QUARTETT
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Museumsquartier Halle E
1. Juni 2012

Musikalische Leitung: Peter Rundel
Regie: Àlex Ollé (La Fura dels Baus)
Video: Franc Aleu
Kostüme: Lluc Castells
Licht: Marco Filibeck

Orchester: Ensemble da camera dell'Accadmia Teatro alla Scala

Premiere 29. Mai 2012

Koproduktion Wiener Festwochen und Teatro alla Scala, Mailand
In Zusammenarbeit mit IRCAM, Paris

Marquise de Merteuil - Allison Cook
Vicomte de Valmont - Robin Adams



Zahmer Geschlechterkampf
(Dominik Troger)

Die Halle E im Museumsquartier war Schauplatz der zweiten (und letzten) Opernproduktion der Wiener Festwochen: „Quartett“ von Luca Francesconi. Das Stück wurde 2011 an der Scala uraufgeführt – und durfte das magere Opernprogramm der Festwochen mit zeitgenössischem Musiktheater „auffetten“.

„Quartett“ basiert auf dem viele hundert Seiten langen Roman „Les Liaisons dangereuses“ („Gefährliche Liebschaften“) von Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos, erschienen kurz vor der Französischen Revolution. Heiner Müller hat selbigen zu einem Theaterstück komprimiert – der Komponist hat dieses Theaterstück als Basis für sein Libretto genommen und auf Englisch übersetzt. Das Resultat schildert verknappend das brutale Beziehungsspiel der Marquise de Merteuil mit dem Vicomte de Valmont. Der Name „Quartett“ soll verdeutlichen, dass Frau und Mann in diesem Spiel auch andere Identitäten annehmen, sogar die Geschlechterrollen tauschen.

Auf dieser Basis wurde den Zuschauern eine rund 80 Minuten lange, recht laborartig anmutende Dekonstruktion aller „emotionalen Bindungsmittel“ menschlichen Zusammenlebens geboten, bei der die Protagonisten wie in einem Käfig eingesperrt ihre Triebe aneinander „abarbeiteten“.

Das Ziel des ganzen Unternehmens ist laut Anmerkungen des Komponisten im Programmheft die Demaskierung westlicher Machtstrukturen, die angeblich bis in die privatesten Verhältnisse der Menschen reichen. Der Komponist dazu: „In einem bis zum Äußersten gehenden Schritt schaffen die Figuren die Liebe ab, um sich selbst und andere beherrschen zu können.“ Am Schluss des Stücks mutiert, so die Inhaltsangabe, die Marquise zur Ophelia aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ und sie „reißt sich das Herz aus der Brust“.

Wie stellt man aber dieses „Kammerspiel“ adäquat auf die Bühne? Wie stark lassen sich Regie und Akteure auf den brutalen Hintergrund dieses Geschlechterkampfes ein? Wie viel „Pornographie“ ist dieser „Wahrheit“ zuträglich? Die Produktion der Oper im Rahmen der Wiener Festwochen in Kooperation mit der Mailänder Scala ließ sich jedenfalls auf keine extremen Bilder ein. Das Finale beispielsweise zeigte „nur“ ein durch Wolken-Projektionen versinnbildlichtes, nihilistisches „Nirwana“, in das die Marquis samt Bühne „abhob“, nachdem sie selbige noch eifrig demoliert und den Vicomte vergiftet hat.

In der Inszenierung von Àlex Ollé (La Fura dels Baus) gewann das Werk einen ästhetisierenden optischen Reiz, der ihm eigentlich nicht zukommt. Der gelungen Einsatz multimedialer Mittel, dieser von Projektionen umhüllte, mittig scheinbar freischwebende, zellenartige Bühnenraum (Bühne: Alfons Flores) schuf zwar eine faszinierende Optik, die das drastische Geschehen aber „überhöhte“ und ihm die Schärfe nahm. Dieses schwebende Rechteck mit dem sich zerfleischenden Paar wirkte wie eine ferne Insel, umspült von Videoeffekten, die den Betrachter schwer zu beunruhigen vermochten.

Zudem befindet sich der italienische Komponist Luca Francesconi mit „Quartett“ in einer Traditionslinie, in die man Namen wie Jean-Paul Sartre (z.B. sein Stück „Geschlossene Gesellschaft“) oder Per Paolo Pasolini stellen muss – und die Nennung dieser Namen macht zugleich die Herausforderung deutlich, dergleichen virtuos ausgedachten existentialistischen und sadomasochistischen Beziehungskonstrukten noch ein weiteres hinzuzufügen. Viel hat „Quartett“ hier nicht mehr anzubieten.

Luca Francesconi war es wichtig, mit seiner Musik den „universellen“ Aspekt zu verdeutlichen, schreibt er im Programmheft. Das kleine Kammerorchester wurde mit viel Elektronik „erweitert“, schuf, um IRCAM-Spezialisten verstärkt, einen Raumklang im besten Sinne, und wirkte im Vergleich zur Handlung doch zu abgeklärt und elegant. Nur manch „symphonisches“ Zwischenspiel drängte sich kurz in den Vordergrund, wenn Francesconi von einer der dreizehn Szenen zur nächsten überleitete. Der Komponist hat unter anderem bei Karlheinz Stockhausen und Luciano Berio studiert. Bei „Quartett“ erwies er sich für meinen Geschmack als gekonnter Klangarrangeur, aber mit nur wenig Gefühl für ein symbiotisches Verhältnis von Drama und Musik. (Aber der erste Höreindruck ist immer zu hinterfragen.)

Die anspruchsvollen Gesangspartien wurden von Allison Cook und Robin Adams virtuos umgesetzt. Das Publikum spendete viel, aber nicht übermäßig lange anhaltenden Applaus. Besprochen wurde die letzte Aufführung von insgesamt nur drei! Der Abend war sehr gut besucht.