FIN DE PARTIE |
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Wiener
Staatsoper Musikalische
Leitung: Simone Young |
Nagg
- Charles Workman |
„Endspiel“ in der Wiener Staatsoper? Nein, keine Sorge, die Direktion darf noch ein paar Jahre lang weiter ihrer Arbeit nachgehen. Gemeint ist die Oper „Fin de partie“, die der Komponist György Kurtág nach dem gleichnamigen Theaterstück von Samuel Beckett gefertigt hat. Die Uraufführung ist 2018 in Mailand über die Bühne gegangen, jetzt folgte die Österreichische Erstaufführung. Samuel Becketts „Endspiel“ passt in Zeiten dystopischer Zukunftsvisionen. Bei seinem „postapokalyptischen Humor“ müsste einem aber das Lachen im Halse stecken bleiben, wie man so sagt. Nun gab es an diesem Premierenabend in der Wiener Staatsoper weder viel zu lachen noch zu weinen, vielmehr stach einem sofort die Unproportionalität der ganzen Aufführungssituation ins Auge: auf der Bühne ein Kammerspiel, vier Personen in einem Raum, sehr statuarisch verortet,. davor das große Orchester, das sich textbegleitend und textauslotend einer „vokalen Kammermusik“ verschrieben hat. Im Detail kann das humorvoll sein und manchmal auch „plakativ“, wenn sich zum Textbezug „Osterglocken“ im Orchestergraben eine kleine Ratsche dreht, aber für diese vielen Details, für diesen „feinen Klang der Ideen“ – wie im Programmheft zur Aufführung formuliert wird – ist das Auditorium der Staatsoper eigentlich zu groß. Und zwar deshalb, weil es verhindert, Becketts „klaustrophobische Versuchsanordung“ als „Mustiktheater“ zu verdichten. Müsste sich das Publikum bei Becketts „Endspiel“ nicht fühlen wie Nagg und Nell in ihrer Mülltonne? Aber vielleicht steckt in dieser Diskrepanz schon ein Anflug Beckettscher Absurdität, die der Komponist wissentlich in Kauf genommen hat: Schließlich hätte Kurtág auch eine Kammeroper für kleine Besetzung schreiben können – ist er doch selbst kompositorisch an kleineren Formen gewachsen. Bezeichnender Weise meint er in einem Interview (siehe Programmheft S. 14): „Die Aufgabe der Orchestrierung ist es, die Worte des Textes zu verstärken. Genau wie in meiner vokalen Kammermusik.“ Nun bietet ihm das große Orchester dafür natürlich viel mehr Möglichkeiten, aber er nimmt damit in Kauf, dass in der realen Aufführungssituation Becketts enggeschnürter Raum aufgebrochen wird, dass sich die auch von Kurtág gesehene und verkomponierte literarische Subtilität in einem zu großen Auditorium verliert, dass dieser Text, der dem Publikum mit hautnahester Prägnanz vermittelt werden müsste, in seiner dramaturgischen Wirkung verblasst. Warum? Weil die Mehrheit dieses Publikums aufgrund der räumlichen Situation gar nicht im Stande ist, von diesem Drama in seiner engfühlenden Direktheit „berührt“ zu werden. Denn bei allem „absurden Humor“ ist die Trostlosigkeit von Becketts Stück kaum zu überbieten: Nagg und Nell hausen in einer Mülltonne, weil sie bei einem Fahrradunfall ihre Beine verloren haben, ihr Sohn Hamm ist blind und sitzt im Rollstuhl, betreut werden sie vom Diener Clov, dem sein Job inzwischen schwer auf die Nerven geht. Eigentlich handelt es sich um ein Kammerspiel voll subtiler Psychologie, mit dem bewiesen wird, dass selbst in grausamen Ausnahmesituationen der Mensch sich nicht von seinen menschlichen Schwächen frei machen kann, dass Hass, Machtgelüste und Demütigung erst aufhören, wenn ihm der Deckel seiner „Lebens-Mülltonne“ auf den Kopf fällt, in der er zu hausen verurteilt ist. Immerhin gelingen Beckett ein paar eindringliche Momente, vor allem die Beziehung zwischen Nagg und Nell ist von einer „amourösen“ Melancholie geprägt, über die sich der Autor mit seinem absurden Humor hinwegzuschwindeln versucht: ein altes, todgeweihtes Paar, das es aufgrund seiner Behinderung und „Behausung“ nicht mehr schafft, sich auch körperlich Nahe zu kommen. Und wenn Nell endgültig in ihre Mülltonne hinabtaucht, bleibt Nagg der komisch-verwirrten Einsamkeit des Alters überlassen. Becketts Kunst besteht darin, dergleichen nicht zu verschweigen, auch wenn er es „überspielt“ – und darin gleicht er doch uns allen, wenn wir vor unleugbaren existentiellen Wahrheiten den Kopf in den Sand stecken. Das befreiende Lachen will dann doch nicht gelingen: Der Autor zielt darauf ab, sein Publikum zu verunsichern, ihm die Doppelbödigkeit seines Existierens bewusst zu machen, droht mit jeder Portion ablenkenden „schwarzen Humors“ doch zugleich die Erkenntnis, dass einem schlussendlich sogar ein schadenfrohes, boshaftes Lachen nichts mehr nützen wird. Was die Inszenierung anbelangt, war der seichte „Slapstick“ von Herbert Fritschs Regie Beckett und Kurtag eher abträglich. Schon das Bühnenbild, ein hellgrau getöntes Zimmer, vermittelte vor allem aufgeräumte Sterilität. Zwar löst sich als bühnentechnische „Ablenkung“ im Laufe des Abends die Decke des sich schräg in den Bühnenhintergrund leicht verjüngenden Raumes, und scheint dann luftleicht zu schweben – aber warum? Und wenn die Mülltonnen wenigstens aus Metall gewesen wären! Dann gibt es noch den Rollstuhl, von dem aus Hamm seine Tyranneien ausübt. Dieser Hamm war mit seiner über die Beine gebreiteten 1970-Jahre-Fleckerlteppichdecke viel zu harmlos gezeichnet, assistiert von einem sich läppisch gebenden Clov. Die Abgründe in den Personen und in Becketts Versuchsanordung wurden ebenso wenig aufgezeigt wie dieser auch von mir angesprochene „schwarze Humor“: Bühnenbild und Personenregie entwickelten keine Persönlichkeit, verliehen den Figuren weder Hinterlist noch grotesk-hoffnungslose Sehnsüchte. Bezogen auf das große Auditorium der Staatsoper multiplizierte sich diese „Ungefährlichkeit“ der szenischen Umsetzung und nährte (bei mir) schnell aufkommende Langweile. Kurtags Musik verlockte einen immerhin zum aufmerksamen „Ins-Orchester-Blicken“ und „Ins-Orchester-Hören“ – so man einen Platz hatte, der solche „Einsichten“ ermöglichte, um den Aufwand zu bestaunen, mit dem Kurtag seine subkutane musikalische „Rhetorik“ betreibt. Kurtags Behandlung des Textes ist rezitativisch, kleinteilig, pointiert, penibel, getragen von einer fragmentierten, akribischen „Zuspitzung“, die ein auf zeitgenössische Musik spezialisiertes Orchester vielleicht mit kühleren Konturen würde gezeichnet haben. Und eigentlich „belohnt“ der Komponist sich und das Publikum erst im Epilog, wenn die Musik – endlich vom Text befreit – für eine viel zu kurze Zeitspanne ganz bei sich „selbst“ sein darf. Solche Anmerkungen sind bei „Erstbegehungen“ zeitgenössischer „Operngipfel“ natürlich mehr Ausdruck vorläufiger Überlegungen und sollen nicht überbewertet werden. Aber wird man sich zu einer „Zweitbegehung“ aufraffen? Den Ausführenden gilt jedenfalls aller Dank, einem das Kennenlernen ermöglicht zu haben. Charles Workman war als Nagg wahrscheinlich am überzeugendsten im Aufdröseln der Kurtag-Beckettschen-„Deklamation“, etwas zurückgenommen Hillary Summers als Nell. Philippe Sly müsste in den langen Monologen Hamm noch etwas mehr an unterschwelliger Gefährlichkeit und ungustiöser Autorität abringen. Georg Nigl war ein salopper Clov, bei dem man aber nicht gespürt hat, dass auch sein Schicksal auf des Messers Schneide steht. Simone Young hat die aufwendige musikalische Einstudierung vorgenommen. Sie erzählt in einem lesenswerten Interview im Programmheft von der langen Vorbereitung auf diese Premiere und ihrem Treffen mit dem über 90 Jahre alten Komponisten in Budapest. Der Schlussbeifall nach knapp eindreiviertel, pausenlosen Stunden blieb unter zehn Minuten, schien mir mehr freundlich als enthusiastisch. Bei der Premiere von „Animal Farm“ in der letzten Saison war es ähnlich – wobei ich Kurtágs Opus insgesamt als interessanter bezeichnen würde, „Animal Farm“ als musiktheatralisch überzeugender. Schon am Beginn der Vorstellung war das Haus nicht bis auf den letzten Platz gefüllt, am Schluss gab es ein paar leere Plätze mehr – wobei sich die Abwanderung während der Vorstellung in überschaubaren Grenzen gehalten hat. Ob das bei Folgevorstellungen auch so sein wird? Regisseur
und Ausstatter Herbert Fritsch nahm den Applaus in der Mülltonne
Naggs entgegen, aus der er frohgemut seinen Kopf streckte. Aber nachdem
er für seine Inszenierung vom Publikum mit keinen Buhrufen bedacht
wurde, ließ sich diesem Scherz keine „höhere Symbolik“
abgewinnen. |