ROMEO +/- JULIA
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Schauspielhaus
21.8.2008
Uraufführung

Dirigent: Jörg Ulrich Krah

Text: Julya Rabinowich
Regie/Konzept: Andreas Leisner
Konzept-Mitarbeit: Derek Weber
Bühne, Kostüme: Daniela Juckel
Licht: Kathrin Kölsch
Produktion/Konzept: Georg Steker

ensemble progetto semiserio

Julia - Elisabeth Breuer
Romeo - Paul Schweinester
SIE - Eva Klemt
ER - Markus Heinicke


Der Mythos lebt
(Dominik Troger)

Romeo und Julia in der Beziehungsfolter: Eine Musiktheater Uraufführung im Wiener Schauspielhaus beginnt dort, wo Shakespeare längst geendet hat. Das berühmteste Liebespaar der Welt verzweifelt an seiner „Midlife Crisis“.

Von den Banalitäten einer Ehekrise sollte man sich nie ablenken lassen, hier wird oft mit Waffen gekämpft, die auf Unbeteiligte ziemlich stumpf wirken. Nachgestellt auf dem Theater ist das meist sehr „hausbacken“, weil man als Betrachter ohnehin schon ahnt, was kommen wird. Insofern hatte Shakespeare schon recht, dass er Romeo und Julia in so jungen Jahren sterben ließ. Ihm füllten die uneingelösten Beziehungswünsche seines Publikums die Theaterkasse – und diese füllen sie noch heute.

Wer sich dazu aufrafft – aus welchen Gründen auch immer – an diesem Mythos zu kratzen, muss also damit rechnen, dass er vom Besonderen zum Allgemeinen wechselt, dass Julia und Romeo sich im Alltag des 21. Jahrhunderts verlieren. Warum aber verdienen sie dann noch unser besondere Aufmerksamkeit? Ist die Frage nach dem „Was wäre, wenn?“ Grund genug, um ihr den Produktionsaufwand eines 80 minütigen Musiktheaterstücks zu opfern?

Der Plot vom arbeitsgestressten Arzt Romeo und seiner Frau Julia, ehemalige Schauspielerin und jetzt schwer liebesbedürftige Hausfrau, durchmisst das ganze Repertoire an möglichen Beziehungsplagen: vom nicht goutierten Hemdenkauf der Gemahlin bis zur vereinigungsverweigernden Schläfrigkeit des Gemahls. Immerhin lachte das Publikum über manche Pointe und folgte willig dem Querverweis ins eigene Leben. Warum soll es den beiden anders ergehen, als Millionen von Ehepaaren einst und heute?

Trotzdem hätten langatmige 80 Minuten gedroht, wäre den beiden Protagonisten nicht die Musik zu Hilfe gekommen – und eine, auf den ersten Blick gewagte Parallelisierung zeitlicher Ebenen. Erst der Kunstgriff, das Theaterstück an einer wiederaufbereiteten Oper aus dem Jahre 1776 festzumachen, einer „Romeo und Julia“-Oper von Georg Anton Benda, und die beiden Schauspieler mit einem Sängerpaar zu doppeln, blies dem kargen Drama das notwendige Leben ein. Denn bei Benda geht die Geschichte gut (!) aus, weil Julia rechtzeitig erwacht.

So spiegelte sich das zwischenmenschliche Unvermögen der Gegenwart in dem vergangenenen Glück, blieb dem beziehungsgeschädigten Ärzteehepaar nach einem missglückten Selbstmordversuch Julias doch noch die Hoffnung auf eine gelungene Restauration jener Liebesromantik, mit der ihre Gemeinsamkeit einst begonnen hat. Gibt es also eine Rettung für unsere „Gesellschaft der erkalteten zwischen-menschlichen Strukturen“*? Letztlich schien die Aufführung die Notwendigkeit des in Frage gestellten Mythos zu beweisen, quasi als symbolischem Hoffnungsträger im rauhen** Alltag des Lebens: als Option auf einen Neuanfang.

Wie schon angedeutet, es gab an diesem Abend zwei Julias und zwei Romeos zu sehen: dem SIE und ER des Ärzteehepaars standen eine Sängerin und ein Sänger gegenüber, als Zeugen der „barocken Liebesvergangenheit“ verkörperten sie die Erinnerung an verflossenes Glück. Zuerst deutlich voneinander getrennt verstärkte sich nach und nach die Interaktion zwischen diesen beiden Paaren, wurde die Erinnerung in die Gegenwart geholt. In einem hautnahen Ringkampf zwischen „Alt-Romeo“ und „Jung-Romeo“ explodierten schließlich die Gefühle, verschränkten sich die Zeitebenen am unmittelbarsten zur versinnbildlichten Darstellung psychischer Prozesse.

Die Musik gab dem Abend über weite Strecken die Form eines accompagnierten Rezitativs, auch wenn die eine oder andere Arie von Benda in mehr oder weniger ursprünglicher Form einfloss. Jörg Ulrich Krah hatte von Bendas Opernmaterial ausgehend die Bühnenmusik komponiert, modernes Instrumentarium und Gegenwartsrhythmik einbeziehend. Dieser stilistisch gebrochene musikalische „Background“, immer wieder auch ironisch die Handlung kommentierend, bildete das eigentliche Rückgrat der Produktion und wurde von einem kleinen Ensemble unter Mitwirkung des Komponisten beigesteuert.

Das Bühnenbild zeigte im Vordergrund eine karge, modern möblierte Wohnlandschaft (mit einem Hang zum Exklusiven). Durch transparente Schnürvorhänge abgetrennt, befand sich seitlich rechts das Musikensemble, ergingen sich links im Hintergrund Romeo und Julias personifizierte „gute Erinnerungen“ in pantomimischer Zuneigung (und manchmal sangen sie sogar).

Die beiden Schauspieler Eva Klemt und Markus Heinicke verbissen sich emotional nachvollziehbar in einander, in Anbetracht der kleinen räumlichen Verhältnisse gelang es schnell, einen Draht zum Publikum zu finden. Was den gesprochenen Text betrifft: für ihn gilt der Einleitungssatz gleich nach dem Vorspann. Mit Elisabeth Breuer und Paul Schweinester steuerten zwei sehr junge SängerInnen die Gesangseinlagen bei. Sie meisterten ihre Aufgaben sicher.

Der Regie gelang es gut, in der Personenführung die Balance zwischen erlebter Gegenwart und Erinnerung zu halten beziehungsweise im Laufe des Abends hier eine Verschränkung herbeizuführen. Der Gesamteindruck war schlussendlich überraschend kompakt und geschlossen, trotz der etwas „konstruiert“ wirkenden Grundidee. Als Opernfan wird man allerdings anzumerken haben: gesungen wird ein bisschen wenig. Der Schlussapplaus war von anhaltender Zustimmung geprägt.

Weitere Vorstellungen gibt es noch am 23., 26. und 27. August. Beginn ist jeweils um 20.00. Die Vorstellung dauert unter eineinhalb Stunden, es gibt keine Pause.

* Zitat: progetto semiserio, Webpage, www.progettosemiserio.at
** Alte Rechtschreibung ;-)