PEER GYNT
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Theater an der Wien
17. Februar 2017

Premiere

Musikalische Leitung: Leo Hussain

Inszenierung: Peter Konwitschny
Ausstattung: Helmut Brade
Licht: Guido Petzold
Konzeptionelle Mitarbeit und Dramaturgie:
Bettina Bartz

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Peer Gynt - Bo Skovhus
Solveig / Die Rothaarige - Maria Bengtsson
Aase / Dritter schwarzer Vogel - Natascha Petrinsky
Ingrid / Kellnerin / Erster schwarzer Vogel - Nazanin Ezazi
Der Alte, König der Trolle - Rainer Trost
Frau des Vogtes / Zweiter schwarzer Vogel - Cornelia Horak
Mads / Bedienter - Andrew Owens
Der Präsident / Ein Unbekannter - Stefan Cerny
Erster Kaufmann / Vogt / Hoftroll - Michael Laurenz
Zweiter Kaufmann / Der Schmied - Zoltán Nagy
Dritter Kaufmann / Der Haegstadbauer / Zuhälter - Igor Bakan


Mehrdeutige Trollgeschichten
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat „Peer Gynt“ von Werner Egk auf den Spielplan gesetzt. Die Geschichte vom Bauernsohn, der nach ruhelosem Leben in den Armen einer Frau seinen Frieden findet, wurde von Peter Konwitschny in eine grelle Inszenierung gepackt. Dem Schlussapplaus nach zu schließen ist die Premiere gut vom Publikum aufgenommen worden.

Werner Egk machte unter den Nationalsozialisten Karriere – und „Peer Gynt“ wurde 1938 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt. Egk spielte auch nach dem Ende des Dritten Reichs eine nicht unbedeutende Rolle im deutschen Musikleben – in der DDR wusste man den Komponisten ebenfalls zu schätzen. 1969 setzte in der BRD die Diskussion über die opportunistische Rolle Egks innerhalb der nationalsozialistischen Kulturpolitik ein. Egk dementierte. Die Ambiguität in der Bewertung historischer Ereignisse wird gerade an solchen Biographien deutlich sichtbar.

Egk hat Henrik Ibsens Drama, das ihm als Vorlage gedient hat, selbst bearbeitet, stark gekürzt und teilweise verändert. Er schickt Peer nach Mittelamerika und nicht nach Afrika und hat im achten Bilde eine neu konzipierte Gerichtsszene eingefügt. Solveigs unerschütterliche Liebe bildet den Rahmen, die Peer verfolgenden Trolle die Handlung. Ähnlich ist auch der musikalische Aufbau, der in der „Lichtwelt“ Solveigs stimmungsvolle, Elemente (bis an den Rand des Kitsches) findet, während die Trolle in modernistisch parodierender Groteske gleichsam Ernst Kreneks „Jonny“ und die „Dreigroschenoper“ fortschreiben. Die nationalsozialistische Kulturkritik hat darauf durchaus reagiert. Zum Beispiel wird in einem Artikel in der Zeitschrift für Musik (Jänner 1939) Egk für seine „Troll-Musik“ schwer gerügt: „Diese Tänze wirken in lärmender Instrumentation mit Xylophon und anderen Effekten derart abstoßend, daß man sie trotz interessanter Harmoniebildung ablehnen muß.“

Egk, der die Trolle sehr „konkret“ und gar nicht so „märchenhaft“ verstanden wissen wollte, begab sich hier auf ein gefährliches, aber eben auch sehr zweideutiges Terrain. Im Dritten Reich konnte man das ausschweifende, unmoralischen Tohuwabohu der Trolle als Parodie auf die Verhältnisse in der Weimarer Republik deuten, samt starker antisemitischer Querverweise – in der Nachkriegszeit ließen sich die Trolle leicht in die Kritik an einer aufgeblasenen nationalsozialistischen Politikerkaste ummünzen. Doch egal in welche Richtung man dieses „Blatt“ wendet, die schwer konservative Ausrichtung der Oper lässt sich kaum leugnen: der getriebene tatendurstige Mann, der sich seinem Schicksal stellt, die erduldende, auf die Erfüllung ihrer Liebe wartende Frau – das ist das Bild, das vermittelt wird. Es handelt sich um ein gesellschaftspolitisches Statement, das für das Dritte Reich ebenso passt wie für die Nachkriegsjahre.

Aus heutiger Sicht sind wahrscheinlich die Trollszenen das Salz in diesem „Peer Gynt“ – während der „nordische Faust“ als abgelegtes Kind des 19. Jahrhunderts kaum mehr Begeisterung erweckt. Egk erzielt in der Parodie musikalische Dichte und Einfallsreichtum, von Kurt Weil vorbereitete Wege werden weitergegangen und auf die „große Oper“ angewendet. Das „romantische Element“ gibt sich viel unspektakulärer und besteht vor allem aus Klangfarbe, die leicht wehmütig Solveigs Welt durchstrahlt (Englischhorn!). Egks Hang zur szenischen Verknappung (neun Bilder bei etwas mehr als zwei Stunden Spielzeit) wirkt manchmal fast comicartig-chaotisch und fordert jeden Regisseur heraus. In diesem Fall war es Peter Konwitschny, der herausgefordert wurde.

Konwitschny hat vor allem an der Figur der Solveig gedreht: Sie ist nicht nur blind, sondern sie und ihre rothaarige Troll-Gegenspielerin werden von derselben Sängerin verkörpert. Das schafft manch überraschenden Effekt und trägt die Gegensätzlichkeiten des Stücks in eine Hauptfigur selbst hinein. Möglicherweise wird die Oper dadurch entideologisiert: Menschen und Trolle verschmelzen zu psychologisch greifbaren Existenzen, die ihre guten und schlechten Seiten in sich tragen. Ansonsten hat Konwitschny die Trolle vor allem kapitalismuskritisch gedeutet.

Der Trollkönig herrscht über ein Bekleidungshaus in dem grell kostümierte Konsumenten billigen Fetzen nachjagen. Peer Gynt wird zu allerhand Selbstentäußerungen genötigt – zwischen dem erfolgreichen Kaufmann in Mittelamerika und einem gepeinigten Unterhosenträger liegen nur Minuten. Die Fallhöhe innerhalb der Inszenierung ist hoch und oft nicht nachvollziehbar: der Auftritt von Peer Gynts Mutter mit Maschinenpistole geradezu absurd. Dem steht zum Beispiel ein holzmachender Peer Gynt vor seiner Hütte im vierten Bild gegenüber, der geerdete Ruhe ausstrahlt. (Bo Skovhus ereilte dabei das Schicksal aller künstlerischen Holzhacker: Die Hacke verklemmte sich im Scheit, und er brauchte seine Zeit, um sie wieder herauszubekommen).

Zwischen Brecht‘scher Agitprop-Provokation – Transparente, trollbubenverursachte Holzhaus-Grafitti u. a. m. – und dem kreativen szenischen Aufbereiten dieses Egk'schen „Peer Gynt-Comics“ stellte sich keine Symbiose ein. Einem amüsant gelungenen Amerikabild (der Präsident in der Badewanne, der Untergang des Schiffes szenisch überraschend und witzig gelöst) stand etwa eine Gerichtszene gegenüber, die mehr als Aufmarsch der BekleidungskettenmitarbeiterInnengewerkschaft gedeutet werden konnte –- und Peer Gynt wird dann im riesigen 1970er-Jahre-US-Schlitten nach Hause kutschiert. Seltsam. Im sechsten Bild verknoteten sich in der Hafenkneipe Kinderprostitution, eine Troll-Domina und ein gedemütigter Peer Gynt zu einem nur mehr schwer überschaubaren Handlungsfaden (der sich aber auch bei Egk schon ziemlich „kräuselt“). Die langen Umbaupausen und ein Zwischenvorhang mit projizierten düsteren Wolken erwiesen sich zunehmend als „beunruhigend“. In der „Lichtpause“ vor dem letzten Bild wurde das Hüsteln lauter, eine Zwischenbemerkung aus dem Publikum, die mit schmunzelndem Unterton ein baldiges Weitermachen anregte, sorgte für Erheiterung.

Musikalisch litt der Abend ein wenig unter dem etwas „eingedampften“ Klang des ORF-Orchesters unter Leo Hussain, das die Gefühlswelt Solveigs und Egks Tango-, Choral- und sonstige Parodien nicht wirklich zum Schillern brachte. Gesanglich gab Bo Skovhus einen stimmlich etwas trockenen Peer Gynt, der sich mehr für die Partie aufopferte als sie genüsslich auszuschattieren. Wahrscheinlich hat auch die Doppelbesetzung Solveig/Rothaarige anregende musikalische Gegensätze mehr eingeebnet, als befördert. Der Sopran von Maria Bengtsson passte für meinen Geschmack im Timbre besser zur verhaltenen Solveigh als zur ruchlosen Rothaarigen. Die Sängerin war die bemerkenswerteste Bühnenerscheinung an diesem Abend und hat große darstellerische und gesangliche Flexibilität bewiesen. Von den vielen Nebenrollen seien u.a. positiv herausgestrichen: Stefan Cerny als Präsident, Rainer Trost als Trollkönig oder Andrew Owens als junger tenoraler Bräutigam.

Der starke Schlussbeifall kam ganz ohne Buhrufe aus.