LE GRAND MACABRE
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Staatsoper
19. November 2023

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado

Nekrotzar - Georg Nigl
Piet vom Faß - Gerhard Siegel
Astradamors - Wolfgang Bankl
Mescalina - Marina Prudenskaya
Gepopo / Venus - Sarah Aristidou
Amanda - Maria Nazarova
Amando - Isabel Signoret
Fürst Go-Go - Andrew Watts
Weißer Minister - Daniel Jenz
Schwarzer Minister - Hans Peter Kammerer

Rufflack - Jusung Gabriel Park

Schobiack - Jack Lee
Schabernack - Nikita Ivasechko


Absurder Befreiungsschlag

(Dominik Troger)

Auch beim vierten Versuch ist es Nekrotzar nicht gelungen, Breughelland und seine Bewohner zu vernichten – ob es ihm beim fünften Versuch gelingen wird? Am Donnerstag hat er noch einmal die Gelegenheit dazu. Dann ist die Premierenserie von „Le Grand Macabre“ an der Wiener Staatsoper auch schon wieder Geschichte.

Natürlich hätte man sich ein Dutzend Aufführungen gewünscht, fein portioniert und über die Saison verteilt, damit man je nach Gusto und mit ein bisschen Abstand György Ligetis vermeintlichen Weltuntergang hätte verköstigen können. Dabei wäre es weniger darauf angekommen, mit spielerischer Forschungsfreude die musikalischen Zitate seiner Komponistenahnen zu entdecken, die Ligeti in der Partitur versteckt hat, sondern diesem Werk selbst mit ganzem Herzen „zuzuwachsen“. Und wenn man sich auf dem Heimweg plötzlich dabei ertappt hätte, wie die Beine sich nach der Passacaglia ausrichten, und dass man aufpassen muss, von den Passanten nicht für einen schwankenden Adepten des Piet vom Fass gehalten zu werden, dann wäre die Musik wirklich in der eigenen Seele angekommen.

Aber die Sachlage ist ernster, als den Anschein hat. Zuerst drängt sich vor allem der parodistische Effekt in den Vordergrund, der sich leicht nachvollziehen lässt, wenn der Schlagwerker mit einem Holzhammer ausholt oder die Autohupen gleich am Beginn eine „Umwertung aller Werte“ postulieren. Ein großes Spektakel scheint sich vor einem auszubreiten, und der erste Höreindruck wird einem Teil des Publikums bei so viel „überstrapaziertem“ Humor vielleicht schon genug gewesen sein.

Aber bei der dritten oder bei der vierten Begegnung wandelt sich Nekrotzar vom brutalen Maulhelden vielleicht zur Karikatur eines Despoten, zum Versuch Ligetis (Jahrgang 1923!), den Schrecken selbsterlebter europäischer Geschichte in eine Fratze zu bannen, um der eigenen Erinnerung zu entkommen.  Das wäre natürlich ein verzweifelter Selbstbetrug, der sich hier abspielt, der aber zumindest einen Funken an Hoffnung übrig ließe, zumindest für die Dauer, die es benötigt, bis Piet vom Fass wieder eine Flasche guten Rotweins geleert hat. Sobald sich das Gefühl für die Doppelbödigkeit von „Le Grand Macabre“ einstellt, so bald erkannt wird, dass sich hinter der Absurdität ein Täuschungsmanöver verbirgt, erschließt sich einem die eigentliche Größe dieses Werks. Dann wird „Le Grand Macabre“ plötzlich zum Befreiungsschlag, zu einem anarchischen „Jetzt-erst-recht“, das vom Publikum zuerst einmal „verdaut“ sein will.

Hat Georg Nigl ähnliches nicht angedeutet, mit spezifisch bedeutungsschwangerem Tonfall und  großer Gestik, zu der sein Nekrotzar immer wieder ausgeholt hat? Ein „Westentaschen-Napoleon“, ein „Westentaschen-Hitler“, ein „Westentaschen-Stalin“ dessen demagogische Größe vom Suff der Breughelländer entlarvt wird? Dass diese Breughelländer dabei auch ziemlich besoffen sind, steht auf einem anderen Blatt, und belegt nur den in vielen Notenköpfen von „Le Grand Macabre“ lauernden Nihilismus, den Ligeti nicht nur mit Autohupen, sondern auch mit Klingeln, einem Holzhammer und, und, und … an seinem Platz zu halten sucht, damit er aus ihnen nicht herauskriecht wie Nekrotzar aus seinem Grab.

Auch wenn Nigls Bariton für die Partie vielleicht eine Spur zu lyrisch ist, an diesem Abend
der vierten Vorstellung der Premierenserie – dachte ich mir, dass er vielleicht ähnliches ausdrücken wollte, dass Nekrotzar als verniedlichte „Hitlerfratze“ durch diese Oper geistert, so als wollte Ligeti einem von der Historie längst in den Mythos hinübergewechselten „Bösen“ das Wasser abgraben und es mit einer aufwendigen musikalischen Geisterbeschwörung bannen. Und werden die bösen Geister nicht oft mit Lärm und Radau vertrieben? Man denke nur an das alpenländische Brauchtum samt alkoholischer Mutzusprechung.

Gerhard Siegl als Piet von Fass, Wolfgang Bankl als Astradamor und Georg Nigls Nekrotzar profilierten sich an diesem Abend als ein Kleeblatt des Absurden, sehr gut in der Feinabstimmung ihrer Charaktere, die tragende Achse, an der man den Abend ausrichten konnte – von einem Orchester unter der Leitung von
Pablo Heras-Casado begleitet, das inzwischen seine Ligeti-„Muskel“ so weit trainiert hat, dass es Attacke und Gefühl dosierend, die Partitur nicht mehr nur exekutiert, sondern „spielt“. Dann umgibt sogar abstraktes „Atmosphären“-Schillern eine hauchdünne poetische Sinnlichkeit.

Im Übrigen haben sich die Eindrücke von der Premiere weitgehend bestätigt. Das „Tanztheater“, in das die Inszenierung  von Jan Lauwers „Le Grand Macabre“ eingebettet hat, ist großartig gearbeitet, lenkt die Aufmerksamkeit aber auf zu viele Details und nimmt der ganzen „Versuchsanordnung“ ihre Schärfe. Es ist bei einem Teil des Publikums jedoch sehr gut angekommen wie am starken Applaus für die Tanzcompagnie abzulesen war.

Das Haus war sehr gut besucht und die Abogruppe 22 hat sich nicht abschrecken lassen. Auf dem Galeriestehplatz waren viel  mehr Besucher als unlängst beim „Figaro“. Der Publikumsschwund in der Pause hielt sich in engeren Grenzen als erwartet – und der Schlussbeifall lag bei rund acht Minuten.