SONG FROM THE UPROAR
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Werk X
13. Juni 2018
Europäische Erstaufführung

Musikalische Leitung:
Matteo Manzitti
Regie: Amedeo Romeo
Licht: Harald Michlits
Video: Luca Serra
Choreinstudierung: Roberta Paraninfo

Eutopia Ensemble, Genua

Eine Koproduktion derMusiktheatertage Wien mit dem Teatro della Tosse, Genua

Isabelle Eberhardt - Chiara Osella

Vokalensemble: Giulia Ghiorzi, Barbara Maiulli, Giula Beatini, Chris Juliano, Marco Bandino


Ein zahmer Tabubruch
(Dominik Troger)

Im Werk X gehen wieder einmal die „Musiktheatertage Wien“ über die Bühne. Das „Festival“ lotet seit einigen Jahren die Bandbreite zeitgenössischen Musiktheaters aus. Das Motto, das 2018 ausgerufen wurde, lautet: „Oper und Tabu“.

Das „Festival“ läuft heuer vom 3. bis zum 24. Juni und bietet Aufführungen von sehr unterschiedlichen Bühnenwerken – vom „Live Hörspiel“ über multimedial aufgeblasene „Performances“ bis zu einem noch an traditionellere Formen gebundenen zeitgenössischen Musiktheater. Es ist vorab nie einfach herauszufinden, was für einen selbst den Weg in die Meidlinger Oswaldgasse wirklich rechtfertigt. Die Anreise mit der U6 ist aber keine Hexerei. Werk X befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Kabel und Drahtwerke AG. Der Produktionsstandort wurde Ende der 1990er-Jahre aufgelassen, das Areal für die Errichtung eines neuen Stadtteils genützt – und der Altmannsdorfer Friedhof liegt auch gleich um die Ecke.

In einem Punkt haben die Musiktheatertage Wien auf jeden Fall Nachholbedarf: bei der Öffentlichkeitsarbeit. Hat man mit „Song from the Uproar: The Lives and Deaths of Isabelle Eberhardt“ doch dem Werk einer amerikanischen Komponistin zur europäischen Erstaufführung verholfen, die derzeit in den USA sehr viel positives Medienecho erhält. Missy Mazzoli, Jahrgang 1980, hat für ihr zweites Bühnenwerk „Breaking the Waves“ 2017 den „Music Critics Association of North America Award“ erhalten, und ihre dritte Oper, „Proven Up“, ist erst im Jänner 2018 von der Washington National Opera uraufgeführt worden.

„Song from the Uproar“ erblickte bereits 2012 in New York das Licht der Bühne und wurde quer durch die USA nachgespielt u.a. in Los Angeles, Boston, Cincinnati, Chicago. Das Werk dauert rund 75 Minuten. Es handelt sich um eine monodramähnliche Kammeroper für Mezzosopran, Vokalensemble und fünf Musiker (Flöte, Klarinette, E-Gitarre, Klavier, Kontrabass) – ergänzt um eingespielte Sound- und Vokaleffekte.

Das Libretto (Royce Vavrek und Missy Mazzoli) beruht auf dem Tagebuch der Weltenbummlerin und Reiseschriftstellerin Isabelle Eberhardt, deren Werk in den 1970-Jahren unter feministischer Perspektive wieder entdeckt worden ist. Eberhardt wurde in Genf geboren und starb mit 27 Jahren 1904 in Algerien bei einem Unwetter. Sie bereiste den Maghreb in Männerkleidern, trat zum Islam über, heiratete einen Algerier, überlebte ein Attentat, litt an Depressionen, Malaria und Drogenkonsum. Sie verfasste Artikel für Zeitschriften und war auch als Kriegsberichterstatterin tätig. Eine Lebensgeschichte, wie man sie sich für ein Musiktheaterfestival mit dem Thema „Oper und Tabu“ nur wünschen kann.

Viel Tabubruch war in „Song from the Uproar“ allerdings nicht zu finden, die Gesamtanlage des Oper mehr introspektiv: Isabellas Freiheitssehnsucht wird angesprochen, ihre Ankunft in Algerien, ihre Begegnung mit dem Islam („100 Names for God“), ihre Natur- und Liebeserfahrung gepaart mit quälender Eifersucht. 18 Nummern (inklusive einer „Ouvertüre“ und vier Zwischenspielen) fädeln sich aneinander, aber es wird wenig Handlung greifbar, Isabella steht zu zentral im Mittelpunkt, ihre Gefühle dominieren zu stark.

Für an europäischer „Neuer Musik“-geschulte Ohren klingt das Ergebnis recht „amerikanisch“, eine gut abgestimmte Mischung von Minimalmusic, Musical, ein wenig Jazz, ergänzt um ein paar selten von der Querflöte eingestreute „Orientalismen“, zahmen E-Gitarren-Klängen und „landscapeartigen“ Geräuschzuspielungen wie Vogelrufe, Gesang, das Knistern einer alten Langspielplatte, was gleich am Beginn das Tor in die Vergangenheit zu öffnen scheint. Die Mezzostimme Eberhardts setzt bereits im Vorspiel mit langezogenen „Vokalisen" ein, gleichsam zu neuem Leben erwachend – im Finale, das ihren Tod thematisiert, wird sie diesen Gesang wieder aufnehmen und „entschwinden“. Zwischen dieser musikalischen Klammer läuft ihr „arioses“ Leben ab, und manchmal mischt sich sogar das Vokalensemble ein, ohne aber jetzt wirklich „bühnendramatisch“ positioniert zu werden.

Musikalisch hat die Komponistin durchaus für Abwechslung gesorgt, zarte Passagen wechseln mit dramatischen Ausbrüchen bei rhythmischer Variabilität, und sie setzt die Instrumente solistisch geschickt ein, nützt ihre Klangfarben um Isabellas Emotionen zu „poetisieren“. Das ergibt in Summe einen ansprechenden Zyklus von Orchesterliedern, von traumartigen, auch alb- oder fiebertraumartigen Momentaufnahmen, aber nicht unbedingt ein „tabubrechendes“ Musiktheaterstück.

Die Produktion der Musiktheatertage Wien wurde in Kooperation mit dem Teatro della Tosse, Genua, auf die Beine gestellt. Die Inszenierung von Amedeo Romeo hat sich vor allem einer die ganze Aufführung begleitenden Videoeinspielung bedient: ein Tagebuch wird gebunden, mit schwarzer Tinte und Schreibfeder werden auf den leeren Seiten Texthäppchen des Librettos notiert, manchmal mit weit zerfließender Tinte. Die einfachen orientalischen Kostüme der Ausführenden bedienten die sujetbedingte Erwartungshaltung des Publikums. Vor der Videowand war eine kleine Bühne aufgebaut, auf der Eberhardt schlussendlich ihren Tod und ihr Grab fand. In der chansonartigen „Cigarettes“-Nummer turtelte die Hauptfigur immerhin verrucht mit der Pianistin.

Der Mezzosopran von Chiara Osella schien mit der gesanglich recht komfortabel entworfenen Partie keine Probleme zu haben. Sie sang mit Mikroport, möglicherweise wegen der elektronischen Abmischung. Der Aufführungsraum, im zweiten Stock des Werk X gelegen, ist wirklich nicht sehr groß. Rund 50 Besucher folgten dem Geschehen. Das Eutopia Ensemble unter Matteo Manzitti sorgte für die musikalische Untermalung. Am Schluss gab es natürlich viel Beifall für alle Beteiligten. Am 15. Juni folgt noch eine Vorstellung.

PS: Als Besucher war man mit dem Werk auf sich allein gestellt. Es gab keine Programm oder weitere zweckdienlichen Hinweise. Man hat einfach die spärlichen Angaben von der „Musiktheatertage Wien“-Homepage ausgedruckt und auf eine Stellwand genadelt.