ICH BIN VINCENT! UND ICH HABE KEINE ANGST

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home

Theater an der Wien
14.12.2025

Urauffüh
rung

Musikalische Leitung: Michael Balke

Inszenierung: Johannes Schmid
Bühne und Kostüm: Tatjana Ivschina
Licht: Karl Wiedemann
Choreographie: Anna Holter

Wiener Symphoniker, Arnold Schönberg Chor

Vicent - Alois Mühlbacher
Die Jacke - Georgina Fürstenberg
Dilan - Johannes Bamberger
Frau Teich - Lavinia Dames
Eichhörnchen - Matthias Hoffmann
Käfer - Tatiana Kuryatnikova
Fohlen - Mara Guseynova
Wurm - Martin Summer
Stephanie - Natalie Weinberg
Vincents Mutter -
Birgit Völker
Vincents Vater - David Neumann


„Vincent hat keine Angst“

(Dominik Troger)

Wie schon in den letzten Jahren hat das MusikTheater an der Wien im Dezember eine „Familienoper“ produziert. Dieses Mal gab es sogar eine Uraufführung: „Ich bin Vincent! Und ich habe keine Angst“.

„Weihnachtsgefühle“ dürfen sich die Besucher allerdings keine erwarten. Die von Gordon Kampe komponierte Oper hat Mobbing zum Inhalt. Besagter Vincent wird in der Schule von Mitschülern schikaniert – und der Weg vom Gemobbten bis zum selbstbewussten furchtlosen Kerl dauert auf der Drehbühne des Theaters an der Wien etwas mehr als eine pausenlose Stunde. Das Libretto von Paula Fünfeck basiert auf dem gleichnamigen Roman von Enne Koens. Es handelt sich um ein Auftragswerk des MusikTheaters an der Wien.

Mobbing ist ein ernstes Thema. Vielleicht trägt diese Oper dazu bei, das Bewusstsein dafür zu wecken. Aber ob sich „Mobbingkonstellationen“ so leicht „beheben“ lassen, wie im Fall von Vincent? Vincent hat das Glück, dass mit Jacqueline (genannt „Die Jacke“) eine neue Mitschülerin in die Klasse kommt, mit der er sich anfreundet, und die sein Selbstbewusstsein stärkt. Denn am Schluss ist er sich ganz sicher: „Ich bin Vincent! Und ich habe keine Angst“.

Der Gesamteindruck war recht kompakt (Inszenierung Johannes Schmid), vor allem die Mobbingszenen sind beklemmend umgesetzt, angetrieben von einer stark rhythmischen, vorwärtstreibenden Musik. Dazwischen wird es dann und wann auch ein bisschen sentimental, etwa wenn Vincent und „Jacke“ auf der Schullandwoche gemeinsame Gefühle zeigen. Szenisch geht es flott dahin: Elternhaus, Klasse, Schullandwoche, Vincents Flucht vor dem ihn fies mobbenden Mitschüler Dilan in den Wald – aber „Die Jacke“ rettet ihn. Und der Abschlussabend der Schullandwoche bringt dann Vincents besagtes „Outing“, in dem er sich als mutiger Kerl „neu erfindet“ und mit den „Normalos“ abrechnet.

Die handelnden Figuren wie Eltern, Schüler, eine Klassenlehrerin, werden noch von vier Tierfiguren ergänzt, die der Phantasie Vincents entsprungen sind, und die mit ihm eine Art von „innerem Dialog“ führen: Eichhörnchen, Käfer, Fohlen und Wurm. Vincent, der sich sehr für die Survival-Thematik interessiert, hat einen starken Bezug zur Natur und festigt damit sein Außenseitertum im Klassenverband. Ob diese vier „personifizierten“ Tiere als beständige Bühnenbegleiter dem Publikum das Innenleben der Titelfigur wirklich näher bringen, scheint mir allerdings fraglich. Sie waren außerdem so ähnlich kostümiert wie Vincent und nicht immer leicht von diesem zu unterscheiden. Insgesamt zeigte die Produktion viel Liebe zum Detail: sogar ein stilisierter Reisebus, in dem die ganze Klasse für die Schullandwochenfahrt Platz findet, hat es auf die Drehbühne geschafft, die mit gut getimter Logistik und vielen Szenenwechseln bespielt wurde.

Der Komponist wollte die Stresssituation, in der sich Vincent befindet, betonen, und das ist ihm gelungen. Vincent wird von Szene zu Szene durch das Stück gejagt. Gordon Kampe hat sich dabei im Wesentlichen an einer eher anspruchsvollen, aber nicht übertrieben ausgereizten Musiksprache zeitgenössischer Klassik orientiert. Das Orchester besteht aus 27 Musikern, ist in Streichern und Bläsern relativ ausgewogen besetzt. Dazu gesellen sich noch ein Klavier und sogar eine Harfe, die manchmal ein bisschen kitschig werden darf. Zwei Schlagwerke setzen allerhand Akzente. Die Wiener Symphoniker unter Michael Balke waren für den Orchesterpart zuständig.

Alois Mühlbacher war als Vincent das strapazierte Mobbingopfer, das sich mit Survival-Guides beschäftigt und dessen Countertenor zum Einstieg von „Schweizer Taschenmessern“ und ähnlich wichtigen Utensilien für den Überlebenskampf in der Wildnis singen darf. Mühlbacher wirkte sehr engagiert, schien in der Rolle richtig aufzugehen, schließlich muss das Publikum an Vincent auch ablesen können, wie schlecht sich Mobbingopfer fühlen.

Freundin „Jacke“ fand in der Verkörperung von Georgina Fürstenberg eine gesanglich (Koloratursopran!) und darstellerisch selbstbewusst-emphatische Bühnenerscheinung – und Johannes Bamberger lieh seinen Tenor überzeugend fies dem Mobber Dilan. Dass er beim jugendlichen, emotional reagierenden Publikum keine Pluspunkte gesammelt hat, spricht für seine glaubwürdige Leistung. Lehrerin Frau Teich, konzipiert als lyrischer Sopran, wurde von Lavinia Dames mit Schwung und „lehrerinnenhafter“ Naivität beigesteuert. Dass Frau Teich nicht längst kapiert hat, was in ihrer Klasse abläuft, spricht nicht gerade für sie. Auch das übrige Ensemble trug mit viel Einsatzfreude und ansprechendem Gesang zum Gelingen der Aufführung bei. Die Mitwirkenden waren wieder mit Microports versehen, die Sopranstimmen kamen am zweiten Rang erneut etwas „übersteuert“ an.

Das Haus war gut, aber nicht ganz gefüllt. Am Schluss gab es für die Beteiligten viel Applaus. Der Bericht bezieht sich auf die Vorstellung um 16:00 Uhr, die eigentliche Uraufführung war an diesem Sonntag schon um 14:00 über die Bühne gegangen.Die Oper möchte ein junges und junggebliebenes Publikum ab acht Jahren ansprechen. Mir scheinen die acht Jahre etwas niedrig angesetzt, sowohl was die szenische Umsetzung der Thematik als auch die Komposition betrifft. Sollten sich im Publikum Mobbingopfer befinden, könnte die Aufführung in diesen unangenehme Gefühle und Erinnerungen wachrufen.

PS: Wer in der „Wildnis“ überleben möchte, nimmt sich hierzulande ein Packerl „Manner-Schnitten“ mit und keine „Manner-Waffeln“.