„Viel Musik ohne Psyche“
(Dominik Troger)
Einen
Ausflug zu den Ursprüngen der englischen Barockoper ermöglichte das
Theater an der Wien mit einer konzertanten Aufführung der „Psyche“ von
Matthew Locke. Allerdings mit einer erheblichen Einschränkung: Die
titelgebende Psyche ist erst gar nicht aufgetreten, weil es sich um
eine Sprechrolle handelt. Ohne Dialoge und ohne Szene geriet der Abend
zu einer etwas willkürlich anmutenden Aneinanderreihung von Tänzen,
Arien, Chören.
Die „Semi-Opera“ „Psyche“ wurde (wahrscheinlich) 1675 uraufgeführt. Die
Handlung erzählt von der Liebe Cupidos zu Psyche. Psyche darf Cupido
aber nicht fragen, wer er ist. Schließlich ist er ein Gott, der keine
Sterbliche lieben darf. Wie das mit Frageverboten bekanntermaßen so
ist, werden die gebrochen, und Psyche handelt sich damit viel Leid
ein. Doch Jupiter hat ein Einsehen, erhebt Psyche in den Status
der Unsterblichkeit – und das Liebespaar wird wieder vereint.
Librettist Thomas Shadwell hat eine ganze antike Mythologie in die fünf
Akte gepackt, wechselnde Schauplätze bieten allerhand Effekte für den
reichlichen Einsatz von Bühnenmaschinerie – eine Handlung voll
überreicher barocker Theaterlust. Davon hat das Publikum an diesem
Abend im Theater an der Wien aber so gut wie nichts mitbekommen. Der
ganze Schauspielteil war gestrichen. Die Übertitelanlage hat zwar
versucht die Handlung rudimentär plausibel zu machen. Aber der
szenische Bezug der Musiknummern ließ sich nur anhand von
„Schlagworten“ bemessen.
Das dünne Programmheft hat auch nicht weitergeholfen: Die
Gesangsnummern sind auf mehr als ein Dutzend Protagonisten verteilt –
von Apollo bis zur Venus. Im Programmheft ausgewiesen wurden aber nur
vier: Tristan Hambleton als Pan, Lucile Richardot als Oberpriesterin, Élodie Fonnard als Venus, Etienne Bazola
als Vulcanus. Den Rest musste man sich anhand der Übertitel
zusammenreimen. Weil die insgesamt 13 Sänger einerseits als Chor hinter
dem Orchester platziert waren, andererseits einzelne von ihnen für die
Soli je nach Szene nach vorne an die Rampe marschierten, gestaltete
sich das eher unübersichtlich. Das Niveau war aber insgesamt
ansprechend, die Besetzung gesanglich gut auf ihre kurzen solistischen
Auftritte abgestimmt.
Eine Auflistung der gespielten Nummern wäre auch praktisch gewesen. Die
instrumentalen Tänze, die Giovanni Battista Draghi für diese
englische „Psyche“ komponiert hat, sind laut Programmheft nicht
überliefert. Für diese hat Sébastien Daucé, der musikalische Leiter des Ensemble Correspondances,
bei seiner Fassung der Semi-Opera auf andere Kompositionen von Locke
zurückgegriffen, auch Musik von Lully wurde integriert. Schließlich hat
sich das ganze Unterfangen von Locke und seinen Mitstreitern stark an
französischen Vorbildern orientiert – genannt wird das „tragédie
ballet“ gleiche Namens von Jean-Baptiste Lully, uraufgeführt 1771.
Das eigentliche „Highlight“
der Aufführung war das große, üppig instrumentierte, geradezu
„imperiale“ Orchester: allein drei Barockposaunen plus Zink
bekommt man nicht alle Tage zu hören. Das reichhaltige
Streicherensemble sorgte für einen überraschend fülligen Klang, die
Bläser waren sehr gut disponiert und das Schlagwerk steuerte allerhand
an Effekten bei. Insofern war es eine prachtvolle „Rekonstruktion“ –
der dann aber doch der lebendige Atem des „Theaters“ abging.
Nach der Pause war Daucé schon so „in Fahrt gekommen“, dass er das
Sakko in der Garderobe ließ und im weißem Hemd weiter dirgierte. Der
Orchestergraben war erneut überdeckt und die Bühne bis zu dessen Ende
ins Auditorium vorgezogen worden. Das Theater an der Wien war nicht
ausverkauft, die Sitzplätze am III. Rang grob geschätzt zu kaum zwei
Drittel belegt. Die Aufführung dauerte nicht einmal zweieinhalb Stunden
(inklusive Pause, reichlichem Schlussbeifall und einer Zugabe).