AMBLETO |
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Theater
an der Wien Inszenierung: Ilaria
Lanzino La Lira
di Orfeo |
Hamlet - Raffaele Pe |
Die
neueste Produktion des Theaters an der Wien bietet dem Publikum eine
mit Barockarien garnierte „Hamlet-Mutation“: Francesco Gasparini wird
mit William Shakeaspeare verkuppelt, um zeitgenössisches Musiktheater
zu zeugen. Die Begeisterung über das Ergebnis hält sich in Grenzen. Die Sache ist ein bisschen kompliziert – denn es handelt sich um keine „klassische“ Aufführung der Oper „Ambleto“ von Francesco Gasparini, wie man aufgrund der Spielplanankündigung meinen könnte. Gasparini hat im frühen 18. Jahrhundert eine „Hamlet“-Oper auf ein Libretto von Apostolo Zeno und Pietro Pariati komponiert. Diese Oper hat aber nichts mit Shakespeare zu tun und weicht in der Handlung stark von diesem ab. Die Librettisten haben sich nur an derselben Quelle wie Shakespeare bedient (der Gesta Danorum des Saxo Grammaticus). Diese in Venedig Ende 1705 uraufgeführte Oper reiste im „Gepäck“ des Kastraten Nicoloni nach London und wurde dort 1712 als dramaturgisch eher lose geknüpftes Pasticcio gegeben. Von diesem Pasticcio wurde im selben Jahr ein „Song-Book“ gedruckt, das heute als Quelle für die Musik dient. Etwas mehr als die Hälfte der rund 40 Arien sind von Gasparini, der Rest stammt aus unterschiedlichen Komponisten-Federn. Die Rezitative sind nicht überliefert. (Ein Artikel im Programmheft zu dieser Neuproduktion gibt über weitere Details Auskunft.) An der Linken Wienzeile hat man sich diesen fragmentarischen Charakter
zu Nutze gemacht und auf die Barockoper „Ambleto“ szenisch
eine Art von sehr frei nacherzählter „Shakespeare-Paraphrase“ montiert –
also zwei Werke miteinander kombiniert, die zwar einen gemeinsamen
Nenner haben, aber die nicht nur handlungsmäßig keine gemeinsame
„Summe“ ergeben. Als sichtbarstes Zeichen dieses „Konzepts“
tragen alle Figuren ihre Shakespeare-Namen – und nicht die
von Zeno ersonnenen, deren Verse Gasparini in Musik gesetzt hat. Zwischen den
Arien wurden statt der Rezitative Zitate aus Shakepeares „Hamlet“
eingespielt und einige Male hat man sich an Klangkonserven Marke „Thriller“ bedient. Der Abend beginnt mit Ophelias Selbstmord, die sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten hat – und bringt dann das Geschehen in einer Rückblende auf die Bühne. Das Badezimmer scheint am Beginn mitten im abgedunkelten Bühnenraum zu schweben, was einen fast cineastischen Effekt erzeugt – und wenn nach der Pause Hamlet zum Axtmörder wird, fällt einem ohnehin das Kino ein: so ein abgemagerter Stanley Kubrick im Theater an der Wien. Auf
der Drehbühne sieht man eine „Wohnlandschaft“: eine großes
Schlafzimmer zu ebener Erde, eine Speiselocation im ersten Stock, es
gibt eine düstere Treppe, es gibt einen größeren Raum für
Veranstaltungen wie Hochzeit und Trauerandacht, die Räume sind
miteinander verbunden – wenn Hamlet mit Axt bewehrt Amok läuft, muss
man sich vor ihm auch verstecken können. Der Weg zu diesem blutigen
Finale hat allerdings seine Längen. Vor der Pause bekommt man
zerrüttete Familienverhältnisse serviert, erst nach der Pause schaukelt
sich das blutige Ende auf. Und am Schluss, nachdem fast alle gemeuchelt sind, gönnt die Inszenierung dem
Publikum als besonderes „Schmankerl“ noch einmal einen Blick auf
Ophelia (sie hat zuvor Hamlet mit einem großen Küchenmesser erstochen) und blutverschmierte Badezimmerkacheln. Die Musik von Gasparini & Co. will den ganzen Abend lang nicht so richtig zünden. Sie wirkt angesichts des Bühnenambientes wie „eingetopft“ und ihres eigentlichen Substrates beraubt. Nun gibt es trotz allem manch reizvolle Arie zu entdecken, lyrische Zwiesprache mit Cello oder Flöte oder mit tänzerischem Tonfall Liebe tändelnd. Aber letztlich entsteht doch der Eindruck, hier mit Ware aus zweiter Hand bedient zu werden, die anno dazumal auf die besonderen Stärken der jeweiligen Sängerinnen und Sänger abgestimmt, in diesem aktuellen szenischen Ambiente viel an unmittelbarer Wirkung einbüßt. Wenn dann auf der Bühne auch noch lautstark Sessel umgeworfen werden oder die Vortragenden gegen den emotionalen Gehalt der Arien schauzuspielen zu haben, wird es doppelt so schwer, daran zu glauben, dass sich ein „zeitgemäßer“ Hamlet, unterlegt von barockem Ziergesang, eine Axt schnappt und zum Amokläufer wird. Das Ensemble war mit viel Einsatz bei der Sache, aber eigentlich sind nur die beiden Countertenöre mit ihrem ausgewiesenen Spezialistentum den Anforderungen in dem Maße gerecht geworden, den man sich von Barockopernaufführungen im Theater an der Wien erwartet. Maayan Licht hat als Laertes mit seinem leichtgängigen Sopran für Schwung gesorgt. Raffaele Pe, mit der gesetzteren Stimme, hat als Hamlet allerdings ein wenig den Eindruck hinerlassen, als würde ihm die Ernsthaftigkeit des szenischen Anliegens etwas Sand ins „Getriebe“ seiner sängerischen Virtuosität streuen. Erika Baikoff ließ als Ophelia einen zu unsteten, leicht angestrengt klingenden Sopran hören; wenig „süffig“, sondern schon ein bisschen „austrainiert“: die Gertrude von Ana Maria Labin. Miklós Sebestyén (Claudius) und Nikolay Borchev (Polonius) sorgten für gesangliche „Solidität“. La Lira di Orfeo wurde von der Konzertmeisterin Elisa Citterio im Graben geleitet. Raffaele Pe, der eigentliche musikalischen Leiter der Produktion, stand als Ambleto auf der Bühne. Diese seltsame Aufgabenteilung war möglicherweise mit ein Grund, warum musikalische „Energieschübe“ ausblieben. So wurde eben Arie für Arie abgespult, und die „magische“ Verbindung zwischen Szene und Musik, auf die es in der Oper doch ankommt, stellte sich nur sehr selten ein. Das Haus war nicht so gut besucht, wie man es sich für eine Premiere erwarten würde. Am dritten Rang gab es viele leere Plätze. Der
Applaus war dann nach rund zweidreiviertel Stunden Vorstellungsdauer
(inkl. einer Pause) doch recht stark, ein Teil des Publikums offenbar
zufrieden. |