MARE NOSTRUM

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Kammeroper
11.2.2014

Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Gelsomino Rocco

Inszenierung: Christoph Zauner
Ausstattung: Nikolaus Webern
Licht: Norbert Chmel

Wiener KammerOrchester

Europäer - Rupert Enticknap
Amazonier - Ben Connor


Die Amazonier kommen

(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien spielt in der Kammeroper als österreichische Erstaufführung (!) Mauricio Kagels „Mare nostrum“: ein vergnüglich-absurder Musiktheaterabend, der in der ersten Viertelstunde aber mehr versprach, als er schlussendlich einlöste.

Zwei Sänger und sechs Instrumentalisten sitzen um ein Bassin, das die Form des Mittelmeeres hat – soweit die szenisch doch etwas karge „Versuchsanordnung”, die sich Mauricio Kagel für sein 1975 uraufgeführtes „Mare nostrum” ausgedacht hat. (In der Kammeroper wurde es szenisch üppiger gegeben, doch davon später.) Auch „Mare nostrum“ steht in der Tradition des „instrumentalen Theaters”, das Kagel seit den 1960er-Jahren weiterentwickelt hat und bei dem, vereinfacht formuliert, das Musizieren in allen seinen Bestandteilen selbst zum „Theater” wird – einschließlich Instrumentalisten und Publikum.

Derart lassen sich herkömmliche Verhaltensmuster und Erwartungshaltungen in einer Aufführungssituation leicht auf den Kopf stellen - eine ideale Vorgehensweise, um den gängigen Musikbetrieb zu hinterfragen. Das Ergebnis kam freilich meist über eine provokant-amüsante „Selbstbespiegelung“ nicht hinaus. Aber „Mare nostrum“ hat Kagel nicht mehr mit derselben radikalen, dekonstruktiven Konsequenz konzipiert wie 1971 die skandalumwitterte Uraufführung von „Staatstheater“ an der Hamburger Oper (eine Persiflage auf den Opernbetrieb), sondern er hat sich hier einem „konkreteren Stoff“ zugewandt.

„Mare nostrum“ überträgt Verfahrensweisen dieser „Selbstbespiegelung” auf die europäische Kolonialgeschichte. Plötzlich tauchen Amazonier vor Portugals Küste auf – das stolze „Mare nostrum” wird zum verlängerten Arm des Amazonas, die Anrainerstaaten fallen dem südamerikanischen Imperialismus anheim. Dabei benehmen sich die südamerikanischen Kolonialisten kaum anders, als einstens die Europäer in Südamerika: Missverständnisse und Überheblichkeit, Grausamkeiten und Sklaverei, Glaubensdünkel, Conquista und Faszination des Fremden halten den Europäern den Spiegel vor – und dabei bleibt es.

Denn die entscheidenden (moralischen) Fragen werden von Kagel kaum gestellt und verschwinden hinter einem mit absurdem Wort- und Musikwitz aufgepeppten „Slapstick-Amüsement”. Der spielerisch-genialische Umgang mit dem Thema verwässert die Radikalität daraus ableitbarer „Botschaften“. Kagel bleibt im Wesentlichen auf der narrativen Ebene, bleibt ein Chronist der südamerikanischen Eroberung des Mittelmeerraums, der gewonnene Eindrücke auf pointierte Art zu einem Bilderbogen zusammenfügt wie eine Serie von retuschierten, verfremdeten Stadtansichten.

Die Handlung wird von einem Amazonier erzählt, der von einem europäischen Sklaven begleitet wird. Der Sklave spielt praktischer Weise jeweils das Volk, das gerade den Amazoniern zum Opfer fällt: vom Spanier bis zum Araber. Zu schlechter Letzt wird er von seinem Herrn ermordet. Der Amazonier bedient sich einer Kunstsprache, amüsiert mit einem verballhornten „Ausländerdeutsch”, mit köstlichem Wortwitz und semantischen Mehrdeutigkeiten, immer am Rande der Verständlichkeit dahin balancierend.

Ähnlich ergeht es der Musik, in der Kagel eifrig und mit klangmalerischer Akribi bis zur Unkenntlichkeit „amazonische“ und europäische Folklore und Häppchen aus der Musikgeschichte durcheinander würfelt – bis zu einer „Hommage“ an Mozarts „Entführung aus dem Serail“, musikalisch untermalt vom bekannten „Rondo alla turca“, die beide die Ankunft der Amazonier an der türkischen Küste prägen. (Aber vielleicht wäre das die Chance des Amazoniers, als Selim Bassa zumindest einmal in seinem Leben eine Leuchtboje aufgeklärten Menschentums zu sein – eine Hoffnung von nur kurzem Bestand, der Sklavenmord folgt bald darauf.)

An der Kammeroper wurde „Mare nostrum“ g’schmackig aufbereitet: eine Bühne mit rosa Palmen und „Amazonasdekor“, Projektionen von Meereslandschaften oder von starkem Regen bei der Gewitterszene, die Instrumentalisten um den Spielort verteilt (auch am Bühnenrand). Der Amazonier wurde in ein passendes indigenes „Kostüm“ gesteckt, der Europäer verwandelte sich zum Beispiel in einen barocken, langperückigen Franzosen oder in eine tanzende Haremsfrau (Salome lässt grüßen). Die avantgardistische Seite von „Mare nostrum“ wurde durch dieses „pseudorealistische“ Bühnensetting etwas ausgehöhlt, die abstrakt-experimentelle Seite des Stücks „verkonkretisiert“. Aber das befördert hoffentlich die Publikumsakzeptanz: Denn nach den leeren Plätzen am Premierenabend zu schließen, ist hier noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten.

Gelsomino Rocco sorgte als musikalischer Leiter dafür, dass sich Ben Connor als strammer Amazonier und Rupert Enticknap als sensibler Europäer auf der Bühne gut begleitet und aufgehoben fühlten. Die beiden Solisten vollbrachten eine außerordentliche Leistung: mussten nicht nur eine schwierige Rolle einstudieren, sondern auch Hand an einige Musikinstrumente legen – in Frankreich stand zum Beispiel ein kurzes Akkordeonduo auf dem Programm. Das Publikum dankte nach rund 80 Minuten Aufführungsdauer den Ausführenden mit starkem Applaus.

Fazit: Eine interessante Reise in die jüngere Historie zeitgenössischen Musiktheaters. Es folgen noch fünf Aufführungen bis 24. Februar.