Musikalisch anregend, szenisch entbehrlich
(Dominik Troger)
An der Kammeroper hatte eine ausgesprochene Rarität Premiere:
Das Oratorium „Isacco“ von Marianna Martines – komponiert
auf ein Libretto von Pietro Metastasio. Es hat eine der aufwühlendstens
Begebenheiten des Alten Testaments zum Inhalt: die Abraham gottbefohlene
Opferung seines Sohnes Isaak.
Nun
weiß man, dass diese Geschichte gerade noch gut ausgeht, weil Gott den
Sohn, dem der Vater schon das Opfermesser ansetzt, gegen einen Widder
tauscht. Der Willensbeweis von Abrahams unbedingtem Glauben hat Gott
genügt. Metastasio deutet das Geschehen wie im Christentum üblich auf
das Neue Testament und die Passion Christi hin.
Der Text des Alten Testaments ist allerdings sehr knapp gehalten,
während das gedruckte Libretto bei Metastasio rund 30 Seiten umfasst.
Metastasio hat den biblischen Bericht um die Figur der Sara, Isaccos
Mutter ergänzt, und noch die Figur des Gamari hinzugefügt. Er erzählt
aus der Perspektive der handelnden Figuren – vor allem Sara darf am
Beginn des zweiten Teils ihre mütterliche Verzweiflung ausgiebig
ausleben. Das Opfer selbst wird nicht gezeigt, sondern als Bericht
gegeben. Der erste Teil umfasst unter anderem den Befehl des
Engels, dessen Inhalt Sara von Abramo mitgeteilt wird, und den Aufbruch
zur Opferhandlung. Der zweite Teil zeigt Sara, die auf die Rückkehr der
Opfernden wartet. Als diese erscheinen, klärt Abramo
den Sachverhalt auf, und der Engel berichtet ihm vom Wohlgefallen
Gottes. In einer Vision erkennt Abramo den Zusammenhang mit dem
zukünftigen Opfer eines anderen Sohnes (=Jesus), das die Menschheit
erlösen wird.
Metastasios Text ist ab 1740 oftmals vertont worden, es gibt einen
eigenen deutschen Wikipediaartikel zu diesem Oratorium mit einer Liste
der Komponisten. Erst vierzig Jahre später hat Marianna Martines das
Libretto in Musik gesetzt. Gerade noch rechtzeitig: denn bald nach den
zwei Aufführungen des Oratoriums durch die Wiener Tonkünstler-Societät
im März 1782 ist Metastasio verstorben. Jetzt wurde das Oratorium nach
nachezu 250 Jahren in der Kammeroper wieder aufgeführt. (An dieser
Stelle soll der
Vollständigkeit halber noch auf das enge Vater-Tochter-Verhältnis der
Komponistin zum vielgeehrten Hofpoeten hingewiesen werden, ohne weiter
darauf einzugehen.)
Musikalisch hat Martines bei ihrem „Isacco“ – ganz vereinfachend
formuliert – neapolitanische Oper mit „Wiener Klassik“ gemisch. Die
eigentliche Stärke des Werkes liegt nach meinem Eindruck weniger in den
nach üblichem Schema angefertigten, mit hohem Koloraturanteil
versehenen Arien, sondern in den musikdramatisch ausgeschmückten,
begleitenden Rezitativen. Diese bringen – wie etwa bei Sara am Beginn
des zweiten Teils – die Gefühle der handelnden Figuren sehr expressiv
zur Geltung. Bezogen auf das Jahr der Uraufführung ist Martines
stilitisch keine „Erneuerin“ gewesen, und der Geschmack – sowohl was
die Musik als auch Metastasios Dichtungen betrifft – hat sich in der
nachfolgenden Generation stark verändert. Beide Punkte sind der
nachhaltigen Rezeption des Werkes sicher nicht förderlich gewesen.
(Siehe dazu noch weitere Anmerkungen am Ende dieses Textes.)
In der Kammeroper wurden für die Aufführung einige Veränderungen
vorgenommen – zum Beispiel wurde entgegen der ursprünglichen Besetzung
(Engel, Isacco, Sara: Sopran; Abraham: Bass; Gamari: Tenor) der Isacco
mit einem Sopranisten besetzt – wodurch sich die Klangfarbe doch
merklich verändert. Die Chorpassagen wurde von den fünf Solisten
übernommen. Die Ouvertüre sollte eigentlich in ein Rezitativ des Abramo
übergehen („Non piu, filgio“),
hier wurde aber mit einem Chor begonnen. Der finale Schlusschor wurde
einfach abgebrochen – was der Inszenierung geschuldet war.
Musikalisch begann der Abend mit einer ziemlich „robust“ vorgetragenen Ouvertüre, bei der sich das Bach Consort Wien
unter Chiara Cattani erst
einmal „warm“ spielen musste. Später schätzte man die etwas
derb-straffe Akzentuierung, weil sie der Rezitativbegleitung starke
Konturen gab und in diesem Sinne auch „musikdramatisch“ zu wirken
vermochte – ein Eindruck, den die angenehme Kürze (inklusive Pause
dauerte die Vorstellung nur rund zwei Stunden fünfzehn Minuten) noch
verstärkt hat.
Das Sängerteam wurde von zwei erfahrenen Kräften angeführt: Christian Senn als Abramo und Sophie Gordeladze
als Sara. Senn hat dem biblischen Partiarchen Ansehen verliehen, soweit
es die Inszenierung zugelassen hat. Sophie Gordeladze wurde dem
expressiven Gefühslausdruck Saras gerecht, ohne dabei ihren Sopran zu
überspannen. Den Sohn hat Dennis Orellana
verkörpert, der seinen Sopran wendig und einsatzfreudig durch die von
der Komponistin gelegten Koloraturen steuerte und auch im Spiel einen
intensiven Eindruck hinterließ. Andjela Spaic
lieh dem Engel ihren noch jungen Sopran, für den die Arie im zweiten
Teil allerdings bei den Spitzentönen schon zu hoch lag. Dazu gesellte
sich noch Anle Gou als praktikabel tenoraler Gamari.
Die Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr
war entbehrlich. Ihr Versuch díe biblische Geschichte videounterstützt
als durch Gewalt oder sonstige üble Erfahrungen beschädigte
„bürgerliche Familienaufstellung“ zu inszenieren, hat mehr für
Verwirrung gesorgt, als dem Stück genützt. Sie hat zudem Sara ins
Zentrum einer feministischen Perspektive gerückt, der offenbar auch die
Geschirrberge neben der Abwasch (im Bühnenhintergrund als Video zu
sehen) psychisch zugesetzt haben. Das Nachspielen des Opfers durch
Abramo und Isacco im zweiten Teil erzeugte zwar einiges an
Bühnendramatik, hat aber letztlich den unerbittlichen Gottglauben der
Figuren in Zweifel gezogen. Die Absicht war deutlich, dass die
patriarchale Glaubenseinfalt Abramos und die jugendlich-überspannte
Opferbereitschaft Isaccos ausgehebelt und kritisch hinterfragt werden
sollten.
Am Beginn waren noch alle fünf Protagonisten in Abendkleidung auf die
Bühne gekommen, sozusagen ganz „konzertant“, dann mischte sich ein
Statistenkind darunter, und dann löste sich dieser formale
„Konzertbeginn“ in Bühnenaktion auf. Im Bühnenhintergrund wurde mit
Videos von einer leeren Wohnung, Kinderspielzeug, Türen, Fenstern, eine
mehr oder weniger bedrohliche Atmosphäre erzeugt, die im Finale mit
Kruzifix und Christbaum eine seltsame „Illumination“ abgab.
Am Ende scheitert mit der erneuten Aufstellung des Chores die
„Wiederherstellung“ der Familie, weil Sara aus dem Schlusschor
aussteigt und einfach in den Bühnenhintergrund abgeht. Danach bricht
die Musik plötzlich ab. Bezogen auf Metastasio, Martines sowie die
religiöse Aussage des Oratoriums ist dieser Schluss vollkommen
unpassend und verkehrt die durch das Werk angesprochene Hoffnung und
Heilserwartung ins Gegenteil. Das Publikum spendete den üblichen
Premierenapplaus. Ich habe aber nicht lange zugewartet, um nicht auf
der schmalen Treppe stauen zu müssen.
Anbei noch ein paar Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte der
Komponistin Marianna Martines: Das musikalische Erbe von Martines hat
sich nach ihrem Tod im Jahre 1812 schnell zerstreut. 1846 hat sich
August Schmid in der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung der Komponistin
erinnert und auch eine Liste ihrer Kompositionen angefügt. Er schreibt
dort unter anderem: „In Wiens Mauern
leben noch kunstsinnige Männer und Frauen, welche das Andenken einer
Künstlerin, deren Ruhm nicht ganz zu verlöschen verdient, würdig ehren;
so wie noch viele von ihren gebildeten Schülerinnen, die ihr trauernd
und dankbar ins Jenseits nachblicken.“ (Wiener allgemeine Musik-Zeitung. Nr. 129,. 27. Oktober 1846)
Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits die „Denkwürdigkeiten aus meinem
Leben“ von Caroline Pichler erschienen, jener damals berühmten
Schriftstellerin und „Salonnière“, die im zweiten Band ihrer
Lebenserinnerungen das Urteil des 19. Jahrhunderts über die Komponistin
Marianna Martines stark geprägt hat (Wien, 1844. S. 96f). Über Martines
und die auch komponierende Pianistin Maria Theresia Paradis merkt sie
an, beide hätten „Artiges“ geleistet, „aber es erhob sich nicht über – ja kaum an das Mittelmäßige“.
Pichler knüpft daran ein paar Überlegungen, und meint sinngemäß, dass
Frauen in der Literatur und der Malerei viel mehr geleistet hätten und
dass man „keine nur einigermaßen bedeutende Tonsetzerin erlebt“ habe.
Dieses Urteil wurde von Eduard Hanslick aufgegriffen, der auf Martines
aber nur in einer Fußnote eingeht und ausdrücklich Pichler zitierend
hinzufügt: „ein Urtheil, das uns ganz glaubwürdig scheint“.
Hanslick gibt die Werke von Martines außerdem lapidar als verschollen
an – und scheint sich nicht mehr weiter mit ihr befasst zu haben.
(Geschichte des Concertwesen in Wien. Wien 1869. S. 124) Die
Wiederentdeckung der Komponistin hat erst im Laufe des 20. Jahrhunderts
eingesetzt. 2010 ist eine umfassende englischsprachige Biographie von
Irving Godt erschienen (Marianna Martines: A Woman Composer in the
Vienna of Mozart and Haydn. University of Rochester Press).