BLUTHAUS

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Theater an der Wien
13. Juni 2014


Musik: Georg Friedrich Haas
Libretto: Händl Klaus

Musikalische Leitung: Peter Rundel
Inszenierung und Bühne: Peter Mussbach
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer
Licht: Alexander Koppelmann
Video fettFilm (Nils Momme Hinrichs, Torge MØller)

Knaben der Opernschule für Kinder der Wiener Staatsoper

Ensemble: Klangforum Wien

Premiere 21. Mai 2014

Nadja Albrecht, Tochter - Sarah Wegener
Natascha Albrecht, Mutter - Ruth Weber
Werner Albrecht, Vater - Otto Katzameier
Axel Freund, Makler - Daniel Gloger

Schauspieler:
Frau Reinisch - Ulla Pilz
Irene - Veronika Rivo
Frau Beikirch - Monika Huber
Herr Fuchs - Michael Duregger
Frau Hallosch - Silvia Fenz
Herr Hubacher - Michael Pabst
Herr Maleta - Hans Steunzer
Meinhard - Jan-Sebastian Höhener*
Jeremias - Saïd-Lucas Grohe*
Lukas - Bernhard Sengstschmid*
Frau Rahmani - Yalda Bakhtiarnia
Herr Dr. Rahmani - Massud Rahnama
Frau Stachl - Michaela Mock
Johann Stachl - Thomas Mraz
Herr Dr. Strickner - Hans-Jürgen Bertram
Herr Schwarzer - Franz Josef Köpp
Frau Schwarzer - Carmen Wiederstein


„Zu wenig Theaterblut“
(Dominik Troger)

Drei Wochen nach der Premiere lädt das Theater an der Wien zu den beiden Folgevorstellungen von Georg Friedrich Haas Oper „Bluthaus“. 2011 in Schwetzingen uraufgeführt wird bei den Wiener Festwochen eine Neufassung gespielt.

Das „Bluthaus“ liegt laut Inhaltsangabe „tief im südlichen Niederösterreich“. Nadja möchte das Haus verkaufen und sich damit von bösen Erinnerungen befreien. Ihr Vater hat sie als Kind missbraucht, die Mutter hat den Vater umgebracht und dann Selbstmord begangen. Während ein Makler mögliche Käufer durch das Haus führt, spukt die Vergangenheit durch Nadjas Kopf, entwickelt das Haus eine Art von bedrohlichem Eigenleben. Nachbarn machen den potenziellen Käufern das Haus madig, die Mordgeschichte wird offenbar. Die „Besichtigungstouristen“ sind erbost und ergreifen die Flucht. Nadja gibt sich dem Makler hin, schließlich bleibt sie allein im Haus zurück.

Parallelen der Handlung zu Geschehnissen in der jüngeren österreichischen Vergangenheit sind unübersehbar, eine „boulevardgemäße“ Aufbereitung des Stoffes war allerdings nicht geplant, offenbar sollte allen voyeuristischen Verlockungen schon durch die Komplexität der formalen Bewältigung ein sperriger Riegel vorgeschoben werden. Das Libretto wurde gleichsam zerfasert, die handelnden Personen singen oder sprechen oft nicht mehr als drei, vier, fünf Worte, die Dialoge folgen schnell aufeinander, die Zuhörer finden kaum Zeit, dem emotionalen Gehalt des Gesagten nachzuspüren. Vielleicht sollte derart die traumatisierte, fragmentierte Weltwahrnehmung Nadjas dargestellt werden – und solange Nadja und ihre Erinnerungen auf der Bühne präsent sind, funktionierte diese „intellektuelle“ Brechung auch, aber die lange Szene mit den potenziellen Käufern, die maklergeführt das Haus durchstreifen, steigerte sich zu einer enervierenden Geschwätzigkeit, die auf Dauer nur mehr schwer auszuhalten war.

Leider hat die Inszenierung von Peter Mussbach diesen Schwachpunkt szenisch noch forciert, treibt diese Besucher wie eine kläffende Hyänenmeute durch das Haus (die drei Buben des Herrn Maleta sind sogar mit hundeartigen Köpfen maskiert) – vielleicht um Nadjas Traumastory mit einer sehr bemüht wirkenden gesellschaftskritischen Kampfansage zu hinterlegen? Das Libretto machte es ihm allerdings auch zu leicht, in solche „Fallen“ zu tappen, weil es sich zu wenig um eine tiefere psychologische Annäherung an Nadjas Psyche bemüht. Und wenn Mussbach Nadjas Vater in einer Videoeinspielung als „Fernsehkoch“ installiert, in dem dieser in metaphorischer Weitschweifigkeit über das Einkochen von Quitten berichtet (und dabei seine tochtergierigen Gelüste meint), dann verwandelt sich das ernsthafte Anliegen des Werkes in eine fast schon peinlich anmutende Parodie.

Wie der Titel verrät, wird das Haus selbst in das Geschehen einbezogen: das „Bluthaus“ als „Erinnerungsort“ von makabrer Hinterhältigkeit, der nur Nadja akzeptiert und sie gleichzeitig gefangen hält. Aber wie lässt sich der Innenraum von Anjas Seele mit der äußerlichen Örtlichkeit von Inzest und Mord in Einklang bringen, ohne dass Klischee eines groschenromanhaften Gruselns hervorzurufen? Dieses Verschmelzen von „Außen“ und „Innen“ ist szenisch schwer darzustellen, der platte Bühnenrealismus, zu dem sich Peter Mussbach verleiten ließ, wurde ihm jedenfalls nicht gerecht. Dabei fiel auf, dass auch das Libretto keinen Raum für „Seelenlandschaften“ lässt (wie blutgefärbt sie auch sein mögen), dass es in dieser einaktigen Oper (Spieldauer rund 1 Stunde 45 Minuten) kaum Ruhepunkt gibt, dass die Figuren manisch vor sich hin plappern, so als würden sie einem Sprechzwang unterliegen. Und deshalb wurde – während es Georg Friedrich Haas musikalisch gelang, über längere Abschnitte Spannung zu erzeugen – diese Spannung auf der Bühne viel zu oft „zu Tode geredet“. (Geredet deshalb, weil nur der enge Familienkreis um Nadja und der Makler singen – das übrige Personal des Stückes schauspielerte durch den Abend.)

Die Musik wurde durch den reichlichen Gebrauch von Glissandi im Orchester und bei den Singstimmen charakterisiert – ein passendes Ausdrucksmittel für die emotionalen „Fallhöhe“, über die die Protagonisten und vor allem Nadja balancieren – unterfüttert mit einem mythisch klingenden Blech als bedrohlichem „Untergrund“ (in Anlehnung an Giacinto Scelsi), dazu gesellte sich ein „gemäßigter“ Minimalismus nach Steve Reich und Philip Glas. Letzterer begleitete vor allem den „Aufruhr“ unter der Hausbesichtigern, während die ersten beiden Stilelemente mehr Nadja und ihren Erinnerungen zugeordnet waren – was teils sehr gute Wirkung machte.

Die dichtesten Momente der Aufführung waren der Beginn, als die Stimmen von Vater und Mutter ohne Orchesterbegleitung durch das Haus „geisterten“ und ein vielversprechendes Entree zu einer „Psychostory“ bildeten, ein Versprechen, das dann allerdings nicht eingelöst wurde. Erst viel später, bei den „Vater“-Schreien Nadjas, als Höhepunkt des Liebesaktes mit dem Makler, als Nadja wieder von ihren Erinnerungen „eingeholt“ wird, wurde diese Dichte noch einmal erreicht – und übertroffen: ein existenzielles Aufschreien und Aufbäumen, in dem die Sängerin der Nadja, die ausgezeichnete Sarah Wegener, einen magischen Punkt selbstentäußernder Bühnenwirkung kreierte, der sich würdig in die großen tragischen Bühnenmomente der Operntradition eingereiht hätte – wäre er in der nächste Szene nicht durch das durch Auftauchen eines weiteren geschwätzigen Käuferpaares sofort trivialisiert worden! Und spätestens an diesem Punkt haben sich Haas und Händl Klaus um die Chance gebracht, der Opernbühne eine neue, aktuelle, starke Frauenfigur zu schenken.

Die Bühne (ebenfalls Peter Mussbach) zeigte ein mondänes Haus mit weißen, kühlen Wänden, aufgeräumt und steril wirkend, links eine Wendeltreppe in den ersten Stock. Ein blendenartiger Bühnenverschluss, der zu Beginn nur einen Teil des Hauses freigab, sorgte für eine interessante Optik, wurde aber nur wenige Male eingesetzt. Auf dem großen Flachbildschirm, über den das schon erwähnte Quitteneinkochvideo flimmerte, wurden auch Ausschnitte aus einem Bundesliga Spiel von R.B. Salzburg und möglicherweise Rapid Wien in Schwarzweiß gezeigt. Worauf damit angespielt werden sollte, erschloss sich mir nicht. Am Beginn wurde versucht, durch das Verengen der Bühne eine düstere Klaustrophobie zu erzeugen, was den Nachteil hatte, das die Sicht von seitlich gelegeneren Plätzen stark eingeschränkt war.

Hoch waren die Anforderungen an die vier Sänger – die alle eine starke gesangliche und darstellerische Leistung boten – am eindrucksvollsten Sarah Wegener und Otto Katzameier als Vater. Gefordert wurden auch Daniel Gloger als Makler, mit etwas gerautem Countertenor, und die Mutter, Ruth Weber. Die Schauspieler wurden von Mussbach teils in einen Komödienstil (!) gedrängt, der als unpassend empfunden werden musste. Peter Rundel stand am Pult des wieder einmal groß aufspielenden Klangforum Wien. Das Klangbild kam mir etwas trocken vor, Nadja hätte sich insgesamt mehr Emotionalität verdient.

Das Publikum im Theater an der Wien spendete länger anhaltenden Applaus und Bravorufe. Am 15. Juni findet die letzte Vorstellung statt. Für Schnellentschlossene sollt es kein Problem sein, erschwingliche Karten zu bekommen, der 3. Rang war nur sehr schlecht besucht.