LE GRAND MACABRE
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Staatsoper
11. November 2023
Premiere

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado
Inszenierung & Bühne: Jan Lauwers
Kostüm: Lot Lemm
Licht: Ken Hioco
Choreographie: Paul Blackman & Jan Lauwers

Slowakischer Philharmonischer Chor
Choreinstudierung: Jozef Chabron

Nekrotzar - Georg Nigl
Piet vom Faß - Gerhard Siegel
Astradamors - Wolfgang Bankl
Mescalina - Marina Prudenskaya
Gepopo / Venus - Sarah Aristidou
Amanda - Maria Nazarova
Amando - Isabel Signoret
Fürst Go-Go - Andrew Watts
Weißer Minister - Daniel Jenz
Schwarzer Minister - Hans Peter Kammerer

Rufflack - Jusung Gabriel Park

Schobiack - Jack Lee
Schabernack - Nikita Ivasechko


Unmakabrer Makabrer

(Dominik Troger)

„Tröt“ „TrÖt“ Trööt“ „TröÖöT“, „TRÖÖÖT“ – trotz Autohuben und Türklingeln: Wenn sich der Weltuntergang so harmlos gestaltet, wie die Staatsopern-Erstaufführung von György Ligetis „Le Grand Macabre“, dann muss man sich wirklich nicht vor ihm fürchten.

Ligetis Oper heißt nicht nur „Le Grande Macabre“, sie spielt auch mit dem „Makabren“ als wesentlichem Bestandteil eines opulenten Bürgerverschrecktheaters, dem zwar nichts heilig ist, das aber schlussendlich und sinngemäß mit einer therapeutischen Botschaft endet: Vergiss den Tod, erfreue dich am Leben! Ligeti hat beim Libretto auf einen Text von Michel de Ghelderode aus den 1930er-Jahren zurückgegriffen: Nekrotzar, der Große Makabre, steigt aus einem Grab, um „Breughelland“ den Weltuntergang zu bringen. Aber er scheitert mit diesem Ansinnen, weil er sich bis zur Besinnungslosigkeit besäuft.

Ligeti hat mit aller kompositorischer Kunstfertigkeit (gut-)bürgerliche Kunst- und Kulturansprüche durch den Kakao gezogen. Elemente der Hochkultur und der biblischen Apokalypse werden mit einer grellen Alltagswelt verschmolzen, „das Schöne, das Wahre, das Gute“ wird auf makabre Weise vom Thron gestoßen, um einer fast schon verzweifelt lebensbejahenden, epikuräischen Anarchie Platz zu machen. Der Große Makabre wird als Maulheld entlarvt, und was übrig bleibt, ist die fragile mystische Zeitlosigkeit der Liebe selbst, wie sie Amando und Amanda geschenkt ist.

In den 1970er-Jahren hat Ligeti auf ein größeres Provokationspotential setzen können, als man dieser Oper aktuell noch zuzutrauen gewillt ist. (Die Uraufführung der Erstfassung erfolgte 1978.) Mit sexuellen Aberrationen werden heutzutage kaum noch Moralisten hinter dem Ofen hervorgelockt – und die Inszenierung der Wiener Staatsoper wird durch die Tanzkompanie von Jan Lauwers ohnehin mit soviel schlanker, durchtrainierter Erotik geflutet, dass man bei dem eindrucksvoll präsentierten Getanze und Gedehne als Publikum nicht mehr weiß, worauf sich der Blick richten soll. Zudem wird Ligetis an den „Ahnen“ geschulte Kompositorik in einem Zeitalter des „Alles-ist-möglich“ mehr von Liebhabern und Kennern geschätzt, als dass dadurch das „Abonnement“ noch zu einem großem Aufschrei bewegt werden könnte. Doch zumindest sollte einer Aufführung von „Le Grande Macabre“ anzumerken sein, dass sie das Ziel hat, einen solchen auszulösen. Das war an diesem Abend aber nicht der Fall.

Das „semantische Feld“ des „Makabren“ – das noch dazu in Wien bis in den „Austro-Pop“ seine Wurzeln geschlagen hat (wie der berühmte „Hofer“ von Wolfgang Ambros: „Heast, des is makaber / Da liegt ja a Kadaver“) – hätte eine Produktion von „Le Grande Macabre“ an der Wiener (!) Staatsoper schon abschreiten können. Dann hätte Lauwers seine hübschen und sehr beweglichen Tänzerinnen vielleicht nicht nur mit fleischfarbenen Trikots auf die Bühne geschickt, sondern auch in entsprechend „makabrem“ Outfit. Aber in dieser „geschönten“ Aufmachung der Staatsopernproduktion war sogar Nekrotzar ein fader Kerl. Wühlt sich dieser Widerling nicht aus einem Grab, quasi als Bote der apokalyptischen Reiter, als eine schmierige, eine grausliche, eine brutale und schlußendlich versoffene Figur? Und diesem Piet vom Fass, diesem „Lieben Augustin“ von Breughelland, hätte man szenisch auch etwas „Kakanisch-papagenohaftes“ umhängen können, wie einen Wiener Schmäh des Durchlavierens, der sogar die Apokalypse unter den Tisch säuft. Aber die Inszenierung von Jan Lauwers ist ja schon am „Makabren“ an sich gescheitert, und das hat die Ausführenden mit einer großen szenischen Hypothek belastet. Lauwers hat viele Möglichkeiten, den Abend spannender zu gestalten und das Publikum zu überraschen, ausgelassen. Ist er zu stark auf seine Tanzgruppe fokussiert gewesen? Allein die Idee, den Chef der Gepopo im weitgereiften und unförmigen Kostüm der Venus (!) auftreten zu lassen, hat Ligetis Totalitarismuskritik im Keim erstickt.

Die Bühne war weitgehend leer – im Hintergrund wurden nach Bedarf Bilder von Breughel-Gemälden projiziert, rechts (vom Zuschauerraum aus gesehen) befand sich ein großer goldener Würfel, der vielleicht ein Grab darstellen sollte. Naheliegend wäre es außerdem gewesen, mit Versenkungen zu arbeiten (Nekrotzar soll am Schluss zusammenschrumpfen) etc., aber so belebte nur ein riesiges aufgeblasenes Pferd die Bühne (die Tatsache missachtend, dass Nekrotzar eigentlich auf Piet vom Fass reiten sollte) und schwarze Luftballonkörper im zweiten Bild (aus denen sich immerhin geschickt eine Spinne formen ließ). Im dritten Bild standen ein paar Tische auf der Bühne, mit rot-weiß karierten Tischtüchern bedeckt, so als wollte man Heurigenstimmung erzeugen. Erst im vierten Bild beim im „Himmel“ schwebenden Piet samt Astradamors stellte sich ein „visionärer“ Blick auf das Bühnengeschehen ein, fand man kurze Momente einer illusionierenden Verzauberung, die sich an der Absurdität brach, das beide zwar leben, aber meinen tot zu sein.

Dass es sich laut Libretto bei Astradamors um eine Transvestiten handeln sollte (er müsste laut Libretto „Frauenkleider“ tragen) – was letztlich auch die unbefriedigte Sexsucht von Mescalina erklärt – hat man ebenso wenig wahrgenommen wie ein Friedhofsambiente. Die Szenenanweisung Ligetis zum ersten Bild lautet: „Landschaft in Breughelland mit den Resten eines verfallenen Friedhofs“. Ligeti stößt sein Publikum sofort hinein, mitten ins „Makabre“ einer zweifelhaft „romantischen“ Verwahrlosung, durch die ein Liebespaar auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen streift, und dabei gar keine Angst zu kennen scheint. Allein die Idee, den Liebesakt in einem Grab zu vollziehen, ist dermaßen totenruheschänderisch, dass dergleichen szenisch sich hätte genussvoll auswalzen lassen. Bei Lauwers hingegen hüpfen ein paar Tänzerinnen über die Bühne und das Liebespaar steckt in hellen, aseptisch anmutenden Kleidern, so als würden sie frisch aus der Dusche kommen. (Die Hosenrolle wurde zu einem Bestandteil eines lesbischen Pärchens umgedeutet – das ist auch keine neue Idee.)

Fazit: Lauwers hat Ligetis „Le Grande Macabre“ buchstäblich und viel zu verharmlosend „vertanzt“. Dadurch wurden die Charaktere der Figuren beschädigt und konnten sich nicht entfalten. So ein Wolfgang Bankl als Astradamors in Strapsen, das hätte die Bühne schon aufgemischt, viel mehr als dieses fade Kostüm mit spitzem Narrenhut. Bankl schenkte mit seinem „Endlich einmal Herr im eigenen Haus“ als Schlussstatement des zweiten Bildes der Aufführung aber einen der wenigen köstlichen Momente. (Warum diese Szene vor (!) dem geschlossenen Bühnenvorhang spielt, ist auch so eine regiebedingte Seltsamkeit.)

Aber zuerst müsste sich natürlich alle Aufmerksamkeit auf Nekrotzar gerichtet haben, dem Lauwers weder eine Totentanz ähnliche Gespenstlichkeit noch einen griffigen Auf- und Abtritt beschert hat. Georg Nigel hätte außerdem stimmlich etwas „Durchschlagskräftiger“ zu Werke gehen können. Im dritten Bild, wenn er sich besäuft, bekam er – und das war von ihm wahrscheinlich witzig gemeint – etwas „Fledermaus“-Froschartiges, das sich aber mehr in ein nettes Augenzwinkern kleidete, als in die bedrohlich orgienhafte Ausschweifung eines potentiellen Weltvernichters. Nigel hat derart zwar den „Schmäh“ wieder an „Bord“ geholt, aber er war zu harmlos und unmakaber, weil er zu wenig auf Nekrotzars Brutalität und „Leichenfledderei“ rechnen konnte. Die fiese Doppelbödigkeit der Ligetschen Figuren müsste für diese Produktion überhaupt noch entdeckt werden – seitens der Regie ebenso wie seitens der musikalischen Leitung.

In Piet vom Fass sammelt sich der untrügliche Überlebenswille der Menge, in dem die weinselige Heiterkeit über den Tod triumphiert. Gerhard Siegel führte als Piet ein insgesamt recht homogenes, den hohen Anforderungen weitgehend gewachsenes Ensemble an, das in einer originelleren Inszenierung vielleicht auch zu einer schärferen Konturierung der Charaktere gefunden hätte. Einen sehr guten Eindruck hinterließ Andrew Watts als Fürst Go-Go; willensstark, aber von der Inszenierung zu wenig als Domina gezeichnet: Marina Prudenskaya als Mescalina. Nur Sarah Aristidou klang als Venus und Chef der Gepopo gesanglich zu leise und angestrengt, aber die hohe Koloratursopranpartie des Geheimdienstchefs ist mörderisch genug und die ans artistisch grenzende (von Helfern assistierte) Handhabung des absurd in die Breite gespannten Rocks war eine zusätzliche „Fleißaufgabe“. Dem Staatsopernorchester unter Pablo Heras-Casado fehlte der „Nackenbiss“, mit dem Ligetis Provokation das Publikum packen müsste: schärfer und härter akzentuierend einerseits, witziger in der ironischen Brechung andererseits. Dieser kleine „Wahnsinn“, der sich im Orchestergraben abspielt, klang mir zu kantenlos. Aber wahrscheinlich muss alles noch ein wenig reifen, es sei deshalb empfohlen, mehrere Vorstellungen zu besuchen.

Der Abend endete mit starkem, dreizehn Minuten langem Schlussapplaus, sogar mit Ansätzen zum rhythmischen Klatschen. (Beim Regieteam brach der Applaus ein wenig ein.) Die Staatsoper hat also allen Grund, von einem großen Premierenerfolg zu sprechen. Das Haus war gut besucht, auch der Stehplatz, der Besucherschwund in der Pause hielt sich in engen Grenzen. (Gespielt wurde die von Ligeti in den 1990er-Jahren erstellte revidierte Fassung in deutscher Sprache. Es handelte sich erst um die dritte szenische Produktion auf Wiener Boden, nach dem Wiener Operntheater 1994 und der Neuen Oper Wien im Jahr 2012.)

PS: Das einzig „makabre“ an dieser Aufführung waren die Düfte vom vorbereiteten Premierenfeiernbufett, die sich bereits in der Pause ins linke Balkonfoyer zogen, und die mit dem typischen heißen Fettgeruch solcher Gelage je nach Disposition Hungergefühle oder Übelkeit erweckten.