EINSTEIN ON THE BEACH
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Museumsquartier Halle E
10. Juni 2022
Premiere

Koproduktion Theater Basel mit den Wiener Festwochen und den Berliner Festspielen

Musikalische Leitung: André de Ridder

Konzept: Sussanne Kennedy, Markus Selg
Bühne: Markus Selg
Kostüme: Teresa Vergho
Licht: Cornelius Hunziker

Video: Rodrik Biersteker, Markus Selg
Klangregie: Robert Hermann
Choreographie: Ixchel Mendoza Hernandez

Orchester Ensemble Phoenix Basel
Chor Basler Madrigalisten

Solo-Sopran - Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, Emily Dilewski
Solo-Alt - Sonja Koppelhuber, Nadia Catania

Solo-Violine - Dimanda Dramm

Performance - Suzan Boogaerdt, Tommy Cattin, Ixchel Mendoza Hernández, Tarren Johnson, Dominic Santia, Frank Willens


Zwischen Avantgarde und Langeweile
(Dominik Troger)

Die Wiener Festwochen haben mit „Einstein on the Beach“ von Philip Glass eine Ikone des modernen Musiktheaters nach Wien geholt. Veranstaltungsort war die Halle E im Museumsquartier. Die Aufführung dauerte pausenlose dreieinhalb Stunden, wobei sich das Publikum frei bewegen konnte – es durfte sogar auf der Drehbühne „mitfahren“.

Da steht man also auf der Bühne und wird sanft „gedreht“. Hinter einem ragt ein Kulissenfelsen empor, den eine Art von „Stargate“ krönt. Drei Meter entfernt singt der Chor – und aus den Lautsprechern tönt der repetitive „Glasssound“, streut seine elektronisch unterfütterten Klänge über einem aus, wiederholt seine rhythmischen Muster bis zur Trancegrenze – als Schlafmittel oder als Aufputschspritze, je nach Gusto. 1976 uraufgeführt ist „Einstein on the Beach“ der heilige Gral der Minimalmusic, den ein Geist avantgardistischer Weltanschauung belebt.

Aber das Stück hat zumindest einen Titel und in ihm kommt eine sehr prominente Persönlichkeit vor: Albert Einstein. Außerdem besitzt es eine klare Struktur, besteht aus vier Akten und aus fünf „Kniestücken“ (Knee Plays), die am Anfang, am Schluss sowie zwischen den Akten erklingen. Die einzelnen Szenen haben Titel wie „Train“, „Trial“, „Night Train“, „Trial/Prison“, „Field with Spaceship“. Der Chor singt Solmisationssilben oder Zahlwörter, dazu gesellen sich für Gesangsolisten noch Texte – besser „Textcollagen“ – von Christopher Knowles, Lucinda Childs und Samuel M. Johnson.

Wer gut aufgepasst hat, wird sich nach der Vorstellung vielleicht noch an die Telefonummer „BR9 – 5555“ erinnern oder an „Einsteins Freunde“ „Cindy, Jay, Steve, Julia, Robyn, Rick, Kit and Liz“ und dabei fühlen wie sich die Erde bewegt: „I Feel the Earth Move“. Dass nach ziemlich genau zwei Stunden die Frage: „Is this performance available on Youtube?“ aus den Lautsprechern tönte, war vom Produktionsteam wahrscheinlich als ironischer, trance-brechender Wachrüttler gedacht.

Wie auch immer: Das Publikum war zahlreich erschienen. Man durfte ohnehin kommen und gehen wie man wollte. Einige Besucher machten es sich im Foyer bei Getränken bequem, andere verfielen rasch der Faszination der Bühne, ließen sich drehen oder schauten beim Drehen zu, saßen, lagen, hockten, meditierten, kuschelten, schliefen, standen am Strand von Albert Einsteins „Beach“ – selbst zu Statisten, zu Querverweisen, zu Fraktalen geworden. Andere blieben einfach auf ihren Plätzen im Auditorum oder wechselten ganz nach Belieben zwischen Bühnenluft und herkömmlicher Guckkastenschau.

Bühnenbild, Szene und Kostüme setzten allerdings ganz andere Querverweise als „Beach“ und „Einstein“ und „Train“ und „Spaceship“. Susanne Kennedy und Markus Selg haben ihr Konzept nach einem archaischen Ritual ausgerichtet: eine Mischung aus minoischem Kult, Buddhismus und der Science-Fiction-Serie „Stargate“. Ein mit buntem Neonlicht verfremdetes „Himmelstor“ war der eine Blickfang des Bühnenbildes, das andere war ein Tempel mit blankem Ur-Rind-Schädel vor dem Gebete verrichtet wurden. Dazu gesellten sich ekstatische Orakeltänze und – als Höhepunkt der langen ersten Stunde – eine echte (!) Ziege mit leuchtendem Halsband, die brav an der Leine ihrem Führer nachtrottete. Die eigenartigen, enganliegenden Kostüme mit asiatischem Feeling, die Stirnlampen, die seltsamen „COVID-Gesichtsschilder“ für den Chor fügten eine weitere Ebene der Verfremdung hinzu, machten aus den Mitwirkenden lebende „Avatare“, von denen einige mit Lautsprechern versehen, sogar in den Zuschauerraum hinüberwechselten. (Kostüme: Markus Vergho).

Nachdem die zähe erste Stunde die Publikumsreihen gelichtet hatte, sorgte Diamanda Dramm solistisch auf der Violine für den ersten Höhepunkt. Sie wurde sogar mit Zwischenapplaus bedacht. Inzwischen wandelten sich die Videoprojektionen von gegenständlichen Baumsujets immer mehr zu abstrakten Motiven, aber an den statischen Bühnenritualen änderte sich wenig. In der letzten halben Stunde verdichtete sich endlich der Eindruck, verklärte eine Stimmung wie Abendrot die Bühne: Kult, Szene und Musik vereinigten sich zu einer schamanischen Traumreise ins Nirgendwo.

Die Akustik war nicht ideal. Musik und Stimmen klangen weiter oben in den Sitzreihen etwas verwaschen, auf der Bühne war es dann wieder eine Frage des Standorts. Wenn man ein Stück nur von der CD kennt, wird man allerdings leicht die ideale Abmischung vermissen – und vielleicht auch typische Klangfarben. Die dahinsprudelnde Begleitung der elektronischen Orgel hätte prägnanter und fülliger sein können. Insgesamt fehlte es der Aufführung ein bisschen an diesem „Drive“, das Sprudeln war zu oft ein Plätschern und erzeugte nicht diese unmittelbare, psychedelisch wirksame Energie. (Ich beziehe mich als Vergleich auf die CD-Aufnahme mit dem Philip Glass Ensemble aus den späten 1970er-Jahren.)

Für die Ausführenden und den sachlich und ruhig waltenden Dirigenten André de Ridder war der Abend nicht nur eine musikalische, sondern auch eine sportliche Leistung: Der starke Schlussapplaus hat das gesamte Team hoffentlich enthusiastisch genug gewürdigt. Gespielt wird noch heute am 11. Juni, dann reist die Produktion weiter nach Berlin.

Fazit: Nach meinem Eindruck wäre eine Grundvoraussetzung für diese Produktion ein geeigneter Aufführungsort gewesen oder man hätte die Publikumstribüne abbauen müsse: zum Beispiel eine große Halle mit der Drehbühne in der Mitte, alles für das Publikum frei begehbar und mit ins Ambiente eingepassten Sitzgelegenheiten. Auf diese Weise hätte man einen einheitlichen Raum vorgefunden, in dem es keinen „profanen“ Bereich mehr gibt, der die Illusion stört.

PS: Vor Ort wurden Handzettel mit den wichtigsten Eckdaten und dem Hinweis verteilt, dass es sich bei der Produktion um eine „Begehbare Installation“ handelt. Gedrucktes Programmheft gibt es keines. Mittels QR-Code kann man ein „papierfreies Abendprogramm“ mit zwei kurzen Artikeln abrufen. Und eine neue Wortschöpfung hat man auch kreiert: den „Zuschauer:innenraum“ ...