WOYZECK 2.0 - TRAUMFALLE
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Neue Oper Wien in der
Kammeroper
20. April 2012
Uraufführung 17. April 2012

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Alexander Medem
Ausstattung: Gilles Gubelmann
Lichtdesign: Norbert Chmel
Choreographie: Liane Zaharia

Amadeus Ensemble Wien

Klara - Jennifer Davison
Georg - Johann Leutgeb
Regisseur Grünberg - Wilhelm Spuller
Kritiker Dr. Raaben / Bekker - Sebastian Huppmann
Dame in Lila / Veith - Celia Sotomayor
Bauderzernet / Ziegler - Tomasz Pietak
Stadtrat / Kunze - Michael J. Schwendinger



„Zwischen Thriller und Parodie
(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien gastiert derzeit mit vier Aufführungen von „Woyzeck 2.0 – Traumfalle“ in der Kammeroper. Komponist und Librettist Markus Lehmann-Horn hat mit diesem Werk den „Gerhard Schedl – Musiktheaterpreises 2009“ gewonnen.

Die Handlung der rund eineinhalb Stunden langen Oper beruht auf einer Novelle des deutschen Schriftstellers Michael Schneider (*1943) und problematisiert die Beziehung einer gefeierten Schauspielerin zu einem wegen Mordes einsitzenden Strafgefangenen. Zuerst schreiben sie sich Briefe, es kommt zu einem ersten Besuch im Gefängnis, schließlich lädt die Schauspielerin den auf Bewährung entlassenen Sträfling zu sich nach Hause ein. Doch die in der Distanz gewachsene Beziehung verträgt keine Nähe, erweist sich als Illusion. Die Frau fühlt sich überfordert und geängstigt, der Strafgefangene durch ihre Ablehnung um das ersehnte Glück betrogen und zum zweiten Mal verurteilt.

Aber was hat „Woyzeck“ mit dieser Handlung zu tun? Diese Frage ist berechtigt. Die Beziehungen, die sich zu Büchners Theaterstück ergeben, wirken auf den ersten Blick ein wenig konstruiert: Der Strafgefangene Georg hat seine Frau im Affekt erstochen, die Schauspielerin Klara spielt gerade erfolgreich die Marie. Beide fühlen sich von Büchners Text angezogen. Georg bittet die Schauspielerin in einem Brief um das Stück, weil es in der Gefängnisbibliothek nicht vorgehalten wird – und in Klara „triggern“ sich unschöne Lebenserfahrungen (Abtreibung, Selbstmordversuch) zu einer Opferrolle und einem Helfersyndrom. Büchners Text wird zur metaphorischen Ebene der Begegnung, auf der beide situationsbedingt zusammenfinden, die ihre Bindungskraft aber nach dem Freigang Georgs sofort verliert.

Doch damit nicht genug. Was man als Psychokrimi auffassen könnte oder als auf die Spitze getriebenes Beziehungsdrama bringt zusätzlich noch die Welt des Theaters auf die Bühne. Ironisierend und ein wenig plakativ wird das Berufsumfeld der Schauspielerin gezeigt: Probensituationen und Kollegen, im Zentrum der „Jungstar“, den eine despotischer Regisseur so fertig macht, dass er Selbstmord begeht. Diese Welt des Theaters bildet zugleich den Rahmen für die Oper selbst. Eine Premierenfeier steht am Beginn, die Flucht der Schauspielerin aus der verstörenden Beziehung auf die Bühne am Schluss. Vielleicht war aber alles nur geträumt und Klara zappelt weiter in der Albtraumfalle ihrer alltagsüberlasteten Psyche, vor der ihr nur die vielen unterschiedlichen Bühnenleben Rettung bieten?

„Woyzeck 2.0“ besteht aus 13 Bildern, durch die sich die zwei angesprochenen Handlungsebenen fädeln: die Entwicklungsgeschichte der Liebesbeziehung – und damit zeitlich korreliert die Erarbeitung eines neuen Stücks am Theater („Die Glasmenagerie“). Die zu Pathos neigenden Gefühlseruptionen der Beziehung Klara – Georg werden durch die teils zynisch kommentierte Probensituation „eingebremst“. In das emotionale Wechselbad, dem Klara selbst ausgeliefert ist, wird auch das Publikum getaucht, was der Oper sogar eine gewisse Kurzweiligkeit verschafft.

Das Werk kulminiert in der Haftentlassung auf Bewährung. Klara hat Georg in ihre Wohnung eingeladen und „bekocht“. In einem von gespinstigraunenden Streichertönen bestimmten Zwischenspiel gerinnt die Situation von Hoffnungsgefühlen ausgehend zu einem unbestimmten, bedrohlichen Geschehen, das langsam in eine immer deutlicher spürbar werdende Gefahr hinübergleitet. Dieses Zwischenspiel, während auf der Bühne Klara die Wohnung für das „Dinner“ vorbereitet und mit Kerzen illuminiert, markiert den umschlagenden Punkt – womit hier musikalisch sogar der literarischen Form der „Novelle“ Genüge getan wurde.

Als Publikum weiß man natürlich nicht, wie diese Begegnung ausgehen wird. Man spürt die Verstörung Klaras, man sieht, wie sich Georg nach dem Mahl zurückzieht, wie er gegen sich selbst ankämpfend seinen Koffer nimmt und entschwindet. Aber genau hier, an dieser Stelle, erfolgte die Ernüchterung. So wie die Beziehung der beiden zusammenbricht, zerfaserte plötzlich die Dramaturgie des Stücks. Klaras haareraufende Selbstanklage, sie habe sich „verrannt“ (Szene 12 „Nacht der Angst“), bringt den Komponisten fast um die Früchte einer gut „getimten“ und in Anspruch und Ausführung repertoirefähigen zeitgenössischen Kammeroper. Hier wird das bis dahin zwischen Liebespathos und (selbst)-ironischer Theaterkritik szenisch und musikalisch gut ausbalancierte Bühnengeschehen beinahe zur Farce.

Die Musik wird oft von sphärischen (Streicher-)klängen bestimmt, die sich mal träumerisch, mal prägnant ironisierend oder bedrohlich hin und her wenden, denen ein Akkordeon einige ungewohntere Klangfarben hinzugesellt, von einem Schlagwerk oft deutlich kontrastriert. Die Singstimmen sind meist so entwickelt, dass man sie – wie der Komponist im Einführungsgespräch zur Aufführung formulierte – „als Stimmen hören kann“. Damit geht eine recht gute Textverständlichkeit einher. In wenigen Passagen wird dieser Grundsatz aufgegeben, bezeichnender Weise auch in der von mir angemerkten „Nacht der Angst“. Hier kippt der Part gleichsam ins Hysterische. Es gibt natürlich Zitate von Alban Berg. Gleich am Beginn hat Lehmann-Horn mit einer „Woyzeck Explosion“ allerhand davon übereinander geschichtet. Aber es nicht so, dass sich Verbindungen zu Bergs Oper dem Zuhörer aufdrängen würden. Sie ist keine epigonale „Zweitversion“, sondern in der Instrumentation und Spielweise durchaus „modern“ und eigenständig konzipiert.

Die sehr gute szenische und gesangliche Umsetzung (Inszenierung: Alexander Medem, Ausstattung: Gilles Gubelmann) hat den insgesamt positiven Eindruck, den diese neue Oper hinterlassen hat, verstärkt. Die kleine Bühne der Kammeroper erfuhr durch mehrere, hintereinander gestellte weiße Rahmen, die jeweils um ein kleines Stück versetzt waren, eine mit einfachsten Mitteln erzeugte Tiefenwirkung. Georg befand sich, so lange er einsaß, im Bühnenhintergrund, die Theaterszenen wurden in variiertem Setting gespielt. Die Personenführung war durchdacht und sehr gut auf die Musik abgestimmt. Zwei oder dreimal wurde der Zuschauerraum einbezogen. Die Umsetzung der Theaterproben schrammte manchmal an die Parodie, und nur einmal hat die Szene übers Ziel hinausgeschossen: im schon weiter oben „beanstandeten“ 12. Bild, als plötzlich viele große Plastikföten vom Schnürboden baumelten, um auf Klaras Abtreibungstrauma hinzuweisen.

Auch die musikalische Ausführung war – soweit man das bei der Erstbegegnung beurteilen kann – vorzüglich. Sowohl seitens des Amadeus Ensembles unter Walter Kobéra als auch die Besetzung betreffend: Im strahlenden Zentrum Jennifer Davison, die für die Verkörperung einer gefeierten Schauspielerin die passende Persönlichkeit und Stimme mitbrachte, wodurch ihr eine starke Bühnenpräsenz gewiss war. Ihr im Kern warm timbrierter Sopran verlor selbst im zermürbenden seelischen Ringen seinen „Glamour“ nicht.

Johann Leutgeb kontrastierte passend mit zurückgezogen gespieltem Strafgefangenem, der erst nach der Haftentlassung „auftaut“, und der ob seiner Körpergröße und etwas behäbigen Art schon „von Natur aus“ eine virulente Bedrohung ausstrahlte. Sebastian Huppmann als sensibler Schauspieler Bekker und Celia Sotomayor als extrovertierte, stimmkräftige Veith rundeten ebenso gelungen den Abend ab wie Tomasz Pietak, Michael J. Schwendiger und Wilhelm Spuller in kleineren Partien.

Die Kammeroper war einigermaßen gut besucht, das Auditorium spendete der Aufführung viel Beifall.