LE PAUVRE MATELOT
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home

Kammeroper
31.5.2011

Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza

Inszenierung: Giorgio Madia
Ausstattung: Cordelia Matthes
Lichtdesign: Christian Weißkircher

Kammerensemble der Wiener Kammeroper:


Premiere: 17.5.2011

„Le pauvre matelot“

Beau-Père - Mentu Nubia
Femme - Diana Higbee
L’Ami - Andreas Jankowitsch
Le matelot - Pablo Cameselle

„Venus in Africa“

Yvonne - Diana Higbee
Charles - Andreas Jankowitsch
The Innkeeper - Mentu Nubia
Venus - Nazanin Ezazi
The Peddler - Pablo Cameselle


„Einfach, aber gelungen
(Dominik Troger)

Armer Matrose“ trifft „Venus in Afrika“! Das „Date“ findet in der Wiener Kammeroper statt – und man kann sogar live dabei sein!

Wieder einmal ist der Kammeroper eine sehr gute Produktion gelungen, trotzdem muss man wegen Einschränkung der öffentlichen Förderungen um ihre Zukunft bangen. Deshalb nehme man diese Zeilen gleich als Plädoyer für die Weiterführung dieses Hauses, das bald seit 60 Jahren einen wichtigen Beitrag zum Wiener Operngeschehen liefert.

Aber nun zur Aufführung: Die beiden Operneinakter vereint ein Zug zur Vereinfachung und Grenzüberschreitung im musikalischen Ausdruck – wobei unter Grenzüberschreitung das Aufweichen klassischer Formgefüge in Richtung Jazz, Musical, Tanzmusik, Folklore etc. zu verstehen ist. Das verschafft den Werken einen lapidaren Zug, vermischt den vordergründig ernsthaften Anspruch einer Opernhandlung mit Surrogaten süffiger Unterhaltungsmusik.

Darius Milhaud ist in seinem „Le pauvre matelot“ (2. Fassung von 1934) dabei noch eine Spur konsequenter, wenn er einem expressionistisch eingefärbter Kriminalfall moritatenhafte Züge verpasst. George Antheils „Venus in Africa“ (Uraufführung 1957) bezieht dafür die musikalische Tradition stärker ein (und u.a. arabische Folklore) und hat beim Komponieren hin und wieder auch an Richard Strauss gedacht.

Die szenische Umsetzung durch Giorgio Madia hat bei beiden Werken einen slapstickhaften Grundcharakter herausgeschält und sorgte durch die Einbeziehung von manchmal fast tänzerischer Bewegungschoreographie für einen schwungvollen Abend. Bei „Le pauvre matelot“ nahm Madia zudem Anleihen beim Stummfilm. Das war insofern passend, als die Handlung selbst dieses expressionistische Übertreibungsmoment impliziert, das Stummfilme in der Gebärde der Schauspieler ausdrücken. Als Szene genügte hier eine drehbare Kulisse, die aus zwei schmalen Wandflügeln bestand, mit jeweils einer Türe. Diese beweglichen Raumteiler konnte man auf- und zusammenfalten und drehen – und auf diese Weise virtuelle Spielräume schaffen, die dann durch die im Sinne von alten Stummfilmen umgesetzte Personenregie von den Sängerinnen und Sängern belebt wurden.

Milhaud hat in diesem Werk eine Geschichte vertont, die angeblich auf einer wahren Begebenheit basiert. Das Libretto stammt von Jean Cocteau. Ein Matrose kehrt nach 15 Jahren zu seiner nach wie vor treu auf ihn wartenden Ehefrau zurück. Diese lebt in ärmlichen Verhältnissen. Er verheimlicht ihr seine wahre Identität und gibt sich als Freund ihres Gemahls aus, dessen Ankunft er für die nächsten Wochen ankündigt. Als er bei ihr nächtigt, erschlägt ihn die Frau, weil er sich als vermögend zu erkennen gegeben hat. Sie hofft durch das geraubte Gut auf eine bessere Zukunft mit ihrem Mann. Nachdem sich die Frau und ihr Schwiegervater entschlossen haben, die Leiche zu entsorgen, endet das Stück. Man wird nie erfahren, ob der Mord aufgedeckt wurde.

„Venus in Africa“ beleuchtet die Beziehungskiste eines amerikanischen Schriftstellers in Tunesien. Während der kurzen Trennung von seiner Freundin hat er ein mythisches Rendezvous mit der Göttin Venus (oder was er dafür hält ...). Am Schluss gibt es ein Happy-end. Die gelungene szenische Umsetzung führte den ironisierten Geschlechterkampf bis zu einem Match im Boxring zwischen dem Schriftsteller Charles und seiner Freundin – immer mit einem Schuss Ironie und manchmal leicht absurd angehauchter Würze.

Das Stück hat wie „Le pauvre matelot“ einen gewissen Unterhaltungswert – und spielt in der Venus-Episode mit den antiken Ursprüngen abendländischen Denkens und Fühlens. Überhaupt zeigen beide Werke einen kreativen Zug, kokettieren mit etwas „unaussprechlich Hintergründigem“ und beschweren das Gemüt des Zusehers nicht mit unnötigen Fragen.

Das Ensemble war homogen und spielte sehr gut. Diana Higbee wandelte sich von der verschlossenen Femme zur selbstbewusst-zankenden Yvonne, und brachte diesen Charakterwechsel auch stimmlich gut über die Rampe. Andreas Jankowitschs kräftig-schlanker Bariton konnte als emotional desillusionierter Schriftsteller mehr zeigen und hören lassen als im ersten Teil. Umgekehrt erging es Mentu Nubia, der sich vom basstönenden Schwiegervater zum gesanglich wenig geforderten Barkeeper „entwickelte“. Pablo Cameselle kam vor allem vor der Pause als Matrose zum Zug. Sein Tenor ist lyrisch und rossini-schlank, mit einer Spur von grellerem Buffoeinschlag. Nazanin Ezazi gab eine optisch verführerische Venus, die von Charles aus einer langen Stoffbahn gewickelt wird (ohne dabei die Grenzen der Sittlichkeit zu überschreiten). Sie brachte sich mit sinnlich-hübschem Sopran in den Abend ein.

Das Orchester unter Daniel Hoyem-Cavazza erweckte den spielerischen Grundcharakter der Stücke unprätentiös und mit Amüsement. Fazit: Länger anhaltender, dankbarer Applaus.