DER PRINZ VON HOMBURG
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Theater an der Wien
12.11.2009

Premiere

Musikalische Leitung: Marc Albrecht


Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Herbert Murauer
Choreografische Mitarbeit: Thomas Wilhelm
Licht: Bernd Purkrabek

Wiener Symphoniker

Friedrich Wilhelm, Kurfürst: John Uhlenhopp
Die Kurfürstin: Helene Schneiderman
Prinzessin Natalie von Oranien: Britta Stallmeister
Prinz Friedrich von Homburg: Christian Gerhaher
Obrist Kottwitz: Frode Olsen
Graf Hohenzollern: Johannes Chum
Feldmarschall Dörfling: Andreas Scheibner
Erste Hofdame: Simona Eisinger
Zweite Hofdame: Nina Tarandek
Dritte Hofdame: Jaroslava Pepper
Erster Offizier: Stefan Reichmann
Zweiter Offizier: Andreas Jankowitsch
Dritter Offizier: Rupert Bergmann
Erster Heiduck: Erik Arman
Zweiter Heiduck / Wachtmeister: Christian Kostal


Ein Albtraum aus Deutschland?
(Dominik Troger)

Hans Werner Henzes „Der Prinz von Homburg“ bereichert derzeit den Wiener Opernspielplan. Im Theater an der Wien steht die revidierte Fassung von 1991 als österreichische Erstaufführung auf dem Programm.

1960 wurde die Oper „Der Prinz von Homburg“ uraufgeführt – die erste Henze Oper, für die Ingeborg Bachmann das Libretto eingerichtet hat. Bachmann folgte der Vorlage weitestgehend, dem Bühnenstück „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist, freilich in verknappender und komprimierender Form, aber es gibt keine radikale Umdeutung des Geschehens.

Dieses Geschehen ist von starken Gegensätzen geprägt: Hier der auf sein Glück vertrauende Prinz, der dem kurfürstlichen Befehl zuwider handelt und zum Tode verurteilt wird, obwohl er die Schlacht gewinnt – dort der Kurfürst als Repräsentant des Kriegsgesetzes, das unumstößlich ist und keine Gnade zu kennen scheint. Erschwerend kommt hinzu, dass der Prinz somnambule Zustände kennt, ein Träumer und Verliebter ist – und dass er Fortunas wankelmütigem Schicksal mehr vertraut als der kurfürstlichen Kriegsstrategie.

Kleist scheute sich nicht, den Prinzen in seiner demütigenden Todesangst zu zeigen (was man ihm nicht nur im 19. Jahrhundert zum Teil sehr übel genommen hat), und ihn in voller Konsequenz mit dem Buchstaben des Gesetzes zu konfrontieren: Der Kurfürst ist bereit, das Urteil aufzuheben, wenn der Prinz selbst es als ungerecht bezeichnet. Dazu kann sich dieser aber nicht durchringen. Sogar vor versammelten Offizieren, die seinen Freigang erbitten wollen, besteht er auf dem Urteil, das hart, aber eben doch „gerecht“ ist.

Wer Probleme hat, die Motive des Prinzen zu verstehen, wird mit dem Schluss des Stückes erst recht herausgefordert: während der Prinz glaubt, dem Standgericht übergeben zu werden, mit verbundenen Augen, bereitet der umstehende Hofstaat seine Ehrung vor. Denn der Kurfürst wurde überzeugt, lässt Gnade vor Recht ergehen. Den barbarischen Erziehungsprozess scheint der Herrscher aber durchaus zu genießen.

Und um die Sache vollends auf die Spitze zu treiben, schließt sich der Schluss dem Anfang an, findet sich der Prinz, von der Augenbinde gelöst, an der Stelle in einem Garten wieder, wo er am Beginn als nachtwandlerischer Träumer zum Gespött des Kurfürsten geworden war. Vom Tode erlöst ruft er jetzt nach kurzer Ohnmacht auf zum Kampf gegen die Feinde Brandenburgs – der Prinz scheint gereift, das Missverhältnis von Individuum und Staat hat sich gelöst, ein Traum hat sich erfüllt – oder war alles nur „geträumt“?

Lässt man diese Handlung an seinem inneren Auge vorüberziehen, so wird man feststellen, dass es ganz wichtig ist, die Stellung des Prinzen im Gesamtgefüge zu verorten: Gönnt man ihm einen Läuterungsprozess, der in gewisser Weise auch für den Kurfürsten gilt? Glaubt man daran, dass hier ein aufklärerisches Wirken die Erziehung und Reifung des Staatswesens und seiner Mitglieder im Auge hat? Oder meint man, der Prinz würde an diesem rigiden Militarismus zerbrechen? Betont man seine Opferrolle, die vielleicht in seinem traumatisch indizierten Somnambulismus sich ein Ventil zu öffnen sucht? Gibt man seinem Wesen sogar eine psychopathologische Note, die ihn trotz Aufhebung des Richterspruchs gleichsam zum Tode verurteilt?

Bei der Beantwortung dieser Frage kann eventuell die Geschichte weiterhelfen. Kleist schrieb den „Prinzen“, als Napoleon Europa beunruhigte, das Heiliges Römisches Reich zu Grabe getragen wurde, die Zeit der Befreiungskriege begann und Preußen selbst von tiefgreifenden Staatsreformen erfasst wurde. Außerdem darf man nicht vergessen, dass trotz romantischer Strömungen die Aufklärung noch lange weiterwirkte: Wer vermutet, Kleist habe in seinem Drama die positive Reifung einer Persönlichkeit gestaltet, von jugendlichem Überschwang zum staatsbewussten, verantwortungsvollen Manne, hat gute Argumente für sich. Die Schwäche des Prinzen, seine Träumerei, wird dann zur Stärke, zur deutlich akzentuierten gesellschaftspolitischen Vision.

Es schien mir wichtig, hier ein wenig auszuholen. Man wird sonst schwer verstehen, warum ich diese Produktion im Theater an der Wien szenisch für eine wenig gelungene halte - und man wird sonst auch nicht verstehen, warum ich die Inhaltsangabe von Regisseur Christof Loy im Programmheft der Aufführung für ungeeignet ansehe, sachlich über den Inhalt des Stücks zu informieren. (Es gibt nichts Missverständlicheres, als Inhaltsangaben, für die Regisseure verantwortlich zeichnen.) Diese Aufführung vermittelte nämlich kaum etwas von der Komplexität des Stückes, sie reduzierte das Geschehen auf eine Wahnsinnigengeschichte, die dem Stereotyp des „Opfers der sozialen Verhältnisse“ folgt, nahm im Laufe der Handlung das Militärische ganz heraus, gönnte dem Prinzen am Schluss nicht einmal die symbolträchtige Augenbinde. Loy mag glauben, dass seine Personenregie dermaßen feinfühlend ist, dass die Perfidie der Schlussszene auch so erkennbar wird – aber wenn alle Beteiligten zudem in Alltagsgewändern herumlaufen, wovor fürchtet sich dieser Prinz dann noch? Vor seiner Hinrichtung?

Loy lässt es damit nicht genug sein – ganz am Schluss bleibt der Prinz allein zurück, wie tot in seinem „Bühnensarg“. (Das äußerst karge Einheitsbühnenbild – ein manchmal leuchtender Rahmen über die Rampe schräg herausgestellt – vermittelte in seinem grauschwarz, mit parkettartig verlegten Holzbrettern, den Eindruck eines Leichenbehältnisses. Es gab keine Requisiten, nur eine Waschmuschel seitlich links, sowie gegenüber einen Türe.) Er verhindert derart die Reifung des Charakters, er liefert keine Begründung, warum der Prinz nicht um jeden Preis seinen Kopf zu retten bereit ist.

Natürlich ist das der wunde Punkt der ganzen Sache: der Prinz erkennt das Kriegsgesetz als richtig an – das geht schwer zusammen mit einer Haltung, die den Prinzen als Opfer dieses Systems darstellen möchte, ist er selbst doch bereit dafür zu sterben. So verliert das Geschehen gegen Schluss dieser Aufführung dramatisch an Spannung, und lässt einen sogar den ansprechenden Beginn vergessen, in dem mit historisierenden Kostümen der Handlung zumindest noch ein erkennbarer Rahmen geboten worden war. Doch diese Historizität verliert sich nach und nach – plötzlich sind alle Kostüme gegen moderne Gegenwartskleidung ausgetauscht, die Rangunterschiede werden ebenso eingeebnet wie eine ständische Zuordnung: die Szene atmet die Beliebigkeit einer modernen Fussgängerpassage. Da zeigt sich dann der typische Loy-Stil, einer gebrauchsfertigen Instant-Psychologie, mit der er so gut wie jede Oper nach dem selben Leisten schneidert.

Einem derart komplexen Stück wie dem „Prinzen vom Homburg“, das von der Symbiose extremer Gegensätze lebt, kann man auf diese Weise schwer gerecht werden – ganz unabhängig davon, wie man jetzt den Prinzen selbst verortet – ob als Lernenden oder als sich Zurückziehenden, der an der gesellschaftlichen Realität, die sich ihm bietet, schier zerbricht.

Erschwerend kommt natürlich hinzu, dass wir es im Falle der Oper mit einer veränderten Sichtweise rechnen müssen, mit einer Komprimierung, die zu einer gewissen Verschiebung der Aspekte führen kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, das laut Henzes eigenen Worten (siehe Programmheft), die Löslösung von der Örtlichkeit Preußens durchaus mitgedacht ist – genauso wie ein Abnabeln von einem „deutschen Romantizismus“, der für ihn wohl eine komprimitierende Nähe zu nationalen Themen zeigte.

Das oben angedeutete Spannungsfeld war nach dem Zweiten Weltkrieg auf jeden Fall noch gegenwärtig, eine militärisch durchorganisierte Gesellschaft war vorstellbar und hautnah empfunden worden: Henze ist Jahrgang 1926, Ingeborg Bachmann war nur wenige Tage älter als der Komponist. Die Überspanntheit des Prinzen hatte zugleich den Reiz des Subversiven in einem konservativen Wiederaufbauklima – und außerdem mag sich Henze, der damals schon nach Italien „ausgezogen“ war, an die reizvollen Bellini'schen „Wahnsinnigen“ erinnert haben – und er hat eine männliche Amina geschaffen, eine homoerotische Vision von Schwäche und Leidenschaft, die er zwischen weichen Streicherklang und rüdmilitärischen Blech- und Trommelwirbeln gebettet, zu einer von ihm spielerisch umworbenen Bühnenfigur gestalten konnte.

Henze hat die starken Kleist’schen Extreme in seiner Musik verankert, und meint damit eine „seidig stählernen Sprache“, „Grazie und Härte“, „Kühle und Feuer“. Die Streicher, die stark der Seele des Prinzen angehören, stehen im Wettstreit mit Pauken, Trommeln, allerhand Bläsern, die mit militärischen Zynismen ihre Vormachtstellung behaupten wollen. Kurze Zwischenspiele verbinden die Szenen, kurze, sehr intensiv genossene symphonische Momente, die bis zu starken dynamischen Entladungen reichen. Doch – so meine Meinung – Henze hatte bei der Revision einen kammermusikalischen Tonfall im Ohr, eine prägnante, durchhörbare Klarheit der Instrumente und ihrer musikalischen Erregungen – keine Kraftakte, die es den SängerInnen noch schwerer machen, mit ihren schweren Partien. Wären die nicht idealer Weise so zu singen, als trügen sie die Leichtigkeit eines mediterranen Frühlingsabends in sich? Henze hat die Nähe des „Prinzen“ zur italienischen Oper betont – an diesem Abend wurde sie wohl nicht gefunden.

Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Marc Albrecht machten ihre Sache sicher gut – aber es fehlte gerade diese obgenannt geforderte Klarheit, dieses Leuchten in den Streichern, die Betonung der Gegensätze, ihr akribisches Herausarbeiten. Die Orchesterausbrüche waren zwar spannend, aber schon sehr „robust“ und gewalttätig. Die Sänger forcierten teilweise stark, was ihren Stimmen abträglich war (und bei Sopranen hört man das natürlich als erstes). Die Richard Wagner’sche Lautstärke irritierte und wirkte fast schon wie ein Missverständnis, das man einem Komponisten angedeihen ließ, der aus Deutschland „geflohen“ war. „Der Prinz von Homburg“ hat viel von einem geheimnisvollen Nachtstück, besitzt Momente der Ruhe und Besinnung – derartiger Expressionismus wirkt hier störend, übertreibend, zu plakativ.

Die Stimmen, es wurde schon angedeutet, klangen zum Teil etwas überspannt. Die Anforderungen zeitgenössischer Oper sind meist sehr komplex, trotzdem sollte man nicht das Gefühl haben, dass die Stimmen darunter leiden. Britta Stallmeister als Natalie beispielsweise, vermittelte ein wenig diesen Eindruck, mit etwas scharfem Sopran. John Uhlenhopp (Kurfürst) schien stimmlich überhaupt ein wenig deplaziert.

Christian Gerhaer sang den Prinzen mit schönem Bariton, in den Ausbrüchen möglicherweise auch zu herausfordernd, sich wohl aus regiebedingten Gründen einer mehr verinnerlichenden Sichtweise verweigernd. Darstellerisch war er stark gefordert und vor eine schwierige Aufgabe gestellt, die er meisterte. Johannes Chum traf es stilistisch wohl am besten, mit seinem leichten, prägnanten Tenor. Die Textdeutlichkeit ließ insgesamt zu wünschen übrig.

Der Schlussapplaus nach rund eindreiviertel Stunden ohne Pause war stark, aber kurz. Missfallensäußerungen gab es keine.