DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Nicolai-Portal

Volksoper
15. Mai 2023

Dirigent: Ben Glassberg

Regie: Nina Spijkers
Bühnenbild: Rae Smith
Kostüme: Jorine van Beek
Choreographie: Florian Hurler
Licht: Tim van't Hof
Choreinstudierung: Roger Diaz-Cajamarca

Sir John Falstaff - Martin Winkler
Herr Fluth - Daniel Schmutzhard
Herr Reich - Aaron Pendleton
Fenton - JunHo You
Junker Spärlich - Carsten Süss
Dr. Cajus -
Alexander Fritze
Frau Fluth - Anett Fritsch
Frau Reich - Stephanie Maitland
Anna Reich - Alexandra Flood
Wirt - Georg Wacks
Bürger - Mirjam Sori Gogic, Selma Fasching, Burcu Kurt, Angela Riefenthaler



„Politische Partnerwahl“

Die Volksoper hat erfreulicher Weise Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ wieder auf den Spielplan gesetzt. Letzten Samstag ging die Premiere über die Bühne, nachstehende Anmerkungen beziehen sich auf die zweite Vorstellung.

„Die lustigen Weiber von Windsor“ haben sich an der Volksoper lange durchgehender Beliebtheit erfreut. Sogar in den letzten Jahrzehnten gab es bei sinkendem Interesse an der deutschen Spieloper einige Neuproduktionen – zuletzt 1982, 1994 und 2010. Im Jahr 2010 fungierte Alfred Kirchner als Regisseur: Falstaff war in seiner Inszenierung als „Aussteiger“ mit einem VW Bus unterwegs, hatte einen Hasen als Diener und Fenton gab einen kaiserlich-deutschen Jagdflieger. Die damalige Besetzung lautete: Jennifer O'Loughlin, Alexandra Kloose, Andrea Bogner, Lars Woldt, Morten Frank Larsen, Martin Winkler, Daniel Behle, Karl-Michael Ebner, Marco Di Sapia, sowie Sascha Goetzel am Pult.

Dreizehn Jahre später haben sich die Akzente deutlich verschoben: Regisseurin Nina Spijkers drängt die Weiber von Windsor ins Emanzipatorisch-Politische und Falstaff wurde sein pomadierter Adel gleich ganz aberkannt. Spijkers hat die Handlung nämlich ins Jahr 1918 verlegt. Während die Damen des Stücks im Finale mit rotem Banner ihr politisches Wahlrecht einfordern, hinterlässt der durch die Nachwirkungen des ersten Weltkriegs gesellschaftlich entwurzelte Falstaff insgesamt einen ziemlich kläglichen Eindruck – schließlich quälen ihn sogar Verlustängste, wie im Programmheft nachgelesen werden kann.

Und wenn Falstaff im öffentlichen Pissoir die Hose zu den Füßen rutscht, dann ist die Demontage dieser Opernfigur vollkommen. Es überrascht außerordentlich, dass sich die gutbürgerlichen Damen von Windsor mit diesem Kerl überhaupt noch abgeben. Kurz gesagt: Dieser Falstaff ist ein Fall für das Männerasyl, und der Gedanke, er könnte auch nur einen Schritt in ein gutbürgerliches Wohnzimmer setzen, geradezu absurd. Diesem kaputten Kerl noch einen Streich spielen zu wollen, grenzt an Sadismus. Aber wie es scheint, haben die „Weiber von Windsor“ auch davon einiges parat. Frau Fluth ist ja der Meinung, die Männer seien so schlecht, „daß man sie gar genug nicht quälen kann!

Aber sollte Falstaff nicht zumindest ein Hauch ritterlichen Adels umwehen? Frau Fluth gesteht sich bekanntlich selbst ein, dass sie einem Ritter „fein zierlich – jung an Jahren“ zumindest einige Galanterie gestatten würde (moralische Integrität ist für sie also doch ein leicht dehnbarer Begriff). Die Kunst besteht darin, Falstaff glaubwürdig in seiner Selbstüberschätzung zu entlarven, ohne ihn dabei bis zur Erbärmlichkeit zu desavouieren. Im Libretto finden sich genug Hinweise, wie Falstaff von seinen Mitmenschen wahrgenommen wird: er ist dick und fett, er ist ein Geck, er ist oft betrunken, ein alter Sünder, ein Grobian etc. Was aber ist der Falstaff in dieser Neuproduktion: ein versoffener Tölpel mit Verlustängsten?

Mit Martin Winkler hat die Volksoper einen Sänger an der Hand, der dieses Auslaufmodell adeligen Glanzes in ungeschönter Übertreibung auf die Bühne hieven kann. (In der Produktion von 2010 hat Winkler den Herrn Reich gegeben – als kleinbürgerlichen Widerling und mit der ihm eigenen Nachdrücklichkeit.) Winkler besitzt einen etwas rauen Bassbariton mit dem Hang zur Darstellung „greller“ Charaktere, wobei sich bei seinem Fallstaff noch ein Schuss an Verzweiflungsmelancholie hinzugesellt. Einen klassischen „Bassbuffo“ wird man in ihm nicht sehen können, der Falstaff eine füllige Grundlage für ein genießerisches Liebeswerben bereitstellt. (Winkler hatte während der Generalprobe eine Indisposition ereilt und war bei der Premiere angesagt worden.)

Daniel Schmutzhard brachte die Eifersucht des Herrn Fluth an die Grenze des Wahnsinns und er reüssierte nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich. Assistiert wurde er im Falstaff-Jagen von einem eher unauffälligen Herrn Reich (Aaron Pendleton) sowie den stark zu klamaukhafter Komik gedrängten Dr. Cajus (Alexander Fritze) und Junker Spärlich (Carsten Süss). Beide mussten sich in altertümlichen Schwimmanzügen zum Narren machen, während sie das Rendezvous zwischen Fenton und Anna belauschen („Horch, die Lerche singt im Hain“).

Fenton steckte selbst im Badeanzug, während er einer der schönsten lyrischen Tenorromanzen zu vollem Glanze verhelfen sollte. Allerdings geriet JunHo You diese Lyrik viel zu kräftig und metallisch, als dass sie sich mit der gebotenen Poesie hätte entfalten können. Seine Anna, Alexandra Flood, die an diesem Abend Rollendebüt am Haus feierte und die Premierenbesetzung Lauren Urquhart ersetzte, ließ hingegen einen viel zu zarten Sopran hören, der die große Arie im dritten Akt nur mit Anstrengung bewältigte: ein ziemlich ungleiches Liebespaar also. (Warum diese Szene in einer Badeanstalt spielt, ist ein großes Rätsel dieser Produktion. Selbiges trifft genauso auf den Beginn des ersten Aktes zu, diesen „Männermalkurs“ mit Ölschinken nackter Damen. Keine Ahnung, warum sich Frau Fluth und Frau Reich dort herumtreiben.)

Die beiden Fädenzieherinnen in Sachen Falstaff-Bestrafung wurden von Anett Fritsch (Frau Fluth) und Stephanie Maitland (Frau Reich) mit viel Spielwitz verkörpert. Fritsch ließ einen für die Partie passend leichten, koloraturgeichten Sopran hören, der allerdings schon etwas ins Schwingen kam und dem etwas mehr Leuchtkraft ganz gut getan hätte, um sich besser gegenüber dem Orchester behaupten zu können. Stephanie Maitland steuerte die passenden tiefen Töne bei. Das Orchester unter der Leitung von Ben Glassberg füllte (von der Galerie aus gehört) das Haus dominant und war ganz auf die vorwärtsdrängende Inszenierung eingeschworen – Nicolais Musik hätte auch eleganter, sinnlicher, im Humor akzentuierter, in der Gesamtabmischung differenzierter erklingen können.

Eigentlich sind die „Lustigen Weiber“ ein erzkonservatives Stück, das „Manderl“ und „Weiberl“ auf Basis gutbügerlicher Moral ihren Platz zuweist. Falstaff mit seinen anarchischen Liebeswünschen ist nur ein Unruhestifter, der domestiziert werden muss – und noch dazu ein Adeliger, der nicht zum bürgerlichen Selbstverständnis passt. Auch Annas Trick, um die Liebe ihres jungen Lebens ehelichen zu können, wird von dieser Moral umhegt: Es geht um Heirat, um einen Bund fürs Leben und nicht um einen amoralisch-flüchtigen Epikureismus. Um aus Anna eine politische Aktivistin zu machen, musste die Inszenierung deshalb auch ein paar „Tricks“ anwenden.

Am Beginn des dritten Aktes wurde ein neuer Dialog eingeschoben, von dem ich allerdings akustisch nur die Hälfte – wenn überhaupt – verstanden habe: Frau Fluth und Frau Reich räsonierten über den Zustand ihrer Ehe. Schon am Beginn, wenn zur Ouvertüre Windsors Weiber über eine Wiese kugeln, wird an einem roten, frauenwahlrechtfordernden Spruchband gebastelt, das im Finale Nicolais Oper in eine politische Aktion münden lässt. Im Wirtshaus, während Falstaff alles unter den Tisch säuft, arbeiten als Männer verkleidete Windsorianerinnen weiter an diesem Spruchband wie ein Geheimbund in einem Versteck. Anna wird diese politische Botschaft zu der ihren machen.

Eine drehbühnenbefeuerte Spielfreude kann dieser Neuproduktion aber nicht abgesprochen werden. Das nächtliche Treiben im dritten Akt mit der tiermaskentragenden Bewohnern Windsors zauberte sogar „Sommernachtstraum“-Stimmung in die Volksoper: Bühnennebel wallt, das rahmenden Bühnenportal eines Hauses wird in den Hintergrund verschoben, der Mond leuchtet silbern und groß, gemeinsam mit Nicolais Musik entsteht für kurze Zeit einer jener Theatermomente in denen sich die Teile zur Gesamtheit fügen. Die Riesenpilze, die plötzlich vom Schnürboden baumeln, amüsierten durch ihre ironische Übertreibung.

Das Publikum in der gut besuchten Volksoper folgte dem Geschehen aufmerksam und offenbar gut unterhalten. Der starke Schlussapplaus knackte die Fünf-Minuten-Grenze.