L'ARBORE DI DIANA

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Kammeroper
10.12.2022

Musikalische Leitung: Ruben Dubrovsky

Inszenierung und Kostüm: Rafael R. Villalobos
Bühne: Emanuele Sinisi
Licht: Franz Tscheck

Bach Consort Wien
Hammerklavier:
Gianni Fabbrini

Diana - Verónica Cangemi
Amore - Maayan Licht
Britomarte - Jerilyn Chou
Clizia - Arielle Jeon
Cloe - Bernarda Klinar
Silvio - Gyula Rab
Endimione - Jan Petryka
Doristo - Christoph Filler (Spiel), Tomothy Connor (Arien), Gianni Fabbrini (Rezitative)

„Gusto auf Sex?
(Dominik Troger)

Am „Baum der Diana“ hat sich der junge spanische Regisseur Rafael R. Villalabos mit viel Lust gerieben und Martin y Solers Opernerfolg „L’arbore di Diana“ mit genderfluidem szenischem Gleitmittel zu einer schlüpfrigen Neuinszenierung in der Kammeroper verholfen.

Zuallererst ist aber den Veranstaltern zu danken, dass die vierte Aufführung dieser Produktion (Premiere war am 3. Dezember) überhaupt stattfinden konnte. Wegen Erkrankung von Christoph Filler wurde die Partie des Doristo auf drei (!) Personen aufgeteilt: Filler spielte selbst auf der Bühne, eine schwarze FFP2-Maske vor Nase und Mund, seinen Gesangspart übernahm Timothy Connor, der mit Noten bewaffnet an der Seite stand, die Rezitative steuerte Gianni Fabbrini bei, zusätzlich zur Begleitung am Hammerklavier.

„L’arbore di Diana“ wurde 1787 in Wien uraufgeführt. Das Libretto stammt von Lorenzo da Ponte, der es parallel zum „Don Giovanni“ und zur italienischen Umarbeitung von Salieris „Tarare“ verfasst hat. Da Ponte ließ sich, wie er in seinen Memoiren bekennt, dabei von einer sechszehnjährigen Muse inspirieren, deren Mutter ihm den Haushalt besorgte. (Die Passage aus den Memoiren ist im Programmheft abgedruckt.) Vicente Martin y Soler feierte in jenen Jahren in Wien große Erfolge. Mozart zitiert seine Oper „Una cosa rara“ im „Don Giovanni“ – und das hat dem Komponisten all die Jahrhunderte hindurch in der Opernhistorie seinen Platz gesichert, obwohl seine Opern kaum mehr aufgeführt wurden. In Wien gab es meines Wissens zuletzt im Jahr 2003 eine konzertante Aufführung von „La capricciosa correta“, die er 1795 für London komponiert hat. Der Lustgarten Dianas mit Hirten und Nymphen hat Martin y Soler zu einer leichtgängigen, unterhaltsamen Musik inspiriert, der Dianas „konservative“ Opera-seria-Arien gegenüberstehen. Die Nähe zu Mozart ist unverkennbar – wobei Martin y Soler eigentlich eine Vorreiterrolle zukommt, wenn man an die deutlich hörbaren Parallelen zu „Cosi fan tutte“ oder die „Zauberflöte“ denkt.

Die Inszenierung, die sich der in Sevilla geborene Regisseur Rafael R. Villalobos ausgedacht hat (er dürfte sich bei Calixto Bieito einiges abgeschaut haben), verlegt Dianas Lustgarten in eine Eliteschule. Von der mythologischen Perspektive ist so gut wie nichts übrig geblieben. Diana ist die moralisch-knöchrige Direktorin, die männlichen Zöglinge sind schwer pubertär und die zu Reinigungsfachfrauen umgeschulten Nymphen nehmen es mit der Keuschheit auch nicht so genau. Amor mischt sich als Mädchen verkleidet unter die Gesellschaft und entlarvt mit viel Obszönität Dianas Keuschheitsheuchelei. An dieser Stelle kommt laut Libretto der „Baum“ ins Spiel, dessen Früchte Diana als biologischer Lügendetektor dienen. Tritt eine unkeusche Nymphe in seinen Wirkungskreis, wird sie mit faulen Früchten „bombardiert“. In der Inszenierung wird die finale „Entlarvung“ Dianas auf einem Schulball mit dekorativem Luftballonarrangement verlegt, das man symbolisch als Baum plus Früchte deuten könnte.

Die Bühne zeigt im Vordergrund einen „Nassraum“ als Ort eifrig zur Schau gestellter sexueller Nöte und Umtriebe mit schäbigen Fliesen und drei, dem Publikum in frontaler Ansicht dargebotenen WC-Kabinen. Werden diese weggehoben, sieht man im Hintergrund ein Klassenzimmer (u. a. Ort freudenhausartiger Betätigung) und einen Festsaal für den angesprochenen Schulball. Das Bühnenbild war in den kleinen Rahmen sehr gut eingepasst, links von der Bühne befand sich noch ein Spind und vor diesem war das rezitativbegleitende Hammerklavier aufgestellt, rechts an der Bühnenseite stand eine Turnsaalbank zum Kuscheln (Bühne: Emanuele Sinisi). Für die Kostüme hat der Regisseur selbst gesorgt: eine Elite-Internatsuniform mit Hirschemblem auf dem Pullover; Arbeitskleidung für die putzenden Nymphen; rosa Söckchen für den lasziven Amor, den er am Schluss in ein seltsames rosa Schafkostüm steckt. Gestrenger Rock und Bluse kleiden die Direktorin.

Angeblich hat da Ponte mit dem Libretto, das er für sein bestes hielt, auf die Klosterreform Joseph II. angespielt, in der viele kontemplative Frauenklöster aufgelassen wurden. Der Regisseur bringt in einem Beitrag für das Programmheft sogar den Begriff „Revolution“ ins Spiel: Dianas Macht wird von ihrem „Volk“ unter der eifrigen Mithilfe von Amor gestürzt. Der kindliche Sohn von Venus und Mars war Villalobos überhaupt ein Anliegen: Amor besitzt für ihn eine androgyne Qualität abseits von Geschlechterbinaritäten – und deshalb wurde die ursprünglich für einen Sopran komponierte Partie mit einem Sopranisten besetzt. Diese „Umbesetzung“ war ein kluger Schachzug und hätte gar keiner „zeitgeistigen“ Begründungen bedurft: Amor wurde damit als „Strippenzieher“ der Handlung und als Gegenpol zu Diana deutlich herausgestrichen und musikalisch hatte man mit Maayrjan Licht einen Sänger an der Hand, der den Part gesanglich und darstellerisch mit  virtuoser Leichtigkeit und starker Bühnenpräsenz umzusetzen wusste.

Neben Amor war es vor allem Verónica Cangemi, die mit dem Porträt der „dianahaften“ Schuldirektorin eine Glanzleistung bot und deren in höheren Lagen schon leicht spröd gewordener Sopran auch die psychologische Ebene dieser Figur einfing: eine auf Form und Würde bedachte Äußerlichkeit, die unter Amors „Wühlarbeit“ langsam aufbricht. Für ihre lange, ihren göttlichen Prinzipien huldigende Arie im ersten Akt gab es viel Szenenapplaus. Jan Petryka als Endimione steuerte eine Art von feinnerviger „Un' aura amorosa“ bei, zu zartem Schmachten fähig; sein Schulfreund Gyula Rab verlieh dem Silvio einen etwas festeren Tenor. Hinzu gesellte sich noch die bereits angesprochene, notgedrungen vorgenommene Dreiteilung des Doristo, die sich aufgrund der kleinen Räumlichkeiten der Kammeroper als praktikable Lösung erwies.

Die drei Nymphen standen mit ihrer intensiven Rollengestaltung den zu Schülern mutierten Schäfern um nichts nach und wurden von der lustvoll agierenden und singenden Jerilyn Chou als Britomarte angeführt. Zu ihrem Sopran gesellten sich Arielle Jeon als Clizia und Bernarda Klinar als Cloe mit kräftigem Mezzo. Mit viel Begeisterung führte das Bach Consort unter Rubén Dubrovsky durch Martin y Solers Oper, mit nahtlosem Wechsel von Buffa-Szenen und ironisch-schwermütiger Opera-seria-Attitüde. Martin y Solers Musik entwickelte sich leichtfüßig und zugleich selbstbewusst, ohne sich bei Mozart „anzubiedern“. Der zweite Akt dürfte allerdings etwas schwächer sein, dafür entschädigt das finale „Baumorakel“, das der Komponist effektvoll umgesetzt hat.

Die Premierenkritiken sprechen zwar von einer nicht ganz widerspruchslosen Aufnahme durch das Publikum, aber die vierte Vorstellung wurde nach knapp drei Stunden (inklusive einer Pause) mit minutenlangem starkem Schlussapplaus bedacht. Musikalisch ist die Produktion „top“ und hörenswert, ob sie aber auch im engeren Sinne „sehenswert“ ist? Könnte sich jemand, der die sensualen Reize von schäbigen Schultoiletten vielleicht noch nicht als faszinierendes Aphrodisiakum und Ort urinal-erotischer solistisch ausgeübter oder paargetriebener Ausschweifungen für sich entdeckt hat, in der Kammeroper nicht am falschen Orte wähnen? Allerdings, doch irgendwie funktioniert die ganze Sache: Auch ein ungustiöser Witz kann unterhalten, wenn er gut erzählt wird.