GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD
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Theater an der Wien
14. März 2015

Premiere

Musikalische Leitung: HK Gruber
Inszenierung: Michael Sturminger
Ausstattung: Renate Martin & Andreas Donhauser
Licht: Olaf Winter
Choreographie: Christine Hefel


Wiener Symphoniker
Jazzorchester Vorarlberg
Vokalensemble NOVA

Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen

Marianne - Ilse Eerens
Alfred - Daniel Schmutzhard
Oskar - Jörg Schneider
Valerie - Angelika Kirchschlager
Zauberkönig - Albert Pesendorfer
Mutter - Anke Vondung
Großmutter - Anja Silja
Erich - Michael Laurenz
Rittmeister | Beichtvater - Markus Butter
Mister David - Pittman-Jennings
Hierlinger Ferdinand | Grammophon Sänger | Conférencier -
Alexander Kaimbacher
Havlitschek - Robert Maszl
Erste Tante - Ursula Langmayr (Vokalensemble Nova)
Zweite Tante - Johanna von der Deken (Vokalensemble Nova)
Tänzerinnen: Natalie Fend, Varmen Maria Pratzner, Silvia Salzmann, Fabiola Varga


„Zu wenig Horvath, zu viel Gruber?“
(Dominik Troger)

HK Grubers Vertonung der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth wurde 2014 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt – jetzt wird Oper im Theater an der Wien gespielt.

Horvaths Theaterstück ist längst zum „Klassiker“ avanciert – und wer aus einem „Klassiker“ eine Oper macht, kann vom Renommee des Stücks profitieren und wird doch beständig mit diesem „verglichen“ werden. Umso „neuer“ die Oper, um so stärker die Verlockung, sie aus der Perspektive ihrer literarischen Vorlage zu betrachten. Die neue Oper KH Grubers, die sich Ödön von Horváths Erfolgsstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ in einem von Michael Sturminger arrangierten Libretto widmet, bildet in diesem Punkt keine Ausnahme.

Betrachtet man diese Oper vom Stück aus, dann ist das Urteil schnell gesprochen: Horvaths Volksstücke haben eigentlich wenig „Opernhaftes“ an sich. Der Autor beäugt seine Zeitgenossen mit einem distanzieren Blick, er legt ihre Schwächen bloß, er zeigt, dass sie für ihre Gefühle nur eine „geborgte Sprache“ haben. Er geht mit einer Akribie vor, die wenig Mitleid verheißt, er zeigt die Verhältnisse, ohne sie in eine „metaphysische“ oder in eine politisch-agitatorische Richtung zu drehen. Daraus entsteht eine auch mit schwarzem Humor garnierte gesellschaftspezifische, vor allem kleinbürgerliche Typologie, die sich einer Kunstsprache bedient, einem den Dialekt bewusst verneinenden „Kalenderdeutsch“, das ganz nach subtiler Demaskierung strebt: Das sind „Kammerspiele“, die eine sprachliche Nuanciertheit verlangen, die auf der Opernbühne kaum eingelöst werden kann.

Musik ist bei diesem Stück zudem ein Mittel der Ironie – ist doch schon der Titel dem bekannten „Strauß-Walzer“ entlehnt. Gruber hat sich auf diese Ironie eingelassen, etwa in der Szene mit der aus dem Grammophon gespielten „Händchen-Arie“ aus Puccinis „Bohème“ (die Gruber einen Sänger durch einen Trichter singen lässt) oder wenn er zum Beispiel Donauwalzer- oder Rosenkavalierzitate einstreut. Aber die Musik spielt in Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald" auch die Rolle einer nonverbal geäußerten, schichtspezifischen und etwas verkitschten Sentimentalität, die in ihrer Wirkung in einem Sprechstück natürlich schärfer hervortritt als in einer Oper, deren Grundlage nun mal die Musik selbst ist.

Betrachtet man das Stück von der Oper aus, dann liegt auf der Hand, dass sich Horvaths Stück verändert. Der Gesang verleiht den Figuren mehr „Gewicht“ und ebnet die sprachmelodischen Nuancen ein. Ein großes Orchesters planiert die Horvath’sche „Kammermusik der Worte“, zielt letztlich auf eine Betroffenheit, die aus dem Volksstück ein „bürgerliches Drama“ macht. Das eruptive Schlussstatement und die im Finale mit ein paar extremeren Höhen gespickte Gesangslinie für einen leicht ins Charakterfach tendierenden, kräftigen lyrischen Tenor (Oskar) und lyrisch leidenden Sopran (Marianne) propagieren einen Seelenschmerz und eine emotionale Beteiligung der Figuren, die es bei Horvath in dieser Form nicht gibt. Die siegessichere Milde, mit der Oskar seine Marianne in „Empfang“ nimmt, dieser abgefeimte Zynismus, mit dem Horvath die Endgültigkeit von Mariannes Schicksal besiegelt, wird bei Gruber zu einem „Liebesduett“ umgemünzt, das der „großen Oper“ entlehnt ist, aber nicht der engen Welt von kleingewerbetreibenden Fleischhauern und an rhythmischer Gymnastik interessierten Spielzeuggeschäftsinhabertöchtern.

Zugegeben, die Oper muss fast naturgemäß auf „Größeres“ zielen. Es fällt auf, dass in Sturmingers Libretto die ersten Szenen gestrichen sind: Alfred in der Wachau bei seiner Mutter; die Szene beim „Zauberkönig“ mit diesem subtilen Oskar-Busserl, bei dem der Fleischer Marianne beißt, ganz zärtlich und ganz unbewusst. Dergleichen kommt in der Oper erst gar nicht vor. Es beginnt dafür mit einer Art Prolog, in dem Marianne das von Gruber neu vertonte Lied von der Wachau singt. Ein Beginn, der Marianne offfenbar als Hauptfigur einführt. Dann springt die Handlung gleich in die dritte Szene – und das Publikum sieht sich mit vielen Figuren konfrontiert – ganz ohne deren Vorgeschichte zu kennen – die einen Sonntagsausflug unternehmen.

In Grubers Oper haben sich die Gewichte also offenbar verschoben, und vor allem Marianne rückt ins Zentrum: Wenn durch die „jazzig“ angehauchte Orchestersprache Grubers an entscheidenden Stellen immer wieder Streicherflächen irrlichtern wie Reminiszenzen an Alban Berg, dann ist das sicher kein Zufall. Wird Marianne derart nicht zur Schwester von Wozzecks Marie? Es könnte Sinn machen, Grubers „Geschichten aus dem Wienerwald“ aus diesem Blickwinkel zu deuten. Im Zentrum stünde dann nicht mehr das „Milieu“, sondern ein Frauenschicksal, das in dieser Inszenierung in einem zeitlosen Vor- und Nachkriegswien verortet wurde (auch wenn im Bühnenhintergrund zur Szene im Wiener Wald eine große Panoramafotografie mit Uni-City und Donauturm zu sehen war).

Der fast drei Stunden lange Opernabend (inklusive einer Pause) vermittelte allerdings den Eindruck, als hätte sich das Team Sturminger/Gruber nicht dazu aufraffen können, in dieser Sache konsequent genug vorzugehen. Und so zog die Darstellung des kleinbürgerlichen Panoptikums den Abend doch einigermaßen in die Länge und verwässerte Mariannes Schicksal. Manche Figuren wollte man offenbar nicht streichen – wie den in dieser Opernfassung eigentlich überflüssigen Havlitschek, der seine boshaften Bemerkungen über die Frauen viel zu lange ausbreiten durfte, damit Oskar seine knappe Antwort anbringen konnte, dass die Frau eine „Sphinx“ sei.

Im Einzelnen mögen solche Unausgewogenheiten vernachlässigbar sein, aber hier summierten sie sich zu einem Werk, das bei präzisem Zuschnitt auf Marianne nicht nur kürzer, sondern in der Wirkung auch prägnanter hätte gestalten können. Der stilistisch ein wenig „zusammengewürftelte“ und redundant klingenden Musiksprache Grubers wäre mehr Würze durch Kürze ebenfalls bekömmlich gewesen – und mehr kammermusikalische Transparenz und ein kleineres Orchester. (Da saßen sogar noch in einer Proszeniumsloge ausgelagerte Bläser.) Teilweise jagte er förmlich die Protagonisten durch eine Art Sprechgesang, dann streute er wieder ariose Elemente ein. Das erzeugte immerhin phasenweise eine „Süffigkeit“, der ein auf kleiner Flamme vor sich hin köchelnder Unterhaltungseffekt nicht abgesprochen werden konnte.

Das überzeugende Ensemble wurde von der überaus präsenten Angelika Kirchschlager angeführt, die die Trafikantin fast zur Hauptrolle machte. Jörg Schneider sang einen tenoral profilierten Oskar, der noch eine Spur bösartiger hätte sein können, Ilse Eerens gab eine auf mich eher zurückhaltend wirkende Marianne, mit ihrem etwas hellen, etwas schmalen Sopran. Aber sie wurde durch die Fassung und die Regie auch stark in ihrer Opferrolle hin- und hergeschoben. Anja Siljas Großmutter war von einer starrsinnigen Grausamkeit gekennzeichnet. Der Alfred von Daniel Schmutzhard war vielleicht zu wenig mit „strizzihafter“ Schlitzohrigkeit gesegnet, der Zauberkönig von Albert Pesendorfer hätte eine konturiertere Abmischung aus Hartherzigkeit und Selbstmitleid vertragen. Michael Laurenz war ein strammer Erich.

Die engagierten Wiener Symphoniker spielten unter der Leitung des Komponisten – das Publikum spendete rund elf Minuten langen, starken Schlussapplaus.