SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG
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Museumsquartier
19.2.2008
Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Nicola Raab
Ausstattung: Benita Roth
Lichtdesign: Norbert Chmel
Choerographie: Nikolaus Adler

Libretto frei nach dem gleichnamigen Theaterstück von Christian Dietrich Grabbe: Jörg W. Gronius

Orchester: Amadeus Ensemble Wien

Der Teufel - Bernhard Landauer
Der Baron - Alfred Werner
Liddy - Magdalena Anna Hofmann
Mordax - Thomas Tatzl

Wernthal - Andreas Jankowitsch
Rattengift - Camillo dell` Antonio
Mollfels - Michael Spyres
Schulmeister - Rupert Bergmann

Gottliebchen - Heidi Wolf
Vier Naturhistoriker - Johanna von der Deken, Eva Hinterreithner, Gernot Heinrich, Michael Schwendinger
Teufels Großmutter - Liane Zaharia

 


Teuflischer Humor

(Dominik Troger)

„Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ – eine Komische Oper frei nach Grabbes sprichwörtlich gewordener „Literatur-Satire“ erlebte unter Federführung der Neuen Oper Wien ihre österreichische Musiktheaterpremiere.

Nach der Uraufführung vor ziemlich genau sieben Jahren in Halle hat es dieses Werk jetzt zu seiner österreichischen Erstaufführung gebracht. Komponist Detlev Glanert (Jahrgang 1960) hat sich als Opernkomponist schon einen guten Namen gemacht, zuletzt mit dem 2006 uraufgeführten „Caligula“. Man merkte auch gleich bei diesem Grabbe’schen Musiktheater, dass Glanert das Komponieren leicht von der Hand zu gehen scheint, dass es ihm gelingt eine gewisse Süffigkeit zu erzeugen, die vom Urgroßvater Mahler über die Großväter Ravel und Berg im elegischen Tonfall früher Henze-Symphonien eine wohlige Heimstatt findet.

Aber es ist ungerecht, wenn man immer Vergleiche sucht: Glanert zeigt viel Gespür für Klang und Instrumentation, er achtet – und das ist bei einer Komischen Oper doppelt und dreifach wichtig – auf die Singbarkeit des Textes und fordert von den SängerInnen unmißverständlich das munter-bissige Plätschern eines Parlandos ein. Er versteht es, Spannungen aufzubauen, Effekte zu setzen und subtile akustische Pointen zu spinnen, er schneidert den Figuren einen musikalischen „Charakter“ – und die „Doppelzüngigkeit“ des Teufels, die mittels Mikroport und Elektronik erzeugt wird, ist nur ein besonders krasses Beispiel dafür. Zudem drückt Glanert oft aus Tempo, um den Sog des Textes in Noten umzugießen – wie ein komödiantisches Allgero molto vom ersten, knalligen Auftritt des Teufels bis zum „apokalyptischen“ Schluss, unterbrochen nur von ein paar Ruheinseln, die als versponnene Romantizismen liebeshungrige Gemüter zu meditativer Melancholie verlocken.

Trotzdem – so richtig gezündet hat die Geschichte vom Teufel nicht, der vorm Putztag in der Hölle auf die Erde flieht und feststellt, dass die Menschen teuflischer sind als er selbst: denn einige dramaturgische Schwächen des Librettos gingen in diesem Fall mit den beschränkten Möglichkeiten einer adäquaten Bühnenumsetzung Hand in Hand.

Die Herausforderung beginnt schon bei der Vorlage, Grabbes „Lesestück“, das er 1822 als Ius-Student in Berlin verfasst hat, und in dem er sich über die damaligen literarischen Gepflogenheiten lustig macht. Grabbes „Original“ ist mit seinen zeitgebundenen Anspielungen im Detail heutzutage nur mehr schwer durchschaubar und der Gebrauch eines umfangreichen Handapparates für eine Theateraufführung natürlich wenig sinnvoll. Der Komponist, angezogen von allerhand Grabbe’schen Absurditäten, hat deshalb gleich beschlossen, sich einen Librettisten zu suchen, der ihm das einrichtet. Jörg W. Gronius waltete dann mit Akribie dieses Amtes: von Grabbe haben eigentlich nur der Handlungsrahmen, die Figuren und diverse Wortspenden überlebt, die in einen neuen Text, angereichert mit „neuen“ Zitaten („Zwar nur ein kleiner Schnitt für uns, aber ein großer für die Menschheit!“) umgegossen wurden. Außerdem wurde die Handlung gegen Schluss entscheidend verändert: Während Grabbe im Original sich mit romantischer Ironie selbst den letzten Auftritt vorbehält, wird hier Gottliebchen, ein Schüler, ursprünglich von peripherer Natur, einen kräftigen Schlusspunkt setzen: Weltuntergang, Theateruntergang, was auch immer... Die Literatur-Satire wird zum satirischen Welttheater – und durch die Anschärfung gewisser Gegensätze zugleich zur „moralischen Anstalt“. Die zurückbleibenden Bewahrer des „Guten, Wahren und Schönen“ werden mit der Nase auf die Verderblichkeit ihrer gelobhudelten Welt gestoßen: Gottliebchen wird für sie zum „Satansbraten“ (denn der Teufel hat sich zu diesem Zeitpunkt schon zurück in die Hölle verabschiedet).

Der Schluss macht Wirkung, aber eigentlich ist nicht klar, warum dieses Gottliebchen, das die meiste Zeit über vom Schulmeister (in dieser Aufführung mehr ein brutaler Söldnerführer) gepiesackt wird, plötzlich in die Rolle eines quasi Demiurgen schlüpfen muss. Ist es der Aufstand der gequälten Kreatur oder ein nihilistischer Akt? Grabbe war da konsequenter, weil er die Satire und die Theaterwelt wirklich „auf den Kopf stellte“ und sein in der langen Saufszene ausgesprochenes Paradigma („Wer nicht vom Tisch fallen will, muss auf ihn hinaufsteigen.“) durch seinen eigenen Schlussauftritt literarisch unterstrich. Wenn also der Eindruck entstand, dass hier ein wenig krampfhaft die Moral ins Chaos eingebracht werden sollte, sozusagen als stärkende Injektion, dann nahm sich das wie eine Rechtfertigung aus, der das Stück an sich gar nicht bedurft hätte. In Summe freilich hat Gronius gute Arbeit geleistet und die teils langen Grabbe’schen Wortergießungen pointiert verknappt und in ein heutiges Bezugssystem übertragen.

Für eine erfolgreiche Aufführung dieser Oper ist Textverständlichkeit eine unbedingte Voraussetzung – und sei es, dass man den Text in einer Lesezeile über der Bühne mitlaufen lässt. Hier nur auf die SängerInnen zu bauen, zeitigt womöglich nicht das gewünschte Ergebnis. Außerdem – und das trifft Librettisten, Komponisten und Regie – ist man dem ausufernden „Grabbe“ doch nicht so ganz Herr geworden. Das Besäufnis am Ende des ersten Aktes etwa, in dem Grabbe sein Absurditätsparadigma (wie oben beschrieben) postuliert, ist deutlich zu lang geraten – und in den kurzen Ensembles ging die Transparenz sowieso rasch verloren. Die Inszenierung hat hier nicht weitergeholfen – und das Orchester auch nicht, das gegenüber Glanerts Vorstellungen von einem luftigen Komödienstil zu schwerfällig agierte.

Außerdem haben bei einem relativ großen Figurenkatalog und einer Werklänge (mit Pause) von etwa 2,15 Stunden, nur wenige Rollen die Möglichkeit, sich stärker zu profilieren: dazu gehören natürlich der Teufel, der bei Bernhard Landauer mit androgyner Altstimme und Aussehen sehr gut aufgehoben war, aber auch der Schulmeister, den Rupert Bergmann mit (durch die Inszenierung noch verstärkt) entsprechend brutalem Auftreten versah. Dazu gehören Gottliebchen, von Heidi Wolf sehr intensiv gespielt und gesungen, und Mollfels (Michael Spyres), der als Liebhaber schöne lyrische und kantable Töne beisteuerte, in die Liddy (Magdalena Anna Hofmann), von ihm innig verehrt, gerne mit einstimmte. Die Kunst, aus ihren verhältnismäßig kurzen Rollen möglichst viel Kapital zu schlagen, war bei den übrigen Mitwirkenden unterschiedlich verteilt, allen aber sei großer Respekt für die Einstudierung gezollt. Bei den raschen, meist in kurzen Sätzen gehaltenen Dialogen kann man schnell mal aus dem „Tritt“ kommen.

Der Inszenierung fehlte die „zündende Idee“ und der Blick fürs „Absurde“. Das kleine Theater im Theater wirkte auf der doch relativen großen Bühne der Halle E etwas zu klein geraten und viel zu „bodenständig“. Die „Überdrehtheit“ der Figuren löste keine „verdrehte“ Komik aus – der Stil ging dann eher ins revuehafte, die Absurdität der Satire wurde zum Kabarett (ein Punkt, den man vielleicht auch der Komposition da und dort ankreiden könnte). Außerdem war wohl aus ökonomischen Gründen dem Kulissen- und Kostümzauber eine enge Grenze gesetzt – und von den teils jungen SängerInnen waren keine bis ins kleinste Wimpernzucken ausgefeilten Charakterstudien zu erwarten. So blieb es bei einer interessanten Begegnung, die den radikalen Witz Grabbes zu wenig auskostete.

Das Publikum spendete am Schluss langen, sehr freundlichen Applaus. Die Aufführung war sehr gut besucht, aber Begeisterungsstürme gab es trotzdem keine. Sehr positiv sei vermerkt, dass das Libretto um wohlfeile 50 Cent erstanden werden konnte; sehr negativ, dass das Programmheft (2,70 Euro) kaum hinreichend Interessantes zum Stück bereithielt. Ein Vergleich zwischen Grabbes „Original“ und der präsentieren Opernfassung sowie ein paar Anmerkungen des Komponisten wären das Mindeste gewesen, was man hätte erwarten dürfen.