LE GRAND MACABRE
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Museumsquartier
4. Oktober 2012

Premiere 2. Oktober 2012

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Carlos Wagner
Bühne: Andrea Cozzi

Kostüm: Christof Cremer
Lichtdesign: Norbert Chmel
Choreinstudierung:
Michael Grohotolsky

Orchester: Amadeus Ensemble Wien
Wiener Kammerchor

Gepopo / Venus - Jennifer Yoon
Amanda - Júlia Bányai
Amando - Anna Manske
Fürst Go-Go - Arno Raunig
Mescalina - Annette Schönmüller
Piet-vom-Faß - Brian Galliford
Nekrotzar - Martin Achrainer
Astradamors - Nicholas Isherwood
Rufflack - Bernd Hemedinger
Schobiack - Martin Schranz
Schabernack - Sebastian Peissl
Weißer Minister - Gerhard Karzel, Bernd Hemedinger
Schwarzer Minister - Stephan Rehm, Frederic Pfalzgraf


Der Weltuntergang ist aufgeschoben

(Dominik Troger)

Der große „Macabre“ steigt im Museumsquartier aus dem Grab. Die Neue Oper Wien hat für seine Auferstehung gesorgt. Wer ihm begegnen möchte, der hat noch am 6. und 7. Oktober die Möglichkeit dazu.

György Ligetis „Anti-Anti-Oper“ „Le Grande Macabre“ wurde 1978 in Stockholm uraufgeführt – und in den 1990er-Jahren vom Komponisten überarbeitet: Die Uraufführung der „revidierten Fassung“ fand 1997 bei den Salzburger Festspielen statt. Auch die Neue Oper Wien spielt jetzt diese zweite Fassung. In Wien wurde das Werk zuletzt Mitte der 1990er-Jahre im Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe gegeben.

Die Geschichte vom Nekrotzar, der aus dem Grab klettert, den Bewohnern von „Breughelland“ den Weltuntergang verkündet, dann aber zu besoffen ist, um diesen in die Tat umzusetzen, besteht aus einer bunten, skurrilen Bilderfolge, deren Provokationspotential sich inzwischen ungleich verteilt. Zumindest war es mein Eindruck, dass das Publikum vor der Pause den sexuellen Abreaktionen auf der Bühne eher gelangweilt folgte, während die Abrechnung mit der Politikerkaste „Breughellands“ gleich nach der Pause weitaus mehr Anklang fand.

Ligetis künstlerisches Verfahren besteht darin, aufwendig gestaltete Elemente der „Hochkultur“ mit einer grellen Alltagswelt zu verschmelzen. In seinem Orchester mischen sich unter konventionelle „klassische“ Instrumente, Autohupen und Türklingeln. Das bewusst „banalisierende“ Libretto, mit teils einfachen Reimen und Schimpfwörtern versehen sowie und mit kabarettartigen Einschüben angereichert, wird von komplexen musikalischen Strukturen begleitet, die ihrerseits wieder viele (mehr oder weniger getarnte) Zitate verbergen: von der Barockmusik bis zu Beethoven und Schubert. Dieser Hang zur Nihilisierung von Kunst- und Kulturansprüchen ist das „zeitgeistige“ Element dieses Werkes – an dem man als Zuhörer rasch erkennt, aus welcher Epoche es stammt.

Viel zeitloser wirken die Momente der „Widerständigkeit“, die prinzipielle Fähigkeit der Figuren zu Überleben – sowie das Finale, in dem die Heiterkeit über den Tod triumphiert. Beispielgebend dafür ist etwa der besoffene Totengräber Piet-vom-Fass (eine Art „lustiger Augustin“ mit „Papageno-Anstrich“); Hoffnung verkörpert das Liebespaar, das in einem Grab versteckt und mit Liebesdingen beschäftigt den Weltuntergang versäumt. Letztlich geht das Leben eben doch weiter, allen schlechten Träumen zum Trotz, von denen die Lebenden gequält werden, und die man am besten, wie Nekrotzar, unter einem Sargdeckel verschließt: „Carpe diem"!

Im Jahr 2012 kommt allerdings noch eine Sache hinzu – auch im Publikumsgespräch vor der Aufführung war der Maya-Kalender ein wichtiges Thema. Als Referenz auf diese „Tagesaktualität“ wurde Nekrotzar für seinen Einzug in den fürstlichen Palast ein „Maya-Kostüm“ verpasst – mit Federkrone und einer Art Lendenschurz. Der Darsteller des Nekrotzar Martin Achrainer machte darin eine ausgesprochen gute Figur (Kostüm: Cristof Cremer).

Es liegt auf der Hand, dass man diese aktuelle „Weltuntergangshypothese" nicht auslassen konnte – aber warum „Breughelland“ aus einem heruntergekommenen, müllhaldigen Containerstapelplatz mit Anschlussbahn, Kinderspielplatzfragmenten im Vordergrund und einem Maibaum am linken Bühnenrand bestehen musste, war schwieriger nachzuvollziehen und hat wenig dazu beigetragen, die Handlung eingehender zu erhellen.

Nekrotzar entstieg einem Auto, dass vorgab, in den Maibaum gefahren zu sein, und das einen Sarg auf das Dach geschnallt hatte: ein Unfallopfer, das zum Untoten wird. Mescalina quälte Astradamor im ersten Containerstock, einen nackten Plastikbusen vorgeschnallt, mit kurzem Kleid und rotem Unterhöschen bedresst. Was an dieser Szene wirklich beeindruckend war: wie die Spinne (Rosalie Altersberger) akrobatisch an zwei Stoffbahnen kletterte, sich mit Geschick daran hinabließ und über den Bühnenboden davon krabbelte. Mehr an szenischen Höhepunkten hatte der erste Teil des Abends nicht zu bieten, der insgesamt etwas schwerfällig wirkte und auf zu krampfhafte Weise versuchte, dem krausen Geschehen eine Portion an Humor und Anarchie abzugewinnen.

Der zweite Teil nach der Pause gefiel deutlich besser: die Szene mit Fürst Go-Go und den beiden Politikern der Weiß-Partei und der Schwarz-Partei, die sich gegenseitig aus Farbtöpfen mit jeweils der konträren Farbe bekleckerten, amüsierte. Als dann der Chor, bis dahin auf den hinteren Rängen des Saals platziert, an den Sitzplätzen vorbei auf die Bühne marschierend eine kleine Revolution anzettelte, hatte die Aufführung ihre beste Phase, die mit dem spektakulären Auftritt des „Nekrotzar-Maya“ ihren Höhepunkt erreichte: Eine Draisine nützte das Gleis der Anschlussbahn und bewegte sich langsam frontal auf das Publikum zu. Der Federschmuck des auf dem Wägelchen sitzenden „Makabren“ wippte dabei hin und her. Hier ergab sich eine stimmige Synthese zwischen Szene und Musik: die langsame, bedrohlich wirkende, sich wiederholende Bassbegleitung; die Violintöne, die den Nekrotzar umflorten und ihm im Rahmen einer Art von Spielmannsmusik eine zweifelhafte Huldigung darbrachten. Zuvor schon hatte der Auftritt von Gepopo eine weitere „Note“ ins Spiel gebracht, erfolgte er doch mit einem spacig-bizarr verzierten Elektro-Wagerl (mit Antennen und so – vielleicht als Abhöreinrichtungen gedacht?). Das Hin- und Herfahren im Verein mit den schwierigen Sopran-Koloraturen überzeugte dann aber doch nicht so recht.

Was auch noch angemerkt werden sollte: Das Liebespaar wurde nicht mit Hosenrolle und Sopran kombiniert – sondern als lesbisches Paar gespielt, weiß gekleidet, wie zwei Engel. Im Finale tauchten Kinder in weißen Trikots auf, die offenbar als Kometenteile (?) dafür sorgten, dass Nekrotzar nach und nach wieder seine Lebensfähigkeit verlor – vielleicht auch als Hoffnungssymbol gedacht. Ein wichtiges szenisches Element war die auf der Bühne angebrachte „Digitaluhr“, die einen Countdown von 2012 bis 0 zählte (dem Weltuntergang) und dann stehen blieb.

Die musikalische Umsetzung dieser Oper ist ein enormer Aufwand. Ligeti hat an der Instrumentation alles andere als gespart. Ein paar Bläser saßen mit dem Chor hinter dem Publikum. (Die Halle E war nicht ganz geöffnet, die oberen Ränge waren abgeteilt worden.) Im Zentrum stand Martin Achrainer als Nekrotzar, der mit seinem flexiblen, kernigen Bariton die Höhen und Tiefen seines Bühnendaseins kompromisslos nachvollzog – von starkem körperlichem Einsatz unterstützt. Um ihn gruppierte sich ein gesanglich und darstellerisch engagiertes Ensemble, vom schrägen Fürsten mit Sopranqualitäten (Arno Raunig), über Jennifer Yoon, der als Gepopo schwerste Sopranakrobatik abverlangt wurde, bis zur umtriebigen Mescalina der Annette Schönmüller oder dem lyrisch gestimmten Liebespaar – Julia Banyai und Anna Manske – und natürlich dem launigen Trinker Piet-vom-Faß (Brian Galliford) sowie dem Sterngucker Nicholas Isherwood. Das amadeus ensemble-wien und den Wiener Kammerchor unter Walter Kobéra unterstützten mit Expressivität, aber auch mit viel Gefühl. Es ist überhaupt ein großer Verdienst, dieses Werk in Wien wieder einmal zur Diskussion gestellt zu haben.

Die Vorstellung dürfte nahezu ausverkauft gewesen sein, der Applaus zur Pause war freundlich-kurz, der Schlussapplaus deutlich stärker und länger anhaltend. Schade, dass der Text während der Vorstellung nicht über der Bühne eingeblendet wurde. Das wäre hilfreich gewesen, denn die Wortdeutlichkeit der Protagonisten war schon in Anbetracht der teils schwierigen Gesangspartien nicht wirklich zufriedenstellend.

Fazit: Eigentlich müsste man „Le Grand Macabre“ auf dem Zentralfriedhof spielen.