PORGY AND BESS
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Theater an der Wien
14. Oktober 2020
Premiere

Musikalische Leitung: Wayne Marshall
Inszenierung: Matthew Wild
Ausstattung: Katrin Lea Tag
Co-Kostümdesignerin: Lejla Ganic
Choreografie: Louisa Ann Talbot
Licht: Bernd Purkrabek

Wiener KammerOrchester - special extended
Porgy and Bess-Ensemble


Porgy - Eric Greene
Bess - Jeanine de Bique
Crown - Norman Garrett
Serena - Mary Elizabeth Williams
Sportin´ Life - Zwakele Tshabalala
Clara - Brandie Sutton
Jake - Ryan Speedo Green
Maria - Tichina Vaughn
Mingo - Sani Muliaumaseali’i
Robbins - Calvin Lee
Peter - Ronald Samm
Frazier - Themba Mvula
Annie - Sarah-Jane Lewis
Lily - Felicity Buckland
Strawberry Woman - April Koyejo-Audiger
Jim - Njabulo Madlal
Undertaker - Msimelelo Mbali
Crab Man / Nelson - Siphesihle Mdena
Detective - Tobias Voigt
Policeman / Coroner - Markus-Peter Gössler


„Der Groove wohnt im Containerdorf“
(Dominik Troger)

„Porgy and Bess“-Premiere im Theater an der Wien: Mit festem Zugriff packte diese Aufführung das Publikum beim Schopf. Das Leben ist hart, die Hoffnung aber trotzdem nicht unterzukriegen.

„Porgy and Bess“ hat eine komplexe Aufführungsgeschichte hinter sich, zu der Wien auch einen kleinen Beitrag geleistet hat – nämlich mit der Volksopernproduktion im Jahr 1965. (2019 hat man sich am Währinger Gürtel mit einigen konzertanten Aufführungen des Werkes besonnen.) Nun folgte eine szenische Neuproduktion im Theater an der Wien, für die man Matthew Wild, einen Regisseur aus Südafrika engagiert hat.

Der südafrikanische Blick auf das Werk war, wie Wild im Programmheft zur Aufführung erläutert, immer schon ein stark politischer – und es liegt nahe, dass unter diesen Umständen eine historisch-sentimental eingefärbte Sichtweise auf das afroamerikanische „Milieu“ im US-amerikanischen Charleston nicht zu erwarten war. Es überrascht trotzdem, wie überzeugend es Wild gelang, das Werk in die Gegenwart zu holen. Das „Milieu“ wurde durch scharf gezeichnete Charaktere ersetzt, die ihre Lebensgeschichte haben, und die dadurch nicht als schablonenhafte Platzhalter für romantisierende Klischees taugen.

Dabei war Rassismus gar nicht so sehr der Dreh- und Angelpunkt: Vielmehr schoben sich die sozialen Grundprobleme ökonomisch ausgegrenzter Gesellschaften wie Gewalt, Kriminalität und Drogenkonsum in den Mittelpunkt – genauso wie die mit jeder Generation erneuerte Hoffnung der Menschen, ihr Leben verbessern zu können. Gershwins Musik als „Konglomerat“ aus Klassik, Jazz, Spiritual, Blues etc. ist in ihrer individuellen Machart zudem von einer überraschenden Gegenwärtigkeit. Sie steht einer modernisierten Szene nicht im Wege.

Wild hat die „Catfish Row“ aus Charleston in eine Containersiedlung geholt, die sich mächtig auf der Drehbühne stapelt. Jeder Container ist eine Wohnung. Laut Programmheft befindet man sich in einer Siedlung am Rande einer europäische Großstadt, in der sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen gesammelten haben, die auf ein besseres Leben hoffen. Dieser konzeptuelle Annahme wurde man aber – bis auf die Kopftuch tragende Clara, die mit dem Christen (!) Jake verheiratet ist – kaum gewärtig. Vielmehr fühlte man sich in eine Art von „Township“ versetzt, in dem kriminelle Strukturen und ein amerikanisch-bigott gelebtes Christentum den Ton angeben.

Im Brennpunkt der Aufmerksamkeit standen natürlich Porgy – in dieser Produktion „nur“ mit verkrüppeltem Bein und auf Krücke unterwegs – und die drogenabhängige Bess. Porgy ging jeder Mitleidseffekt ab, seine eingeschränkte Beweglichkeit war kein Makel, sondern eine Besonderheit, die ihm Achtung verlieh. Eric Greene war ein sehr selbstbewusster Porgy, am Schluss, wenn er sich auf die Suche nach Bess macht, hatte er fast schon etwas Prophetisches an sich.

Religion hat ohnehin eine wichtige Funktion in dieser Oper. Sie ist eigentlich der „Kitt“ dieser Gesellschaft – auch wenn sich aus ihr die Ressentiments speisen, die die Frauen gegenüber der lebenshungrigen Bess hegen. Bess ist in dieser Produktion traumatisiert, drogenabhängig, Crown sexuell hörig – und wenn sie schlussendlich mit Sportin‘ Life das Weite sucht, ist es ein Akt der Verzweiflung. Bess ist eine gescheiterte Existenz, wahrscheinlich wird ihr kurzer „Honeymoon“ mit Porgy der einzige Lichtblick in ihrem Leben bleiben. Jeanine de Bique spielte die Rolle mit der gebotenen seelischen Verletzlichkeit: ein unter die Haut gehendes Frauenschicksal, zeitlos, aufwühlend und erschütternd in seiner Perspektivlosigkeit.

Um Bess scharten sich ein präpotenter, letztlich auch wegen seiner Selbstüberschätzung in einem Container (!) abgefackelter Crown (Norman Garrett), und ein im Auftreten und in der Bühnenpräsenz brillanter Sportin‘ Life (Zwakele Tshabalala). Und als Jake begegnete einem mit Ryan Speedo Green sogar ein „alter Bekannter“ von der Wiener Staatsoper. Die vielen größeren und kleineren Rollen summierten sich zu einer starken Ensembleleistung, angeheizt von den nahtlos in die Handlung integrierten und schlüssig choreographierten Massenszenen: Tanz und Oper können durchaus miteinander, wenn man es geschickt anstellt.

Wollte man die Aufführung nach den Gesangsleistungen bemessen, so würde das Urteil nicht so günstig ausfallen, aber die Rauheit einiger Männerstimmen, manch ungeschliffenen Sopranton konnte man der „Authentizität“ zu rechnen – und Authentizität ist vielleicht das Schlüsselwort für diese Produktion. (Wobei nicht behauptet werden soll, dass sie „authentisch“ ist, sondern dass sie in der Lage war, diesen Eindruck hervorzurufen.)

Das zupackende Musizieren, das vom öfters zu laut tönenden, und um jazzerfahrene Musiker erweiterten Wiener Kammerorchester befördert wurde, versah das ausweglos anmutende Bühnengeschehen mit dem rauen Firnis veristischen Fatums. Geleitet wurde das Orchester von Wayne Marshall, der teilweise auswendig dirigierte und auch den „Groove“ fand, um für eine mitreißende Wiedergabe zu sorgen. Einige Szenen waren gekürzt worden.

Der Abend dauerte über dreieinviertel Stunden (plus Pause) und wurde vom Publikum mit stark befürwortendem Applaus bedacht. Es werden von dieser Produktion insgesamt zehn Vorstellungen bis einschließlich 24. Oktober in wechselnden Besetzungen gespielt.