ALMA
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Volksoper
26. Oktober 2024
Uraufführung

Dirigent: Omer Meir Wellber

Regie: Ruth Brauer-Kvam
Bühnenbild: Falko Herold
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Licht: Alex Brok
Choreographie: Florian Hurler
Video: Martin Eidenberger
Choreinstudierung: Holger Kristen

Alma Mahler-Gropius-Werfel (Schindler) - Annette Dasch
Anna, Tochter von Mahler - Annelie Sophie Müller
Manon, Tochter von Gropius - Lauren Urquhart
Martin, Sohn von Werfel - Christopher Ainslie
Das Ungeborene von Kokoschka - Hila Baggio
Maria, Tochter von Mahler - Victoria Schnut
Franz Werfel - Timothy Fallon
Walter Gropius - Florian Hurler
Oskar Kokoschka - Martin Winkler
Gustav Mahler - Josef Wagner
Erste Hebamme - Maria Theresia Gruber
Zweite Hebamme - Elisabeth Ebner
Dritte Hebamme - Angela Riefenthaler
Priester - Daniel Pannermayr


Alma schonungslos!
(Dominik Troger)

60 Jahre nach dem Tod von Alma Mahler-Werfel haben die Komponistin Ella Milch-Sheriff und der Librettist Ido Ricklin das Liebesleben dieser schillernden Persönlichkeit unter die Lupe genommen – samt Frühgeburt und Abtreibung. Und ja, es gibt auf der Volksopernhomepage dazu eine Triggerwarnung.

Alma Mahler-Werfel zählte zu den großen Persönlichkeiten ihrer Epoche und allein ihre Selbstzeugnisse füllen viele Buchseiten: ein Leben wie gemacht für das Theater oder für eine Oper. Ekstasen und Traumata reihen sich in diesem Leben aneinander und die Oper „Alma“ mixt daraus einen etwas geschmacklosen, aber schwungvollen Opernabend, in dem Alma dem Publikum als „Monster“ und als „Opfer“ vorgeführt wird.
 
Almas Lebensgeschichte wird im Rückwärtsgang erzählt. Die Oper beginnt im Jahr 1935 mit einer bereits verlebten Alma, die dem Begräbnis von ihrer Tochter Manon Gropius auf dem Grinziger Friedhof fern bleibt. Daran schließen sich die Beziehungen zu Franz Werfel und dem Tod des gemeinsamen Sohnes Martin (II. Akt) und zu Oskar Kokoschka und der Abtreibung des gemeinsamen Kindes (III. Akt). Die letzten beiden Akte sind ihrem Verhältnis zu Gustav Mahler und dem Tod der Tochter Maria Mahler gewidmet, die mit fünf Jahren an Diphterie verstorben ist. Die Oper endet im Jahr 1901 mit dem von Gustav Mahler geschuldeten Verzicht Almas auf ihre angestrebte künstlerische Existenz – und sie verbrennt ihre Kompositionen.

Die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam hat, assistiert von Falko Herold (Bühnenbild) und von Alfred Mayerhofer (Kostüme), Almas Bühnenleben in einer „Grottenbahn“ verortet. Über die karg ausgestattete Bühne ist eine Gleisschleife gelegt, über die ein Klavier und ein Geisterbahnwagerl gefahren werden – ummantelt von einer grauen Halle. Links vom Publikum aus betrachtet gibt es noch den Arbeitsplatz der Bildhauerin Anna Mahler, die natürlich an einer großen Mahlerbüste arbeitet. Anna hat als einziges Kind Almas ins Erwachsenenalter geschafft, als Tochter und „Erzählerin“ sorgt sie für die dramaturgische Klammer zwischen den fünf Akten.

Konsequenterweise bildet Alma die Hauptattraktion dieser „Geisterbahn“: Alma wird als unsympathische, zügellose Frau vorgeführt, als geifernde Antisemitin, als Mutter, die ihrer Tochter mit emotionaler Kühle begegnet. Nach der Pause folgt dann die „Erklärung“ für dieses Verhalten: Alma hat ihren vemeintlichen Künstlerruhm der Liebe zu Gustav Mahler aufgeopfert. Außerdem geht es ihr psychisch offenbar gar nicht gut, wenn sie lebensbeichtend anmerkt: „Ich trage in meinem Körper eine tote Frau.“

Der
„Erotomanin Alma, deren Geschlechtsakt mit Franz Werfel sogar eine Frühgeburt auslöst – und das alles wird szenisch weidlich ausgeschlachtet – stehen die „Erscheinungen“ der toten Kinder gegenüber, die leibhaftig auftreten, die wie Visionen Alma mit nagenden Schuldgefühlen quälen. Im vierten Akt wird sich dieser verflossene Nachwuchs (einschließlich des abgetriebenen Kokoschka-Fötus) mit rührendem Gesang nach mehr mütterlicher Aufmerksamkeit sehnen. Ihre Kinder fühlen sich von ihr vernachlässigt, sie repräsentieren Almas Gewissensbisse als Mutter versagt zu haben.

Dieses Versagen Almas, ihr Hang zu Alkohol, ihr sprunghaftes und exzessives Liebesleben wird mit dem durch Gustav Mahler angeregten Verzicht auf ihr Künstlertum begründet. Das Finale, wenn Alma ihre Notenblätter den Flammen übergibt, kann dementsprechend als plakativer Aufruf zur weiblichen Selbstermächtigung verstanden werden – und muss zugleich als Motivation und „Entschuldigung“ für Almas Verhalten dienen: Alma Mahlers komplexe Biographie wird zur einfachen politischen Botschaft für ein aktuelles „Heute“ umgemünzt. Aber hätte Alma weiter komponiert, wäre sie dann ein „besserer Mensch“ geworden?  Das klingt ein bisschen nach „Küchenpsychologie“. Das Finale übt trotzdem seine Wirkung aus, die Flammen züngeln, die Noten verbrennen, und Alma hat nach einem turbulenten Leben endlich den Opferstatus erreicht, der ihr die Sympathien des Publikums sichern soll.

Nach dem „kopflastigen“ Kurtag-Beckettschen-„Endspiel“ in der Staatsoper stößt man mit „Alma“ in der Volksoper auf das „pralle“ Leben. Diese Prallheit wird szenisch drastisch ausgespielt und musikalisch  von Ella Milch-Sheriff  befördert. Von Heurigenklängen am Grinzinger Friedhof bis zu orgasmusartigen Orchesterwallungen hat sich die Komponistin einer universellen, bühnenpragmatischen Moderne verschrieben, die musikalische Vorbilder und Zitate geschickt zu einer die Handlung vorwärtstreibenden Musik verdichtet. Die Singstimmen werden dabei nicht übertrieben beansprucht, die Komponistin weiß, was sie ihnen zumuten kann.

Während der Rausch des Orchesters rhythmisch die Erotik treibt, begleiten zarte „Arabesken“ etwa von Querflöte oder Oboe das Klagen der toten Kinder, die Alma als Vision erscheinen. Durch diese Passagen schimmert eine Zärtlichkeit und Rührung, die Almas abwehrende Gefühle und das Publikum zu erweichen sucht. Dieser Gegensatz hat Charme, kontrastiert das von starken rhythmischen Schüben begleitete emotionale und sexuelle Ringen Almas mit ihren Männern. Den dramatischen Höhepunkt bildet der dritte Akt, Alma angetrieben von Oskar Kokoschka. Kokoschkas Ausruf: „Ich bin ein großer Künstler“ hallt nach wie Alberichs Fluch, ehe er sich von der Alma-Riesenpuppe in seinem Atelier beinahe verschlingen lässt. Sein ungeborenes „Kind“ hängt minutenlang an Almas Nabelschnur, vereinigt sich mit der Mutter zu einem seltsamen Pas de deux, während es hohe Soprantöne von sich gibt.

Im vierten und fünften Akt, wenn Gustav Mahler ins Spiel kommt,  werden reichlich Zitate aus dem Werk Gustav Mahlers  verarbeitet – und manchmal glaubt man fast, Gustav Mahler habe doch eine Oper komponiert. Dazu gesellt sich eine subkutane Ebene, die Richard Wagners Musik als gemeinsame „seelische“ Basis von Alma und Gustav ins Spiel zu bringen scheint, um daraus historisch-muskalisches Zeitkolorit zu weben. Man fühlt sich an „Die Walküre“ erinnert, man denkt an Sieglinde und Siegmund – ein feinsinniger Kommentar der Komponistin zu einer unerfüllbaren Liebe künstlerverwandter Seelen?

Die Besetzung bot eine starke Ensembleleistung. Anette Dasch ist als Alma an die Volksoper zurückgekehrt. Ihr erster Auftritt als verlebte Dame, liegend in diesem Flügel, der auf besagten Geleisen auf die Bühne rollte, machte zuerst einmal das „Monster“ deutlich. So wie sich Dasch im Laufe der Aufführung von Kostümschichten und mumienhaften „Nackt-Bodies“ befreien und verschlanken musste, wurde auch Almas Charakter sympathischer, warb die Sängerin am Schluss um Verständnis für dieses von Schicksalsschlägen gezeichnete Leben.
 
Martin Winkler war ein sehr umtriebiger Oskar Kokoschka, mit rauem Charakterbariton schlüpfte er ganz in die Rolle des exaltierten Malers, kämpfte er verbissen, aber erfolglos, um seine Nachkommenschaft, der  Hila Baggio ihre Stimme lieh. Annelie Sophie Müller gab als Anna eine mehr besinnliche Alma Tochter, die schon zu wissen scheint, wie das alles enden wird. Dazu gesellte sich mit
Lauren Urquhart eine etwas „ätherische“ Manon. Der früh verstorbenen Martin war passend mit einem Countertenor besetzt, Christopher Ainslie widmete sich dieser Partie mit entsprechender Hingabe. Walter Gropius wurde nur getanzt (Florian Hurler) und nicht gesungen. Franz Werfel (Timothy Fallon) hatte sich viel sexuell auf der Bühne zu betätigen. Josef Wagner stand als Gustav Mahler im Zentrum der letzen beiden Akte, gestaltete den Komponisten mit passender neurotischer Zurückhaltung. Das Publikum hat Victoria Schnut als Kind Maria Mahler entzückt. Der Volksopernchor sang auch aus den Proszeniumlogen – übernahm ein wenig die Rolle eines antiken Chores. Am Pult des Volksopernorchesters sorgte Omer Meir Wellber für viel Schwung, mit ansprechender Emotion wurde durch die Lebensjahre dieser Biographie musiziert – egal ob Walzer oder üppige Mozartklänge (die im Rahmen einer Mahlerschen Opernprobe erklingen, der Alma beiwohnt).

Die  szenisch und musikalisch sehr gut gearbeitete Uraufführung dauerte von 19.00 bis 21.40 Uhr – eine halbe Stunde Pause ab ca. 20.15 eingerechnet. Das Werk ist recht gut proportioniert, der Teil vor der Pause ist zupackender, aber inhaltlich etwas „zumutend“– nach der Pause geht es „besinnlicher“ weiter. Der Abend wurde rund zehn Minuten lang ausgiebig bebeifallt. Die Volksoper war gut besucht, auf der Galerie gab es aber auch einiges an leeren Plätzen. Die Produktion, ein Kompositionsauftrag der Volksoper, läuft bis 9. November, Karten gibt es laut Website der Volksoper für die Folgevorstellungen noch „en masse“.