ISACCO
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Kammeroper
5. Juni 2025
Premiere

Musikalische Leitung: Chiara Cattani

Inszenierung und Kostüm: Eva-Maria Höckmayr
Bühne und Kostüm: Fabian Liszt
Video: Lukas Schöffel
Licht: Karl Wiedemann

Isacco - Dennis Orellana
Abramo - Christian Senn
Sara - Sophie Gordeladze
Gamari - Anle Gou
Angelo - Andjela Spaic

 


Musikalisch anregend, szenisch entbehrlich

(Dominik Troger)

An der Kammeroper hatte eine ausgesprochene Rarität Premiere: Das Oratorium „Isacco“ von Marianna Martines – komponiert auf ein Libretto von Pietro Metastasio. Es hat eine der aufwühlendstens Begebenheiten des Alten Testaments zum Inhalt: die Abraham gottbefohlene Opferung seines Sohnes Isaak.

Nun weiß man, dass diese Geschichte gerade noch gut ausgeht, weil Gott den Sohn, dem der Vater schon das Opfermesser ansetzt, gegen einen Widder tauscht. Der Willensbeweis von Abrahams unbedingtem Glauben hat Gott genügt. Metastasio deutet das Geschehen wie im Christentum üblich auf das Neue Testament und die Passion Christi hin.

Der Text des Alten Testaments ist allerdings sehr knapp gehalten, während das gedruckte Libretto bei Metastasio rund 30 Seiten umfasst. Metastasio hat den biblischen Bericht um die Figur der Sara, Isaccos Mutter ergänzt, und noch die Figur des Gamari hinzugefügt. Er erzählt aus der Perspektive der handelnden Figuren – vor allem Sara darf am Beginn des zweiten Teils ihre mütterliche Verzweiflung ausgiebig ausleben. Das Opfer selbst wird nicht gezeigt, sondern als Bericht gegeben. Der erste Teil umfasst unter anderem den  Befehl des Engels, dessen Inhalt Sara von Abramo mitgeteilt wird, und den Aufbruch zur Opferhandlung. Der zweite Teil zeigt Sara, die auf die Rückkehr der Opfernden wartet. Als diese erscheinen, klärt
Abramo den Sachverhalt auf, und der Engel berichtet ihm vom Wohlgefallen Gottes. In einer Vision erkennt Abramo den Zusammenhang mit dem zukünftigen Opfer eines anderen Sohnes (=Jesus), das die Menschheit erlösen wird.

Metastasios Text ist ab 1740 oftmals vertont worden, es gibt einen eigenen deutschen Wikipediaartikel zu diesem Oratorium mit einer Liste der Komponisten. Erst vierzig Jahre später hat Marianna Martines das Libretto in Musik gesetzt. Gerade noch rechtzeitig: denn bald nach den zwei Aufführungen des Oratoriums durch die Wiener Tonkünstler-Societät im März 1782 ist Metastasio verstorben. Jetzt wurde das Oratorium nach nachezu 250 Jahren in der Kammeroper wieder aufgeführt. (An dieser Stelle soll der Vollständigkeit halber noch auf das enge Vater-Tochter-Verhältnis der Komponistin zum vielgeehrten Hofpoeten hingewiesen werden, ohne weiter darauf einzugehen.)

Musikalisch hat Martines bei ihrem „Isacco“ – ganz vereinfachend formuliert – neapolitanische Oper mit „Wiener Klassik“ gemisch. Die eigentliche Stärke des Werkes liegt nach meinem Eindruck weniger in den nach üblichem Schema angefertigten, mit hohem Koloraturanteil versehenen Arien, sondern in den musikdramatisch ausgeschmückten, begleitenden Rezitativen. Diese bringen – wie etwa bei Sara am Beginn des zweiten Teils – die Gefühle der handelnden Figuren sehr expressiv zur Geltung. Bezogen auf das Jahr der Uraufführung ist Martines stilitisch keine „Erneuerin“ gewesen, und der Geschmack – sowohl was die Musik als auch Metastasios Dichtungen betrifft – hat sich in der nachfolgenden Generation stark verändert. Beide Punkte sind der nachhaltigen Rezeption des Werkes sicher nicht förderlich gewesen. (Siehe dazu noch weitere Anmerkungen am Ende dieses Textes.)

In der Kammeroper wurden für die Aufführung einige Veränderungen vorgenommen – zum Beispiel wurde entgegen der ursprünglichen Besetzung (Engel, Isacco, Sara: Sopran; Abraham: Bass; Gamari: Tenor) der Isacco mit einem Sopranisten besetzt – wodurch sich die Klangfarbe doch merklich verändert. Die Chorpassagen wurde von den fünf Solisten übernommen. Die Ouvertüre sollte eigentlich in ein Rezitativ des Abramo übergehen („Non piu, filgio“), hier wurde aber mit einem Chor begonnen. Der finale Schlusschor wurde einfach abgebrochen – was der Inszenierung geschuldet war.

Musikalisch begann der Abend mit einer ziemlich „robust“ vorgetragenen Ouvertüre, bei der sich das Bach Consort Wien unter Chiara Cattani erst einmal „warm“ spielen musste. Später schätzte man die etwas derb-straffe Akzentuierung, weil sie der Rezitativbegleitung starke Konturen gab und in diesem Sinne auch „musikdramatisch“ zu wirken vermochte – ein Eindruck, den die angenehme Kürze (inklusive Pause dauerte die Vorstellung nur rund zwei Stunden fünfzehn Minuten) noch verstärkt hat.

Das Sängerteam wurde von zwei erfahrenen Kräften angeführt: Christian Senn als Abramo und Sophie Gordeladze als Sara. Senn hat dem biblischen Partiarchen Ansehen verliehen, soweit es die Inszenierung zugelassen hat. Sophie Gordeladze wurde dem expressiven Gefühslausdruck Saras gerecht, ohne dabei ihren Sopran zu überspannen. Den Sohn hat Dennis Orellana verkörpert, der seinen Sopran wendig und einsatzfreudig durch die von der Komponistin gelegten Koloraturen steuerte und auch im Spiel einen intensiven Eindruck hinterließ. Andjela Spaic lieh dem Engel ihren noch jungen Sopran, für den die Arie im zweiten Teil allerdings bei den Spitzentönen schon zu hoch lag. Dazu gesellte sich noch Anle Gou als praktikabel tenoraler Gamari.

Die Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr war entbehrlich. Ihr Versuch díe biblische Geschichte videounterstützt als durch Gewalt oder sonstige üble Erfahrungen beschädigte „bürgerliche Familienaufstellung“ zu inszenieren, hat mehr für Verwirrung gesorgt, als dem Stück genützt. Sie hat zudem Sara ins Zentrum einer feministischen Perspektive gerückt, der offenbar auch die Geschirrberge neben der Abwasch (im Bühnenhintergrund als Video zu sehen) psychisch zugesetzt haben. Das Nachspielen des Opfers durch Abramo und Isacco im zweiten Teil erzeugte zwar einiges an Bühnendramatik, hat aber letztlich den unerbittlichen Gottglauben der Figuren in Zweifel gezogen. Die Absicht war deutlich, dass die patriarchale Glaubenseinfalt Abramos und die jugendlich-überspannte Opferbereitschaft Isaccos ausgehebelt und kritisch hinterfragt werden sollten.

Am Beginn waren noch alle fünf Protagonisten in Abendkleidung auf die Bühne gekommen, sozusagen ganz „konzertant“, dann mischte sich ein Statistenkind darunter, und dann löste sich dieser formale „Konzertbeginn“ in Bühnenaktion auf. Im Bühnenhintergrund wurde mit Videos von einer leeren Wohnung, Kinderspielzeug, Türen, Fenstern, eine mehr oder weniger bedrohliche Atmosphäre erzeugt, die im Finale mit Kruzifix und Christbaum eine seltsame „Illumination“ abgab.  

Am Ende scheitert mit der erneuten Aufstellung des Chores
die „Wiederherstellung“ der Familie, weil Sara aus dem Schlusschor aussteigt und einfach in den Bühnenhintergrund abgeht. Danach bricht die Musik plötzlich ab. Bezogen auf Metastasio, Martines sowie die religiöse Aussage des Oratoriums ist dieser Schluss vollkommen unpassend und verkehrt die durch das Werk angesprochene Hoffnung und Heilserwartung ins Gegenteil. Das Publikum spendete den üblichen Premierenapplaus. Ich habe aber nicht lange zugewartet, um nicht auf der schmalen Treppe stauen zu müssen.

Anbei noch ein paar Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte der Komponistin Marianna Martines: Das musikalische Erbe von Martines hat sich nach ihrem Tod im Jahre 1812 schnell zerstreut. 1846 hat sich August Schmid in der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung der Komponistin erinnert und auch eine Liste ihrer Kompositionen angefügt. Er schreibt dort unter anderem: „In Wiens Mauern leben noch kunstsinnige Männer und Frauen, welche das Andenken einer Künstlerin, deren Ruhm nicht ganz zu verlöschen verdient, würdig ehren; so wie noch viele von ihren gebildeten Schülerinnen, die ihr trauernd und dankbar ins Jenseits nachblicken.“ (Wiener allgemeine Musik-Zeitung. Nr. 129,. 27. Oktober 1846)

Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits die „Denkwürdigkeiten aus meinem Leben“ von Caroline Pichler erschienen, jener damals berühmten Schriftstellerin und „Salonnière“, die im zweiten Band ihrer Lebenserinnerungen das Urteil des 19. Jahrhunderts über die Komponistin Marianna Martines stark geprägt hat (Wien, 1844. S. 96f). Über Martines und die auch komponierende Pianistin Maria Theresia Paradis merkt sie an, beide hätten „Artiges“ geleistet, „aber es erhob sich nicht über – ja kaum an das Mittelmäßige“. Pichler knüpft daran ein paar Überlegungen, und meint sinngemäß, dass Frauen in der Literatur und der Malerei viel mehr geleistet hätten und dass man „keine nur einigermaßen bedeutende Tonsetzerin erlebt“ habe.

Dieses Urteil wurde von Eduard Hanslick aufgegriffen, der auf Martines aber nur in einer Fußnote eingeht und ausdrücklich Pichler zitierend hinzufügt: „ein Urtheil, das uns ganz glaubwürdig scheint“. Hanslick gibt die Werke von Martines außerdem lapidar als verschollen an – und scheint sich nicht mehr weiter mit ihr befasst zu haben. (Geschichte des Concertwesen in Wien. Wien 1869. S. 124) Die Wiederentdeckung der Komponistin hat erst im Laufe des 20. Jahrhunderts eingesetzt. 2010 ist eine umfassende englischsprachige Biographie von Irving Godt erschienen (Marianna Martines: A Woman Composer in the Vienna of Mozart and Haydn. University of Rochester Press).