I WENT TO THE HOUSE AND DID NOT ENTER
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Theater an der Wien
20.5.09
Österreichische Erstaufführung

Konzept, Musik, Regie: Heiner Goebbels

Eine Produktion des Theaters Vidy, Lausanne
Koproduktion mit dem Edinburgh Festival 2008

Uraufführung in Edinburgh 28.2.2008, seither auf Tournee

Solisten des Hillard Ensembles

David James
Rogers Covey-Crump
Steven Harrold
Gordon Jones


Die große Leere
(Dominik Troger)

Weiter gings im Musiktheaterprogramm der Wiener Festwochen mit Heiner Goebbels „I went to the house but did not enter“. Die Produktion entbehrt nicht einer gewissen Monotonie, aber hartgesottene Fans des Hillard Ensembles kommen wohl auf ihre Rechnung.

Die vier britischen Vokalsolisten gestalteten den Abend als „Solovorstellung“ – und die Werkbezeichnung „Szenisches Konzert in drei Bildern“ versprach auch nicht zu viel. Mit monotonem englischen Sprechgesang folgten zweimal Tenor, einmal Countertenor und einmal Bariton komplexen literarischen Texten des 20. Jahrhunderts, stellten sie als mäßig bewegte „Tableaus“ auf der Bühne dar – komponiert und konzeptioniert von Heiner Goebbels. Und die Protagonisten folgten dem Ablauf a capella und mit bewundernswertem künstlerischen Einsatz, der eineinhalb Stunden lang durchgehalten wurde, ohne dass dabei der Faden verloren ging.

Der Bogen spannte sich von T.S. Eliot „The Love Song of J. Alfred Prufrock“ über Maurice Blanchot „La folie du jour“ und Franz Kafka „Der Ausflug ins Gebirge“ bis zu Samuel Beckett „Worstward Ho“. Schon diese Namen garantierten einen Kreuz- und Querfahrt durch Wirklichkeiten, in denen sich das erzählerische „Ich“ sich selbst hinterfragend aufspaltet und dabei verloren geht – bei Beckett die Grenzen zum Absurden überschreitend. Zurück bleibt eine fragmentierte Wahrnehmung, die das Individuum in tiefer Einsamkeit und Depression zurücklässt. Und bei Beckett lauert dann überhaupt die „große Leere“, die aus Satzbruchstücken lacht und die alles verschlingt.

Wenn man davon ausgeht, dass Goebbels auf diese „große Leere“ hinauswollte, dann ist ihm das auf sublime Weise gelungen. Schon am Beginn forderte er „Kontemplation“ – und erntete vom Publikum durch die Reihen wanderndes Geräusper und Gehuste. Zehn oder fünfzehn Minuten können lang sein, wenn kein Ton gesprochen oder gesungen wird, und wenn man vier Personen auf der Bühne zuschaut, die mit langsamem Zeremoniell ein vor allem in Grautönen gehaltenes Zimmer demöblieren. Da wird der Tisch abgedeckt und alles in einen Umzugskarton verpackt, die Bilder, der Teppich, sogar die Vorhänge verschwinden darin – und noch immer ist kein menschlicher Ton von der Bühne zu hören, nur das leise Ticken einer Uhr. (Natürlich, den Staubsauger gab es noch, ein Uraltmodell mit melodisch klingendem Saugen, kurz gebraucht zur Teppichreinigung.) Endlich begann dann der Text, zuerst gesprochen, bald gesungen. Dann wurde aus einem neu herangeschafften Umzugskarton die Einrichtung des Zimmers mit dem nämlichen langsamen Zeremoniell reinstalliert – mit den gleichen Gegenständen, von denen einige andere Farben hatten, die weiße Vase plötzlich in Schwarz gehalten: Eine in Szene gesetzte Schwermut, die sich mir persönlich ebenso schwer auf die Augenlider legte.

Der Text von Blanchot war mit der Front eines einstöckigen Hauses ausgestaltet worden: drei Wohnungen und eine Garage, die die Sänger nutzten. Hier gab es ein paar aufmunternde Einlagen, wie das altertümliche Zwitschern eines schnell spulenden Tonbandgerätes oder eine kleine Explosion. Dafür war der dargebotene Text noch spröder und in seiner Dekonstruktion von Erzählvorgängen in der dargebotenen Weise nicht mehr zu durchschauen. Doch die eigentliche Bewährungsprobe stand noch bevor.

Nach einem kurzen Kafka-Intermezzo, das den „Niemands“ huldigte, wurde man in ein rötlich gehaltenes, very britishes Hotelzimmer der 60er- oder 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts übersiedelt, um auf Herrn Beckett zu treffen. Hier versagte die Übertitelanlage ihren Dienst. Dafür hatte man den deutschen Beckett-Text schon in der langen Umbaupause laufen lassen, unter wieder zunehmendem Geräusper und Gehuste aus dem Zuschauerraum. War das eine technische Panne oder war es ein psychologischer Trick, um das Publikum bei der Stange zu halten? Immerhin wurde es im abgedunkelten Saal mit Beckett’schen „Nonses-Phrasen“ beschäftigt. Der Nachteil: bei der langen Beckett-Sequenz musste man ohne Untertitel auskommen – und da wurde es jetzt erst richtig sedativ. Mich selbst bedrängte bleierne Müdigkeit, zumal dann auf der Bühne noch ein Diavortrag lief, als ganz spezifischer Reizauslöser (gefühlte Frequenz: ein Bild pro Minute). Jetzt entstand im Publikum einige Unruhe durch Besucher, die offenbar lieber zu Hause schlafen wollten und mehr oder weniger lautstark den Saal verließen. So bequem ist das Gestühle im Theater an der Wien bekanntermaßen nicht. Im etwa zu 2/3 gefüllten Haus fanden sich aber schlussendlich noch genug Beifallswillige, die vor allem dem Hillard Ensemble ihren Dank aussprachen.

PS: Die im Programmheft ausgewiesene Pause wird nicht eingehalten! Es wird durchgespielt!