FIN DE PARTIE

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Wiener Staatsoper
22. Oktober 2024

Musikalische Leitung: Simone Young

Nagg - Charles Workman
Nell - Hilary Summers
Hamm - Philippe Sly
Clov - Georg Nigl


„Fin de partie: 3. Vorstellung“

(Dominik Troger)

Die Zweitbegegnung mit György Kurtágs „Fin de partie“ ermöglichte eine interessante Beobachtung: Die dezente Abwanderung von Besuchern setzte genau dann ein, als Kurtágs sparsame musikdramatische Energie stark auszudünnen begann.

Es handelt sich ums Hamms „Roman-Monolog“, der nach einer guten Dreiviertelstunde das Auditorium auf eine harte Geduldprobe stellt. Nicht, dass das Publikum in Scharen die Staatsoper verlassen hätte, aber ab diesem Zeitpunkt tröpfelte es so vor sich hin: da zwei Personen, dort drei, da vier. Zumindest auf der Galerie  vergrößerten sich die Lücken in den anfänglich gut gefüllten Sitzereihen bis zum Ende der Vorstellung deutlich.

Nun macht es schon Samuel Beckett dem Publikum nicht leicht und zum Glück hat Kurtág den Text gekürzt. Und die erste halbe Stunde seiner „Oper“ bietet noch einen Anflug von Humor. Den Beginn könnte man vielleicht als Anspielung auf György Ligetis „Le Grand Macarbre“ interpretieren und sein „Hupkonzert“, grotesk wird Cluv gezeichnet, der mit der Leiter über die Bühne tappt, und die beiden Bajans bringen zirkusähnliche Klänge ins Spiel: Ist alles doch nur eine Clownerie?

Und wenn Nagg und Nell aus ihrer Tonne tauchen und Erinnerungen austauschen, streut Kurtág dem Publikum ein paar Impressionismuskrümelchen ins Ohr, die vielleicht ganz kurz auch die Ruderschläge einer Bootsfahrt auf dem Comer See meinen. Aber mit Hamms „Story“, die auch Nagg nur widerwillig hören will, stellt sich schnell große Langeweile ein – und davon erholt sich „Fin de partie“ bis zum Schluss nicht mehr (trotz der Ratte, die in der Küche auftaucht).

Nach der Premiere dachte ich, dass man das Werk mit mehr Zeitbezug vielleicht hätte spannender gestalten können. Es ist ja nicht einzusehen, warum zeitgenössische Opern so oft so „brav“ vom Blatt inszeniert werden, hat sich doch auch Regisseur Herbert Fritsch diesem Kurtág-Beckett-Opus mit fast akribischer „Werktreue“ angenähert. Aber Becketts absurder Plot und Kurtags Deskriptivität bilden womöglich eine Hürde für solche Interpretationsversuche. Außerdem, wie es Simone Young, die musikalische Leiterin der Produktion, im Staatsopern-Programmheft ausführt: „Das ist sein [Kurtágs] Kind man will ihm nicht das Gefühl geben, dass wir dem Kind die Haare abgeschnitten haben oder es zu dick haben werden lassen.“ Bereits verstorbene Komponisten haben heutzutage nicht mit solchem Feingefühl zu rechnen.

Anknüpfungspunkte gäbe es natürlich: Die Erfahrung des II. Weltkriegs, der Kalte Krieg, der Kommunismus, postapokalyptische Utopien der Ausweglosigkeit. Insofern ist Becketts Entwurf auch ein auf die Spitze getriebenes Stück des literarischen Existentialismus – und schon ein bisschen „angegraut“. Und Kurtág ist quasi noch Zeitgenosse, nur zwanzig Jahre älter als Beckett. Vielleicht hätte es sich zudem angeboten mit Videos zu arbeiten, um eine „historische“ Ebene einzuziehen, um ein wenig in der Tiefe der Zeit nach endspielartigen Erscheinungsfomen zu graben? Einem zeitgenössischen Musiktheaterwerk wird man auch zeitgenössische Darstellungsformen zumuten dürfen. Ob das alles dem Gesamteindruck förderlicher gewesen wäre, als die jetzt vorliegende handzahme Bebilderung?

Die Besprechungen der Premiere waren allerdings durchwegs positiv gestimmt. Aber wer lässt sich bei raren Aufführungen zeitgenössischen Musiktheaters an einem großen Haus noch zu einem großen Hinterfragen hinreißen, wenn man schon dankbar dafür sein muss, dass solche Werke überhaupt hin und wieder auf den Spielplänen auftauchen? Ein schwieriges „Kind“ bleibt dieses „Fin de partie“ trotzdem – und für ein Repertoirehaus ist es eigentlich ungeeignet.

Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ in dieser dritten Aufführung der Premierenserie für mich wieder Charles Workman, vielleicht weil bei seinem hellen Tenor die Kurtág-Beckettsche-Deklamatorik auch in der Klangfarbe besser zur Geltung kommt, als bei den tieferen Stimmen. Aber die Figur ist auch „einprägsamer“ gezeichnet. Der Klageruf mit dem Nagg realisiert, das Nell verstorben ist, bevor er selbst in seiner Tonne versinkt, solch menschliche Tragik hat Hamm nicht zu bieten. Hamm (Philippe Sly) sitzt im Rollstuhl und hat es mit seinen Monologen schwer, sich solche Aufmerksamkeit zu sichern. Und sollte er nicht nur das Absurde seiner Existenz interessant machen, sondern auch die Gefühle des Publikums ansprechen? Das wäre keine leichte Aufgabe. Georg Nigl profitierte am meisten vom Slapstick der Inszenierung, den er auch entsprechend „zelebrierte“ und damit für einige Lacher im Publikum sorgte. Die Nell der Hilary Summers war mehr eine Erinnerung an diese Tage am Comer See, schon ein wenig verblassend, aber ihre Bühnenverweildauer ist auch – gemessen an der Gesamtlänge – etwas kurz.

Simone Young und das Orchester reicherten Kurtágs Musik mit einer Sinnlichkeit an, die im Absurden noch nach einem Urgrund gemeinsamer Humanität zu forschen scheint. Man könnte Kurtágs musikalischen „Atomismus“ noch viel kantiger und kühler präsentieren, ihn ganz der Hoffnungslosigkeit überlassen, der die handendeln Figuren ausgeliefert sind. Der dankbare Schlussapplaus lag bei rund fünf bis sechs Minuten.