„Alma
schonungslos!“
(Dominik Troger)
60
Jahre nach dem Tod von Alma Mahler-Werfel haben die Komponistin Ella
Milch-Sheriff und der Librettist Ido Ricklin das Liebesleben dieser
schillernden Persönlichkeit unter die Lupe genommen – samt Frühgeburt
und Abtreibung. Und ja, es gibt auf der Volksopernhomepage dazu eine
Triggerwarnung.
Alma
Mahler-Werfel zählte zu den großen Persönlichkeiten ihrer Epoche und
allein ihre Selbstzeugnisse füllen viele Buchseiten: ein Leben wie
gemacht für das Theater oder für eine Oper. Ekstasen und Traumata
reihen sich in diesem Leben aneinander und die Oper „Alma“ mixt daraus
einen etwas geschmacklosen, aber schwungvollen Opernabend, in dem Alma
dem Publikum als „Monster“ und als „Opfer“ vorgeführt wird.
Almas Lebensgeschichte wird im Rückwärtsgang erzählt. Die Oper beginnt
im Jahr 1935 mit einer bereits verlebten Alma, die dem Begräbnis von
ihrer Tochter Manon Gropius auf dem Grinziger Friedhof fern bleibt.
Daran schließen sich die Beziehungen zu Franz Werfel und dem Tod des
gemeinsamen Sohnes Martin (II. Akt) und zu Oskar Kokoschka und der
Abtreibung des gemeinsamen Kindes (III. Akt). Die letzten beiden Akte
sind ihrem Verhältnis zu Gustav Mahler und dem Tod der Tochter Maria
Mahler gewidmet, die mit fünf Jahren an Diphterie verstorben ist. Die
Oper endet im Jahr 1901 mit dem von Gustav Mahler geschuldeten Verzicht
Almas auf ihre angestrebte künstlerische Existenz – und sie verbrennt
ihre Kompositionen.
Die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam hat, assistiert von Falko Herold (Bühnenbild) und von Alfred Mayerhofer
(Kostüme), Almas Bühnenleben in einer „Grottenbahn“ verortet. Über die
karg ausgestattete Bühne ist eine Gleisschleife gelegt, über die ein
Klavier und ein Geisterbahnwagerl gefahren werden – ummantelt von einer
grauen Halle. Links vom Publikum aus betrachtet gibt es noch den
Arbeitsplatz der Bildhauerin Anna Mahler, die natürlich an einer großen
Mahlerbüste arbeitet. Anna hat als einziges Kind Almas ins
Erwachsenenalter geschafft, als Tochter und „Erzählerin“ sorgt sie für
die dramaturgische Klammer zwischen den fünf Akten.
Konsequenterweise bildet Alma die Hauptattraktion dieser „Geisterbahn“:
Alma wird als unsympathische, zügellose Frau vorgeführt, als geifernde
Antisemitin, als Mutter, die ihrer Tochter mit emotionaler Kühle
begegnet. Nach der Pause folgt dann die „Erklärung“ für dieses
Verhalten: Alma hat ihren vemeintlichen Künstlerruhm der Liebe zu
Gustav Mahler aufgeopfert. Außerdem geht es ihr psychisch offenbar gar
nicht gut, wenn sie lebensbeichtend anmerkt: „Ich trage in meinem Körper eine tote Frau.“
Der „Erotomanin“
Alma, deren Geschlechtsakt mit Franz Werfel sogar eine Frühgeburt
auslöst – und das alles wird szenisch weidlich ausgeschlachtet – stehen
die „Erscheinungen“ der toten Kinder gegenüber, die leibhaftig
auftreten, die wie Visionen Alma mit nagenden Schuldgefühlen quälen. Im
vierten Akt wird sich dieser verflossene Nachwuchs (einschließlich des
abgetriebenen Kokoschka-Fötus) mit rührendem Gesang nach mehr
mütterlicher Aufmerksamkeit sehnen. Ihre Kinder fühlen sich von ihr
vernachlässigt, sie repräsentieren Almas Gewissensbisse als Mutter
versagt zu haben.
Dieses Versagen Almas, ihr Hang zu Alkohol, ihr sprunghaftes und
exzessives Liebesleben wird mit dem durch Gustav Mahler angeregten
Verzicht auf ihr Künstlertum begründet. Das Finale, wenn Alma ihre
Notenblätter den Flammen übergibt, kann dementsprechend als plakativer
Aufruf zur weiblichen Selbstermächtigung verstanden werden – und muss
zugleich als Motivation und „Entschuldigung“ für Almas Verhalten
dienen: Alma Mahlers komplexe Biographie wird zur einfachen politischen
Botschaft für ein aktuelles „Heute“ umgemünzt. Aber hätte Alma weiter
komponiert, wäre sie dann ein „besserer Mensch“ geworden? Das
klingt ein bisschen nach „Küchenpsychologie“. Das Finale übt trotzdem
seine Wirkung aus, die Flammen züngeln, die Noten verbrennen, und Alma
hat nach einem turbulenten Leben endlich den Opferstatus erreicht, der
ihr die Sympathien des Publikums sichern soll.
Nach dem „kopflastigen“ Kurtag-Beckettschen-„Endspiel“ in der
Staatsoper stößt man mit „Alma“ in der Volksoper auf das „pralle“
Leben. Diese Prallheit wird szenisch drastisch ausgespielt und
musikalisch von Ella Milch-Sheriff befördert. Von
Heurigenklängen am Grinzinger Friedhof bis zu orgasmusartigen
Orchesterwallungen hat sich die Komponistin einer universellen,
bühnenpragmatischen Moderne verschrieben, die
musikalische Vorbilder und Zitate geschickt zu einer die Handlung
vorwärtstreibenden Musik verdichtet. Die Singstimmen werden dabei nicht
übertrieben beansprucht, die Komponistin weiß, was sie ihnen zumuten
kann.
Während der Rausch des Orchesters rhythmisch die Erotik treibt,
begleiten zarte „Arabesken“ etwa von Querflöte oder Oboe das Klagen der
toten Kinder, die Alma als Vision erscheinen. Durch diese Passagen
schimmert eine Zärtlichkeit und Rührung, die Almas abwehrende Gefühle
und das Publikum zu erweichen sucht. Dieser Gegensatz hat Charme,
kontrastiert das von starken rhythmischen Schüben begleitete emotionale
und sexuelle Ringen Almas mit ihren Männern. Den dramatischen Höhepunkt
bildet der dritte Akt, Alma angetrieben von Oskar Kokoschka. Kokoschkas
Ausruf: „Ich bin ein großer Künstler“
hallt nach wie Alberichs Fluch, ehe er sich von der Alma-Riesenpuppe in
seinem Atelier beinahe verschlingen lässt. Sein ungeborenes „Kind“
hängt minutenlang an Almas Nabelschnur, vereinigt sich mit der Mutter
zu einem seltsamen Pas de deux, während es hohe Soprantöne von sich
gibt.
Im vierten und fünften Akt, wenn Gustav Mahler ins Spiel kommt,
werden reichlich Zitate aus dem Werk Gustav Mahlers verarbeitet –
und manchmal glaubt man fast, Gustav Mahler habe doch eine Oper
komponiert. Dazu gesellt sich eine subkutane Ebene, die Richard Wagners
Musik als gemeinsame „seelische“ Basis von Alma und Gustav ins Spiel zu
bringen scheint, um daraus historisch-muskalisches Zeitkolorit zu
weben. Man fühlt sich an „Die Walküre“ erinnert, man denkt an Sieglinde
und Siegmund – ein feinsinniger Kommentar der Komponistin zu einer
unerfüllbaren Liebe künstlerverwandter Seelen?
Die Besetzung bot eine starke Ensembleleistung. Anette Dasch
ist als Alma an die Volksoper zurückgekehrt. Ihr erster Auftritt als
verlebte Dame, liegend in diesem Flügel, der auf besagten Geleisen auf
die Bühne rollte, machte zuerst einmal das „Monster“ deutlich. So wie
sich Dasch im Laufe der Aufführung von Kostümschichten und mumienhaften
„Nackt-Bodies“ befreien und verschlanken musste, wurde auch Almas
Charakter sympathischer, warb die Sängerin am Schluss um Verständnis
für dieses von Schicksalsschlägen gezeichnete Leben.
Martin Winkler war ein
sehr umtriebiger Oskar Kokoschka, mit rauem Charakterbariton schlüpfte
er ganz in die Rolle des exaltierten Malers, kämpfte er verbissen, aber
erfolglos, um seine Nachkommenschaft, der Hila Baggio ihre Stimme lieh. Annelie Sophie Müller gab als Anna eine mehr besinnliche Alma Tochter, die schon zu wissen scheint, wie das alles enden wird. Dazu gesellte sich mit Lauren Urquhart eine etwas „ätherische“ Manon. Der früh verstorbenen Martin war passend mit einem Countertenor besetzt, Christopher Ainslie widmete sich dieser Partie mit entsprechender Hingabe. Walter Gropius wurde nur getanzt (Florian Hurler) und nicht gesungen. Franz Werfel (Timothy Fallon) hatte sich viel sexuell auf der Bühne zu betätigen. Josef Wagner stand
als Gustav Mahler im Zentrum der letzen beiden Akte, gestaltete den
Komponisten mit passender neurotischer Zurückhaltung. Das Publikum hat Victoria Schnut
als Kind Maria Mahler entzückt. Der Volksopernchor sang auch aus den
Proszeniumlogen – übernahm ein wenig die Rolle eines antiken Chores. Am
Pult des Volksopernorchesters sorgte Omer Meir Wellber
für viel Schwung, mit ansprechender Emotion wurde durch die Lebensjahre
dieser Biographie musiziert – egal ob Walzer oder üppige Mozartklänge
(die im Rahmen einer Mahlerschen Opernprobe erklingen, der Alma
beiwohnt).
Die szenisch und musikalisch sehr gut gearbeitete Uraufführung
dauerte von 19.00 bis 21.40 Uhr – eine halbe Stunde Pause ab ca. 20.15
eingerechnet. Das Werk ist recht gut proportioniert, der Teil vor der
Pause ist zupackender, aber inhaltlich etwas „zumutend“– nach der Pause
geht es „besinnlicher“ weiter. Der Abend wurde rund zehn Minuten lang
ausgiebig bebeifallt. Die Volksoper war gut besucht, auf der Galerie
gab es aber auch einiges an leeren Plätzen. Die Produktion, ein
Kompositionsauftrag der Volksoper, läuft bis 9. November, Karten gibt
es laut Website der Volksoper für die Folgevorstellungen noch „en
masse“.
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