Werk, das Nono selbst als "szenische Aktion" definiert hat, wirklich gut tat, bleibe dahingestellt. Das Problem mit einer szenischen Umsetzung von "Intolleranza" dürfte aber ein sehr viel grundlegenderes sein, als das Setzen oder Vermeiden von politischem Agitationstheater (Nono war zum Zeitpunkt der Komposition schon mehrere Jahre Mitglied der italienischen Kommunisten). Die Handlung selbst, sehr lose von einem Flüchtling und seiner Gefährtin sowie einem Chor zusammengehalten, lässt kaum das Erzählen einer "Geschichte" im Bühnenraum zu und verleitet, die einzelnen Szenen in mehr oder weniger stimmige Tableaus aufzulösen, die mit Themen wie Folter, Gewalt, Einsamkeit des Individuums, Masse zu tun haben. Das verlangt dann allerdings nach einer sehr starken Choreographie, die mehr vom Bewegungstheater beinflusst werden müsste, denn von der herkömmlichen Openrregie, die ja, wie man oft genug schmerzlich erfährt, Chöre meist wenig effektvoll um- und herumzugruppieren versteht. Bei einem Werk wie Intolleranza, wo die Chöre derart dominant sind, fällt das besonders misslich ins Auge. Ja, wenn man von einem oratorienhaften Zug des Ganzen spricht, dann liegt man schon sehr richtig. Aber es hätte sich hier auch die Möglichkeit geboten, an einem zeitgenössischen Werk mit schonungslosem Einsatz zeitgenössischer Mittel ein Multimediales-Theater auf die Beine zu stellen, mit Videoinstallationen den Zeitraum der 40 Jahre zu überbrücken, Nonos Anklänge an den Algerienkrieg und an Bergarbeiterstreiks ebenso einzubinden, wie den in der gezeigten Form weder berührend noch aufrüttelnd realisierten Tod des Schubhäftlings Omofuma, begleitet von zwei zeitunglesenden Sicherheitsbeamten. Seltsam, wie handzahm moderne Regie so oft bei zeitgenössischen Werken agiert, während man das klassische Repertoire ohne Zaudern in das 21. Jahrhundert vergewaltigt. So blieb denn diese eine Geste des Chores, der immer wieder eines seiner Mitglieder ausstößt und nicht mehr in den Verband zurücklässt, die schon fast stereotype Antwort des Regisseurs auf Nonos intensive, oft losschreiende Musik. Und zwischen dem maskierten Schlägertrupp, einem Obstkontainer mit toten Flüchtlingen, einem Duett vor längerer Zeit herabgelassenem Zwischenvorhang und einer kaum angedeuteten Überschwemmung wurde dem Zuschauer die von Jeffry Tate mit viel Einfühlungsvermögen einstudierte Partitur zum eigentlichen Ereignis des Abends. An dieser Stelle muß freilich angemerkt werden, dass man in Wien Gelegenheit hatte innerhalb von Jahresfrist sowohl Nono's Hölderlin-Streichquartett als auch seinen Prometheus zu hören. Werke, die mit ihrer Flucht aus der musikalischen Raum/Zeit in die Notenpausen hinein, östlichem Gedankengut näherzuliegen scheinen, als der finalbezogenen Ausrichtung abendländischer Musiktradition seit dem 18.Jahrhundert. Eine Dimension, die "Intolleranza" in Ansätzen manchmal erkennen lässt, die aber von wuchtigen Orchestermassen, gleichsam appellhaften Fanfaren zur Gewissenserforschung, schnell wieder hinweggespült werden. Das berührende, das emotionale Mitleiden, dient nur als Steigbügelhalter für eine, im Libretto manchmal sehr plakativ spürbare, politische Botschaft, der sich auch die musikalische Umsetzung nicht verschließen kann. Ein Zug, der aus historischer Perspektive erklärbar, heutzutage aber - auch unter der Berücksichtigung von Nono's oben angesprochenem Spätwerk - ein wenig verstaubt erscheinen muss. Trotzdem, aber jetzt wird dieser Text redundant, macht dieses Werk Effekt, und es wäre interessant, ihm einmal im Konzertsaal zu begegnen, wo man unbeeinflusst von gequälten szenischen Realisierungsversuchen, sich ganz auf die musikalischen Qualitäten besinnen könnte. Das Orchester spielte sehr ambitioniert, allerdings war die dynamische Anpassung an die Raumverhältnisse des Theaters an der Wien, wie bei so vielen Gastspielen, nicht ideal. Von den Solisten wird einem die extravangate Tenorpartie des Flüchtlings, bravourös, aber stimmgefährdend realisiert von Sidwill Hartmann, in Erinnerung bleiben. Der Applaus nachher war von ungeteilter Freundlichkeit ohne Enthusiasmus. |
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