OEDIPE
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Staatsoper
17.1.2004
Wiederaufnahme

Dirigent: Michael Boder

Oedipe - Esa Ruuttunen
Tirésias - Alexandru Moisiuc
Créon - Peter Weber
Hirte - Michael Roider
Hohepriester - Goran Simic
Phorbas - Marcus Pelz
Wächter -
Walter Fink
Thésée - Adria Eröd
Laios - John Dickie
Jocaste - Margareta Hintermeier
Sphinx - Marjana Lipovsek
Antigone - Antigone Papoulkas
Mérope - Mihaela Ungureanu


"Oedipe, der Anachronist"
(Dominik Troger)

Der rumänische Komponist George Enescu macht es den Zuhörern nicht leicht. Sein schwermütiger Spätromantizismus, gespeist aus der französischen Musik-Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, hat zumindest hier in Wien noch keine Wurzeln geschlagen.

Man muss sich vor Augen halten, dass dieses bereits 1936 in Paris uraufgeführte Werk erst 1993, also vor gerade Mal elf Jahren, seine österreichische Erstaufführung erlebt hat – realisiert vom Wiener Operntheater im Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe. Man konnte dem Werk damals in einer muskalisch sehr intensiven Aufführung begegnen, die aber, verglichen mit der Staatsopernproduktion, kammermusikalische Ausmaße hatte. 1997 öffneten sich für Enescu die Tore des Hauses am Ring. Direktor Holender legte damit ein Bekenntnis zu seinen rumänischen Wurzeln ab, und hievte den Oedipe auf die Staatsopernbühne.

Michael Gielen dirigierte am 29. Mai 1997 die Premiere – zu kühlanalytisch wie mir heute scheint, ohne die emotional-lyrische Psychologie mit der Enescu den Mythos aus seiner Archaik ins 20 Jahrhundert transponiert hat, klarzumachen. Das gelang Michael Boder, am Pult der Wiederaufnahme, weit besser. Enescu entpuppte sich dabei als einzelgängerischer, durch den Impressionismus und Wagner gebrochener Fortschreiber französischen Opernschaffens, dessen Werk von einer verhaltenen, tiefgründigen Spannung lebt, die nicht plakativ im monumentalen wirkt, sondern durch die nagende Vivisektion eines einzelnen Subjekts – des Oedipe.

Trotz des spätromantischen, fast anachronistischen Orchesterapparates bemüht Enescu keine „dumpfe Archaik“, sondern setzt seinen Oedipe unters Licht eines schwermütigen Klangbildes, das die Wucht des Mythos in einem hinterfragenswerten Ringen mit dem Schicksal auflöst. (Die Werkbezeichnung als „Tragédie lyrique“ macht die Grundhaltung deutlich.) Enescu verzichtete auf den „billigen Effekt“ und damit wahrscheinlich auf eine publikumswirksame Rezeption des Werkes. Dazu kommt die knappe Ausformulierung der gesamten Ödipus-Geschichte an einem gar nicht so langen Opernabend – von der Geburt bis zum Tod. Die Schicksalsschläge reihen sich da mit einer Unerbittlichkeit aneinander, die einem Bange macht. Und erst am Schluss löst sich diese Gequältheit der Kreatur in einer Art von übernatürlicher Hoffnung auf, einem im Piano verhallenden Schluss, den Boder mit Akribie ausklingen ließ, und der vom klatschfreudigen Publikum in seiner verinnerlichten Wirkung offenhörlich nicht verstanden wurde. Kurz um: dieser Oedipe ist kein Werk für den Opernalltag.

Es ist sicher eine Herausforderung, die vielen, eher kleinen Rollen (Ausnahme: Oedipe), treffend zu besetzen und zu einem abgerundeten Gesamtbild zu formen – aber das ist im wesentlichen gelungen. Die Aufführung kennt gesanglich keinen Schwachpunkt, aber auch nicht wirklich einen Höhepunkt. (Man mag die Sphinx von Marjana Lipovsek davon ausnehmen, aber die hat nur sehr wenig zu singen). In der Erinnerung scheint mir Monte Pederson, der den Oedipe bei der Premiere gesungen hat, die idealere Besetzung gewesen zu sein als Esa Ruuttunen. Dessen Oedipe wurde nicht zwangsläufig zum Mittelpunkt, zur Nabe des Schicksalsrades, hob sich vom Charisma zu wenig vom übrigen Ensemble ab. Die tragende Säule der Aufführung war das Orchester unter Michael Boder.

Die Inszenierung stammt von Götz Friedrich - im Rahmen einer Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin. Sie ist ein wenig statuarisch und hätte in der Personenführung die Expressivität des vom Schicksal gebeutelten Oedipe stärker herausstreichen können. In der Szene mit der Sphinx blicken kleinere und größere Katzenaugen vom düsteren Hintergrund auf ihn herab. Die Wegkreuzung zeigt ihren Zeitbezug durch die rot-weißen Baustellen-Plastikbänder, die als Absperrung dienen. Laios fährt mit einer Art Auto, zumindest Scheinwerfer hat man dem Ding eingebaut, seinem Tod entgegen. Das Pestbild im dritten Aufzug findet zurück zur sprichwörtlichen „Weiße“ griechischer Städte und Mauern, an der Wand mit Strichen vermerkt die Anzahl der Toten. Das wirkt dann schon ziemlich konventionell, die Bühne auf der Bühne und der Laufsteg nach hinten. Aber praktikabel ist es allemal. Das Schlussbild zeichnet eine verklärende Weichheit (Bühnenbild und Kostüme: Gottfried Pilz, Isabel Ines Glathar). Die Inszenierung geht „auf Nummer sicher“, könnte man sagen, und wird der Drastik des Stoffes nur bedingt gerecht.

Die Anwesenheit des rumänischen Staatspräsidenten, der Seite an Seite mit dem Staatsoperndirektor durch den Gustav-Mahler-Saal defilierte, gab der Aufführung ihren besonderen Reiz. In Wien kann die Oper wirklich noch im Dienste der Politik und der Repräsentation stehen, und zwar ganz selbstverständlich und von ein paar Fernsehkameras unirritiert, die zwischen aufgestellten Skulpturen rumänischer Künstler nach dem Politiker und dem Operndirektor spähen. Ich schätze, jeder zweite Besucher des Gustav-Mahler-Saales ist zu diesem Zeitpunkt ein Staatspolizist oder ein Geheimdienstmann gewesen. Ich habe jedenfalls, nachdem mich der archaische, illyrische Touch so mancher Künstlerbronze überrascht hat, schnell den Rückzug angetreten.

Die Aufführung war Erfolg beschieden, kein Zweifel.