MASSACRE
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Ronacher Musikalische Leitung: Peter Rundel Regie & Choreographie:
Joachim Schlömer Libretto: Wolfgang
Mitterer & Stephan Müller nach Christopher Marlowe |
Sänger: |
Zu
viel Klang, zu wenig Theater Man nehme ein gut gebautes Theaterstück, zerschnipsle es in viele Teile, und halte sich dann an ein paar mikroskopische Krümel, um daraus ein Libretto zu basteln. Besser: Um daraus einen Vorwand für ein Musiktheaterprojekt zu generieren. Aber sehen wir es von der positiven Seite: dieser Vorwand lieferte immerhin ein paar Vokale und Konsonanten für eine interessante Geräuschkulisse. [1] „Oper“ würde ich mich das nicht zu nennen trauen, weil der Begriff „Oper“ auch eine bühnenpräsente Story erwarten lässt. Die Story wäre zwar an und für sich nicht so schlecht: ein Marlowe-Stück, über die Grausligkeiten der Bartholomäusnacht. Weil aber nach der Bearbeitung durch die Librettisten von diesem Stück fast nichts mehr übrig geblieben ist, weiß man auch nicht, was man damit anfangen soll. Nennen wir es also doch lieber „Musiktheater“ und einigen wir uns – in Anbetracht der misslungenen szenischen Umsetzung – auf den Begriff „Klangtheater“. Denn geschlossenen Auges konnte man durchaus interessanten raumakustischen Eindrücken nachspüren, und sei es nur einer multidimensionalen Fliege, die mit einigen Dezibel durch das Etablissment Ronacher kreiste, wohl vom süßen Blutduft hugenottischer Leichenberge angelockt. Aber die gabs ja gar nicht! Die Phantasie hätte mit Wolfgang Mitterers akustischen Ergüssen sicher mehr anzufangen gewusst als mit dieser halbherzigen „Grausamkeitschoreographie“. Nach fünf Minuten hatte die Szene „keine Luft mehr“, und sie fiel in sich zusammen wie die Farbbeutel, die die Schauspieler benutzten, um sich happening-gemäß mit „Blut“ zu bekleckern. [2] Klangtheater: Das ist wohl der eigentliche Gewinn dieses Abends gewesen. Ein Theaterraum, den Töne durchziehen, vom ausgepressten Sopran bis zum Hubschrauber, der den Beginn des Massakers über den Straßen von Paris überwacht. Ein hübscher, auf den Effekt berechneter Anachronismus, bei dem man, egal ob Hugenotten-Hatz oder nicht, sicherheitshalber den Kopf einzieht. Trotzdem fragt man sich, ob Mitterer nicht beim Klang zu reichhaltig aus der Hand gibt, was er beim Libretto eingespart hat. Denn ein Handlungsfaden will sich nicht einstellen. Es gibt nur den Beginn des Massakers und sein Ende, es gibt den Beginn, den ein gewisser Guise lostritt und ein Ende, an dem er weiß angemalt wird. Warum? Keine Ahnung. Dazwischen wird versucht, der Gewalttätigkeit solcher Massenausbrüche auf die Schliche zu kommen. Keine Frage, mit musikalischen Mitteln ist das leichter. Da bemüht man das Schlagzeug oder lässt den Raum vibrieren - nein, es war nicht „laut“, keine Sorge, das ist den Veranstaltern hoch anzurechnen, Gehörschutz war keiner notwendig! Aber wie mit der Handvoll an SängerInnen und TänzerInnen eine Massenhysterie inszenieren? Das wirkt leicht läppisch. Und dann ist wohl diese Art von Theater, wenn es darum geht die Grausamkeiten einzuholen, die täglich über die Fernsehapparate flimmern, längst auf verlorenem Posten. [3] Weshalb ich „messerscharf" zum Schluss komme, dass das Inszenierungskonzept völlig daneben gegangen ist – und dass ich deshalb nicht den Stab über den musiktheatralischen Qualitäten dieses „massacre“ brechen möchte. Leicht ist es nicht, hier eine adäquate Umsetzung zu erzielen, der sehr knapp gehaltene Text tut sein übriges dazu. Wenn man sich bei der Magersucht, die die Handlung hier auszeichnet, ein wenig an die Stereotypie von gängigen Videoclips erinnert fühlt, dann ist das sicher kein Zufall. Aber auch diese sehr „lekixalisch“ aufgebaute Partitur (Mitterer wählte aus einem Reservoir von über 2.000 Samples aus) fordert wohl ein anderes visuelles Bezugssystem als das des „klassischen Theaters“. Das ist ein multimedialer Plot, zumindest was die Akustik betrifft - und von der Bühne wehte einem der Staub der Jahrhunderte entgegen. Kein Wunder, wenn man sich die Augen rieb und meinte, von Müdigkeit geplagt zu werden, während fünfzig Meter von einem entfernt persönliche Betroffenheit eingefordert wurde. Mitterer nennt da so ein paar Fragen im Programmheft: „Könnte ich morden? Unter welchen Umständen könnte ich es?“ Et cetera. Hier gilt der Zweifel nicht der Ernsthaftigkeit des Unterfangens, sondern der Umsetzung. [4] Doch habe ich nicht einige Zeilen weiter oben folgendes geschrieben: „ob Mitterer nicht beim Klang zu reichhaltig aus der Hand gibt, was er beim Libretto eingespart hat.“? Wer zu viel aus dem Vollem schöpft, kann auch eine Überschwemmung auslösen. Die Klänge wucherten aus dem kleinen, hübsch besetzten Orchester (Schlagzeug, Klarinette, Kontrabass, Violine, Viola, Klavier, Cembalo (!), Horn, Posaune), und von der elektroakustisch verstärkten Bühne, und aus den Lautsprechern wie üppige Dschungelpflanzen, zwar nicht dem Effekt nach, aber in der Dichte, mit der sie die Zuhörerohren durch ein Klanggestrüpp zwangen, dass erst einmal bezwungen werden wollte. Und man halte nun eineinhalb Stunden ein Buschmesser in der Hand, um sich durch dichten Bambus zu schlagen. Keine Frage: man wird ermüden. Von größerem Abstand aus betrachtet, erscheint auch der Dschungel mit seiner Pflanzenvielfalt nur als unregelmäßige dunkelgrüne Wand. Die Kraft, das Blattwerk zu zerteilen und nach den Orchideen Ausschau zu halten, ist begrenzt. Irgendwann hat man genug davon. Wenn ich also das Ende der Aufführung aufatmend zur Kenntnis nahm, wen wunderts? [5] Die Dekoration des Ganzen bestand aus sieben unterschiedlich hohen, säulenartigen Kerzen, die sogar brennen durften. Sonst nichts. Nur mehr oder weniger drohende Bühnenschwärze. Ein bisschen wurde mit der Beleuchtung gespielt, das Publikum geblendet, hell, dunkel. Aber nicht sehr artifiziell. Das Publikum (nicht alle Besucher hatten das Ende des Abends abgewartet) beklatschte die Ausführenden freundlich, den Dirigenten am stärksten. Ein paar dünne Bravorufe waren daruntergemengt. Das Ensemble schlug sich gut, aber man weiß ja nie, wo die Stimme aufhört und die Elektroakustik beginnt. Mitterer lässt vor allem den hohen Sopran öfter in „übermenschliche“ Höhen abheben, wo der Ton sich zu einer Trommelfell punktierenden Schärfe formt. [6]
Fazit: Der bühnendramatische Teil von „Massacre“ trägt
nicht, und deshalb kommt das Werk ziemlich knieweich daher. Entweder man
ringt sich zu einer vollkommen neuen szenischen Umsetzung durch, die die
Klangwelten Mitterers auch zu visualisieren versteht, oder man füttert
die Handlung mit ein wenig Psychologie, damit doch noch so was wie eine
„Oper“ daraus wird. Am besten wäre wohl beides?! |
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