L'ARBORE DI DIANA |
Home |
Kammeroper Musikalische Leitung: Ruben Dubrovsky Bach Consort Wien |
Diana - Verónica Cangemi |
„Gusto
auf Sex?“ Am „Baum der Diana“ hat sich der junge spanische Regisseur Rafael R. Villalabos mit viel Lust gerieben und Martin y Solers Opernerfolg „L’arbore di Diana“ mit genderfluidem szenischem Gleitmittel zu einer schlüpfrigen Neuinszenierung in der Kammeroper verholfen. Zuallererst
ist aber den Veranstaltern zu danken, dass die vierte Aufführung dieser
Produktion (Premiere war am 3. Dezember) überhaupt stattfinden konnte.
Wegen Erkrankung von Christoph Filler
wurde die Partie des Doristo auf drei (!) Personen aufgeteilt: Filler
spielte selbst auf der Bühne, eine schwarze FFP2-Maske vor Nase und
Mund, seinen Gesangspart übernahm Timothy Connor, der mit Noten bewaffnet an der Seite stand, die Rezitative steuerte Gianni Fabbrini bei, zusätzlich zur Begleitung am Hammerklavier. „L’arbore di Diana“ wurde 1787 in Wien uraufgeführt. Das Libretto stammt von Lorenzo da Ponte, der es parallel zum „Don Giovanni“ und zur italienischen Umarbeitung von Salieris „Tarare“ verfasst hat. Da Ponte ließ sich, wie er in seinen Memoiren bekennt, dabei von einer sechszehnjährigen Muse inspirieren, deren Mutter ihm den Haushalt besorgte. (Die Passage aus den Memoiren ist im Programmheft abgedruckt.) Vicente Martin y Soler feierte in jenen Jahren in Wien große Erfolge. Mozart zitiert seine Oper „Una cosa rara“ im „Don Giovanni“ – und das hat dem Komponisten all die Jahrhunderte hindurch in der Opernhistorie seinen Platz gesichert, obwohl seine Opern kaum mehr aufgeführt wurden. In Wien gab es meines Wissens zuletzt im Jahr 2003 eine konzertante Aufführung von „La capricciosa correta“, die er 1795 für London komponiert hat. Der Lustgarten Dianas mit Hirten und Nymphen hat Martin y Soler zu einer leichtgängigen, unterhaltsamen Musik inspiriert, der Dianas „konservative“ Opera-seria-Arien gegenüberstehen. Die Nähe zu Mozart ist unverkennbar – wobei Martin y Soler eigentlich eine Vorreiterrolle zukommt, wenn man an die deutlich hörbaren Parallelen zu „Cosi fan tutte“ oder die „Zauberflöte“ denkt. Die Inszenierung, die sich der in Sevilla geborene Regisseur Rafael R. Villalobos ausgedacht
hat (er dürfte sich bei Calixto Bieito einiges abgeschaut haben),
verlegt Dianas Lustgarten in eine Eliteschule. Von der mythologischen
Perspektive ist so gut wie nichts übrig geblieben. Diana ist die
moralisch-knöchrige Direktorin, die männlichen Zöglinge sind schwer
pubertär und die zu Reinigungsfachfrauen umgeschulten Nymphen nehmen es
mit der Keuschheit auch nicht so genau. Amor mischt sich als Mädchen
verkleidet unter die Gesellschaft und entlarvt mit viel Obszönität
Dianas Keuschheitsheuchelei. An dieser Stelle kommt laut Libretto der
„Baum“ ins Spiel, dessen Früchte Diana als biologischer Lügendetektor
dienen. Tritt eine unkeusche Nymphe in seinen Wirkungskreis, wird sie
mit faulen Früchten „bombardiert“. In der Inszenierung wird die finale
„Entlarvung“ Dianas auf einem Schulball mit dekorativem
Luftballonarrangement verlegt, das man symbolisch als Baum plus Früchte
deuten könnte. Die
Bühne zeigt im Vordergrund einen „Nassraum“ als Ort eifrig zur Schau
gestellter sexueller Nöte und Umtriebe mit schäbigen Fliesen und drei,
dem Publikum in frontaler Ansicht dargebotenen WC-Kabinen. Werden diese
weggehoben, sieht man im Hintergrund ein Klassenzimmer (u. a. Ort
freudenhausartiger Betätigung) und einen Festsaal für den
angesprochenen Schulball. Das Bühnenbild war in den kleinen Rahmen sehr
gut eingepasst, links von der Bühne befand sich noch ein Spind und
vor diesem war das rezitativbegleitende Hammerklavier aufgestellt,
rechts an der Bühnenseite stand eine Turnsaalbank zum Kuscheln (Bühne:
Emanuele Sinisi). Für die Kostüme hat der Regisseur selbst gesorgt:
eine Elite-Internatsuniform mit Hirschemblem auf dem Pullover;
Arbeitskleidung für die putzenden Nymphen; rosa Söckchen für den
lasziven Amor, den er am Schluss in ein seltsames rosa Schafkostüm
steckt. Gestrenger Rock und Bluse kleiden die Direktorin. Angeblich
hat da Ponte mit dem Libretto, das er für sein bestes hielt, auf die
Klosterreform Joseph II. angespielt, in der viele kontemplative
Frauenklöster aufgelassen wurden. Der Regisseur bringt in einem Beitrag
für das Programmheft sogar den Begriff „Revolution“ ins Spiel: Dianas
Macht wird von ihrem „Volk“ unter der eifrigen Mithilfe von Amor
gestürzt. Der kindliche Sohn von Venus und Mars war Villalobos
überhaupt ein Anliegen: Amor besitzt für ihn eine androgyne Qualität
abseits von Geschlechterbinaritäten – und deshalb wurde die
ursprünglich für einen Sopran komponierte Partie mit einem Sopranisten
besetzt. Diese „Umbesetzung“ war ein kluger Schachzug und hätte gar
keiner „zeitgeistigen“ Begründungen bedurft: Amor wurde damit als
„Strippenzieher“ der Handlung und als Gegenpol zu Diana deutlich
herausgestrichen und musikalisch hatte man mit Maayrjan Licht
einen Sänger an der Hand, der den Part gesanglich und darstellerisch
mit virtuoser Leichtigkeit und starker Bühnenpräsenz umzusetzen
wusste. Neben Amor war es vor allem Verónica Cangemi,
die mit dem Porträt der „dianahaften“ Schuldirektorin eine
Glanzleistung bot und deren in höheren Lagen schon leicht spröd
gewordener Sopran auch die psychologische Ebene dieser Figur einfing:
eine auf Form und Würde bedachte Äußerlichkeit, die unter Amors
„Wühlarbeit“ langsam aufbricht. Für ihre lange, ihren göttlichen
Prinzipien huldigende Arie im ersten Akt gab es viel Szenenapplaus. Jan Petryka als Endimione steuerte eine Art von feinnerviger „Un' aura amorosa“ bei, zu zartem Schmachten fähig; sein Schulfreund Gyula Rab
verlieh dem Silvio einen etwas festeren Tenor. Hinzu gesellte sich noch
die bereits angesprochene, notgedrungen vorgenommene Dreiteilung des
Doristo, die sich aufgrund der kleinen Räumlichkeiten der Kammeroper
als praktikable Lösung erwies. |